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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 1.1919/​20

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2. Novemberheft
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Weinzetl, R.: Die Kopie in der ostasiatischen Malerei: Echtheit von Rollbildern
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https://doi.org/10.11588/diglit.27815#0126

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gelten lassen, wäre es um die ostasiatische Kunst schlecht
bestellt. Aber vielleicht wird es zu ihrer Ehrenrettung
gestattet sein, auch in dem Gemälde ein Stück Natur zu
sehen, — das sich allerdings von aller andern Natur
dadurch unterscheidet, daß es bereits durch ein Subjekt
hindurchgegangen ist — und nebstdem in der ostasia-
tischen Kunst das Hauptgewicht auf die Handschrift des
Künstlers zu legen. Liebermann hat diesfalls einmal ge-
sagt: „Aus dem Maler, der die Natur nachahmt, wird der
Künstler, der ein Neues schafft.“ Auch Schillers Wort:
„In einem schönen Kunstwerk soll der Inhalt nichts, die
Form alles bedeuten“, gibt in diesem Zusammenhang zu
denken. In ähnlicher Weise, wie der bildenden Kunst
das Odium der Kopie, ist der Literatur jenes des Plagiats
abhanden gekommen oder hat, besser gesagt, nie be-
standen. Wie der Sinologe Prof. R. Dvorak hervorhebt,
scheuen auch die berühmtesten Schriftsteller vor der
gründlichsten Ausnützung des Vorhandenen bis zum
Plagiat selbst nicht nur nicht zurück, sondern es gilt
dies sogar als gelehrt und verdienstvoll.

Andererseits kann im getreuen Kopieren der Natur
allein das Moment des Künstlerischen nicht liegen; denn
es dürfte wohl kein Zweifel darüber obwalten, wo mehr
Kunst zu suchen sei: In einem noch so verblüffend treuen,
Strich für Strich vor der Natur gemalten Studie eines
Durchschnittsakademikers von heute oder in einer jener
Kopien Rubens, die dermaßen die ureigene Handschrift
des Meisters trugen, daß sie wie seine eigenen Bilder aus-
sahen, d. h., also wie Bilder, die er entweder vor der
Natur oder aus der Erinnerung malte oder die sich aus
diesen beiden Elementen zusammensetzten. Lind damit
sind wir bei einem weiteren Moment angelangt, das zur
Ehrenrettung der ostasiatischen Kunst herangezogen
werden kann: Das Erinnerungsbild. Die chinesischen
Künstler haben zwar im Allgemeinen das Studium vor der
Natur ausgeschaltet, aber wie, wenn sie mit einer Fähig-
keit begabt sind, Natur- und Bildeindrücke festzuhalten
und später wiederzugeben, welche die unsere weit über-
trifft? Im Grunde handelt es sich nur um die Länge der
Zeit, die verstreicht von dem Augenblick der Apperzeption
des Form- und Farbeneindrucks bis zu seiner malerischen
Niederschrift. Wer in dieser Beziehung ein treues Ge-
dächtnis hat, wird gute Erinnerungsbilder malen. So etwa
Tizian, der in seinen späteren Jahren sich für seine Bilder
nur selten eines Modells bedient haben soll oder, im
Landschaftlichen, Böcklin, der auf andächtigen Spazier-
gängen die Natur mit seinen durchdringenden „Turm-
falkenaugen förmlich in sich aufsog“. Es wird dem Er-
innerungsmaler leichter sein, als dem Augenblicksmaler,
sich unwesentlichem Detail zu emanzipieren. Kurz, er
wird dem Postulate „Kunst ist weglassen“ leichter gerecht
werden.

Ich glaube daher, daß wir im Allgemeinen gut daran
tun werden, das Mißtrauen, das wir der Kopie und teil-
weise auch dem Erinnerungsbild von vornherein ent-
gegenzubringen pflegen und das der Ausfluß jenes über-
triebenen Individualismus ist, der uns den Genuß der dem
Impersonalismus einer Rasse entsprungenen chinesischen
Kunst von allem Anfang an so schwer macht, einer Re-

vision zu unterziehen. Binyom, der feinfühlige Kenner
ostasiatischer Kunst, hebt hervor, daß das Zurücktreten
der Individualität bei religiösen Bildern besonders in die
Augen falle: Man sieht einen Vorwurf, der den Eindruck
tiefster Originalität macht, und sagt sich, der Maler, der
dies geschaffen, muß zweifellos ein schöpferisches Genie
gewesen sein Aber dann finden wir zu unserem Er-
staunen, daß dieses so frisch und unmittelbar empfundene
Werk bloß ein älteres Bild eines anderen Meisters mit
gewissen dem Kopisten eigentümlichen Variationen wieder-
holte und daß dieses ältere Bild selbst die Nachbildung
eines noch älteren ist und so weiter bis in den Dämmer
der Zeiten. In Wahrheit scheinen diese Vorwürfe Bilder
zu sein, die unter der Einbildungskraft einer Rasse, als
dem schöpferischen Ingenium des Einzelnen ihren Ur-
sprung verdanken.“

Lehrreich ist in dieser Beziehung auch, was Professor
Hirth von der Kopie eines chinesischen Rollbildes erzählt:
„Als ich Huang Han’s (Anfang des 19. Jahrhunderts) Bild
eines Karpfens Professor Gussow zeigte, wollte dieser
nicht glauben, daß es eine Kopie sei; seiner Ansicht nach
war die ganze Auffassung so frei und selbständig, daß
es ein Original sein mußte. Doch bezeugt des Malers
eigene Anmerkung, daß der Karpfen nach einem Bilde
des Mingmalers Lu Wei (1521 —1593) gemalt sei, dessen
Bilder den Rythmus des Lebens (nach chinesischen Be-
griffen das vornehmste Erfordernis eines Kunstwerks,
Anm. d. V.) im höchsten Maße besaßen “ Das Urteil
Professor Gussow’s ist entweder so zu erklären, daß das
Bild eine haarscharfe, sklavische Kopie ist. wie sie nur
die Engelsgeduld eines jeder Art von Reflexion abge-
neigten Chinesen oder ihr diametrales Gegenteil, das in
China als schöpferische Tätigkeit angesehen wird und
daß Abweichungen vom Original, sei es in der Manier,
sei es in der Auffassung, in sich schließt. In beiden
Fällen hält es natürlich schwer, das Bild als Kopie zu
erkennen. Und wie diese Kopie des Huang Han’schen
Karpfens gibt es im Reiche der Mitte ungezählte andere,
die so ziemlich alle Vorzüge des Originals an sich tragen
und bei denen der Vermerk, daß sie Kopien sind, ent-
weder angebracht ist oder fehlt. So werden diese Ko-
pien Dokumente von unschätzbarem Werte für die Kunst
von Epochen, aus denen uns keine oder keine verbürgten
Originale erhalten sind. Nehmen wir an, bei obigem Bilde
hätte der Vermerk, daß es Kopie sei, gefehlt und das
Werk wäre für ein Original gehalten worden, bis dem
Sammler zufällig einmal das wahre Urbild aus der Ming-
zeit — also etwa vier Jahrhunderte früher datierend —
in die Hände geraten wäre. Daß dies das Original sei,
wäre nur dann mit Sicherheit zu behaupten, wenn die
Nachahmung eine sklavische war. Nimmermehr dann
aber, wenn der Kopist seine vom Original gänzlich ab-
weichende „Handschrift“ oder gar Freiheit in der Auf-
fassung, was beim Kopieren in China sehr beliebt, ange-
wendet hätte. Welchen Einfluß würde es aber auf den
Sammelwert der Kopie haben, wenn das „Original“
aus der Mingzeit den Vermerk getragen hätte, daß es
selbst wieder eine Kopie nach einem Bilde aus der
weitere vier Jahrhunderte zurückliegenden Sungepoche
 
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