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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 1.1919/​20

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2. Aprilheft
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Engelmann, Max: Wenzel Jamnitzers Dresdner Meßscheibe
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Widmer, Johannes: Zur Orientierung in der Kunststadt Genf
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https://doi.org/10.11588/diglit.27815#0318

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richten nach einem Fadenlote. Die Messung von Gestirn-
abständen („weiten der Sterne“, Doppelmayr, bei Er-
wähnung der Scheibe) waren durch Einrichten der
Scheibe in der Höhe der Gestirne ebenfalls möglich.
Wahrscheinlich hat das Stativ zum schnelleren Verstellen
der Scheibe in alle diese Lagen eine Art Kugel- oder
Nußgelenk besessen. So war es mit dieser Scheibe
auch möglich, mit „zweien Stenden“ d. h. von zwei in
ihren Abständen durch Maß bekannten und festgelegten
Standpunkten aus, irdische Entfernungen zu messen. In
manchen, an irdischen Objekten vorgenommenen Mess-
ungen erforderten die in Graden abgelesenen Maße bei
ihrer Niederlegung in einer Zeichnung eine Umrechnung
in Klaftern, Ruten, Ellen usw. Hierzu hatte Jamnitzer
besondere Umrechnungstafeln aus Zinn gefertigt; wahr-
scheinlich diente auch die Rechentafel in dem großen
Halbkreis auf dieser Scheibenrückseite dem gleichen
Zwecke. Die mit umbra recta und umbra versa be-
zeichnete Teilung des im 16. Jahrhundert viel verwendeten
geometrischen Quadrates, war eine schon den Arabern
bekannte Anordnung. Darauf soll wahrscheinlich auch
die Araberfigur mit dem gleichen Quadrat zu Füßen hin-
deuten. Diese Teilung diente gleichen Zwecken wie die
Hauptteilung am Scheibenumfang selbst und zwar unter
Verwendung einer Diopterregel, die ihren Drehungspunkt
im Zentrum des geometrischen Quadrats hatte. Beide
Teilungen stimmen überein. Es ist lediglich ein Unter-
schied in der Unterteilung und in der Bezifferung. Das
geometrische Quadrat, bei dessen Verwendung man sich
auf die Aehnlichkeit rechtwinkliger Dreiecke stützte,
findet man im Zusammenhang mit der Kreisteilung auf

fast allen Astrolabien. Der Zweck, beide Einrichtungen
zu verbinden, ist wohl der gewesen, Sicherheit der
Messung durch zwei verschiedene Ablesungen zu er-
reichen oder die auf der Zeichnung niedergelegte Ver-
messung doppelt prüfen zu können. Wurde aber an
dem Drehungspunkt der Regel ein Stiftgnomon eingesetzt
und die Scheibe horizontal und nach der Bussole richtig
gestellt, so vermochte man auch das in Stunden geteilte
System des geometrischen Quadrats als „Gnomo geometri-
cus“ (nach Purbach), also als Horizontal-Sunnenuhr zu
verwenden.

Astrologischen Zwecken hat offenbar wiederum das
halbe Sechseck im unteren Teile dieser Rückseite ge-
dient. Es scheint nach besonderen Angaben oder per-
sönlichen Wünschen des Kurfürsten gefertigt zu sein und
lag ihm wohl, wie wahrscheinlich der ganzen Einrichtung
des Instrumentes, eine schriftliche Erläuterung zugrunde.
Jede der 24 Stunden ist mit einem Buchstaben des
Alphabets versehen. U und V sind entsprechend dem
damaligen Schriftgebrauch als ein Buchstabe gerechnet.
Das W ist ganz ausgelassen. Kurfürst August befragte
bei wichtigen Vorhaben und Entschließungen fast immer
die Sterne oder seine Punktorakel. Diese Zeichenan-
ordnung mag vielleicht den Entschließungen des Kur-
fürsten oftmals Richtungen gegeben haben, die uns heute
verwunderlich erscheinen mögen.

Diese Meßscheibe ist ein wertvolles Spiegelbild des
Standes der praktischen Mathematik ihrer Zeit. Das Kunst-
werk in ihr, geadelt durch zwei der fertigsten Meister des
16. Jahrhunderts, erhebt sie aber zu einem der schätzens-
wertesten Denkmäler deutscher Goldschmiedekunst.

Zuv Ovientievung, in dev Kunffßadt Qenf

oon

lobannes IDidmcü

Von unserem Genfer Kunstreferenten,
Universitätsdozenten Dr. Johannes Widmer, geht uns
der nachstehende bemerkenswerte Beitrag zu.

Immer näher rückt die Stunde, wo Genf die Organe des
*■ Völkerbundes aufnehmen wird, vorausgesetzt, daß das
Schweizer Volk in der Urabstimmung den Ratschlag
seiner Regierung und seines Parlamentes gutheißt. Nach-
dem die Rhonestadt einst die protestantischen Länder
wie eine zentrale Sonne überstrahlt hat, soll sie jetzt
eine Art Weltmittelpunkt werden. Solch ein Augenblick
mag es rechtfertigen, daß im „Kunstwanderer“ dargetan

werde, was diese künftige Metropolis in Dingen der
Kunst bietet. Ohne weiteres wird daraus hervorgehen,
was sie noch von außenher zu empfangen hat.

Im September habe ich dem „Kunstwanderer“ ge-
meldet, wie es mit der Malerei hierzulande bestellt
sei. Den Löwenanteil von jener Studie hat freilich die
Schilderung in Anspruch genommen, wie sich diese
Kunst im Lauf der Jahrhunderte, und namentlich im 19.,
entwickelt habe. Die Gegenwart ist damals zu kurz ge-
kommen. Sie ist aber, trotzdem wir einen Ferdinand
Hodler, und geistig in weitem, zeitlich in kurzem

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