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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 1.1919/​20

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1. Oktoberheft
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Singer, Hans Wolfgang: Rembrandt und die neuere Radierung
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Schmitz, Hermann: Der Hausbuchmeister im Kunstgewerbe, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.27815#0051

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nie ein, ein Programm in herausfordernder, gewalttätiger
Weise verteidigen zu wollen. Die wunderbare Mensch-
lichkeit seiner Kunst ist gerade seiner Graphik besonders
zu eigen. Eine Schöpfung wie das Hundertguldenblatt
verschmäht es nicht, neben dem ästethischen Genuß, der
nur leicht heraufzieht, nicht rücksichtslos umstürzt, auch
dem Gemüt des Betrachters eine reiche, erlösende, be-
ruhigende Gabe zu bieten.

In keinen von allen diesen Punkten vermag ich zu
erkennen, daß er auch nur den leisesten Einfluß auf die
Kunst unserer Tage auszuüben im Stande sei.

So geht es mir mit diesem nicht selbst gewählten
Thema, wie schon früher einmal in ähnlichem Fall, daß
meine Festsetzungen nur aufs Negative hinauslaufen.
Möge man mir nachweisen, das liege nur daran, daß ich
nicht scharf genug gesehen habe.

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Hemann Schnitts

(Schluß.)

Die Herstellung von wollgewirkten Rücklaken mit reli-
giösen, mehr noch mit Darstellungen aus der Roman-
dichtung, ist in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts in
Basel, Straßburg und Mainz, den Mittelpunkten des ober-
rheinischen Kunstlebens, eifrig betrieben worden. Nament-
lich ist wieder der Meister E. S., der am Oberrhein
lebende Lehrer unseres Künstlers, im Dienste der Bild-
wirker tätig gewesen. Den Hausbuchmeister dagegen
vermögen wir erst spät und nur vereinzelt auf diesem
Gebiet nachzuweisen. 4) Als eines der bedeutendsten
Werke der deutschen Bildwirkerei, das durch den Dialekt
der ausführlichen Inschriften nach Herrn Professor Roethes
Mitteilung mit größter Wahrscheinlichkeit auf Mainz in
die Zeit um 1500 festzulegen ist, führen wir hier einen
wollgewirkten Bildteppich des Berliner Kunstgewerbe-
museums mit der Geschichte der Susanna in die For-
schung ein. Dieser ist u. E. nach Zeichnungen des
Hausbuchmeisters gewirkt. Er ist 1,30 m hoch und 5,60 m
lang und erzählt in sechs Bildern die Geschichte der
schönen Frau des reichen Jojakim in Babylon in enger
Anlehnung an das 13. apokryphe Kapitel des Buches
Daniel.

1. Susanna begibt sich von zwei Dienerinnen be-
gleitet in ihren Garten, um zu baden, während sie die
lüsternen beiden Ältesten belauern.

2. Der eine der beiden Alten sucht Susanna zu
verführen und droht ihr, sie des Ehebruches zu bezich-
tigen; der andere verleumdet Susanna bei dem Bade-
knecht und den Dienerinnen.

3. Susanna wird auf das falsche Zeugnis der Alten
vor Gericht zum Tode verurteilt. (Abb. 8.)

4. Der junge Daniel tritt dazwischen und fragt jeden
der beiden Alten einzeln, unter welchem Baum sie

4) Nur die Tafelbilder lassen sich zum Vergleich mit
den gewirkten Bildteppichen heranziehen; von den Glasgemälden
allenfalls die Kirchenscheiben. Dagegen bildet die Mehrzahl der
Zeichnungen mit den Kabinettscheiben eine Gruppe für sich. Daß
in der Tat der Maler dieser Bilder und der Zeichner der Haus-
bücher ein und dieselbe Persönlichkeit sind, ist keineswegs
zweifellos erwiesen. In unserem Falle aber genügt die allge-
meine Gruppierung.

Susanna hätten Ehebruch treiben sehen. „Unter einem
Lindenbaum“, sagt der erste; „unter einem Eichbaum“,
der zweite, wodurch sie der Lüge überführt sind. (Abb. 8.)

5. Susanna wird unter dem Jubel des Volkes, von
dem zum Richter erwählten Daniel freigesprochen, die
Greise werden zum Tode verurteilt.

6. Steinigung der Greise.

Eine gewiße Willkür in der Schattenabsetzung und
manche Härten in den Umrissen, die vielfach durch
braune Linien verstärkt sind, verraten keine sehr
geübte Wirkerhand; zum mindesten ist sie der Vorlage
des Zeichners nicht völlig gewachsen gewesen. Durch die
Umsetzung ins Handwerkliche hindurch spürt man in
dieser Erzählung das ungewöhnliche Temperament des
Zeichners, eine Kraft und Lebhaftigkeit in der Fassung
des dramatischen Gehaltes der Vorgänge, eine Eindring-
lichkeit in der Gestaltung der räumlichen Wirkung, wife
sie sich von dem mehr dekorativen stilisierenden Wesen
aller anderen oberdeutschen Wirkteppiche deutlich abhebt.
Die Energie des Striches kommt in den eckigen Falten-
zügen, stärker noch in den vielfach geknickten und um-
gerollten Spruchbändern zu Tage, die sich über die
Szenen wegschlingen, und jeden freien Raum mit ihrem
Linienspiel erfüllen. Trotz der Klarheit in der Gruppie-
rung der Figuren gewinnt die Fläche dadurch etwas
Gedrängtes, und so verstärkt sich der Eindruck, daß eine
höchst lebendige Künstlerpersönlichkeit hinter diesen
Wirkbildern steht. Daß dieses der Hausbuchmeister ist,
kann kaum zweifelhaft sein, wenn man seine Haupttafel-
bilder, namentlich die Flügel des Bildes aus Speier
in Freiburg (Abb. 9) zum Vergleiche heranzieht.
Um nur Einzelnes zu betonen: die gleichen struppigen
Locken, die herabfallenden Stulpstiefel, die spielenden
Hunde in der Gerichtsszene, die nach hinten ge-
rückten haubenartigen Barette, wie sie z. B. der
Richter Susannas trägt; vor allem das lebhafte Spiel
der Hände! Die Schergen mit den verzerrten großen
Nasen in der Kaiphasszene vergleiche man mit den
Steinigenden in der letzten Szene des Teppichs; ja
selbst die heftig bewegten wie ausgerenkten Arme haben

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