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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 1.1919/​20

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2. Aprilheft
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Engelmann, Max: Wenzel Jamnitzers Dresdner Meßscheibe
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https://doi.org/10.11588/diglit.27815#0315

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ps ist von Deutschlands größtem Renaissance-Gold-
' schmied wenig bekannt, daß er sich lebhaft mit dem
Ersinnen und Verfertigen wissenschaftlicher Geräte be-
schäftigte. Steht er in seiner Goldschmiedekunst würdig
und kühn neben einem Benvenuto Cellini, so in seiner
Instrumententechnik achtunggebietend neben dem tüch-
tigsten „geometrischen Werkmeister“ seiner Zeit, dem
Augsburger Christoph Schissler.

Wenzel Jamnitzer war eine jener höchstentwickelten
Persönlichkeiten, die dem deutschen Wesen der Größe
und Kultur seiner Zeit, die der starken Kunst, der
geistigen Kraft und werktätigen Tüchtigkeit dieses Nürn-
bergs, das Luther in seiner treffenden Art als das Auge
und Ohr Deutschlands bezeichnete, als Wegbereiter und
Bannerträger zu dauerndem Ruhme verhalf. In ihm ver-
einigte sich ein Gewerbler von sicherem Können und
außerordentlicher Selbständigkeit, ein schöpferischer
Goldschmied und Zeichner mit feinstem Stilgefühl, reichen
Ideen und eigenem Ausdrucksvermögen, der mit dem
Grabstichel ebenso sicher umging wie mit der Feder,
ein scharfsinniger Mathematiker und ein allgemein verehrt
gewesener Berufsvertreter und Stadtvater zu einem
seltenen Zusammenklang.

Wenzel Jamnitzer wurde 1508 in Wien geboren. Ihn
mag sein starker Tätigkeitstrieb veranlaßt haben schon
als junger Geselle nach dem um die Wende zum 16. Jahr-
hundert rasch erblühten Nürnberg überzusiedeln. Er nahm
die Eltern und seinen jüngeren Bruder und Mitarbeiter
Albrecht mit sich. Die Nürnberger Bürgerbücher be-
richten unter den Meistereintragungen, daß Wenzel Jam-
nitzer 1534 „quarta post exaudi, adj. 20 Maj“ gegen eine
Gebühr von 4 fl neben 20 anderen Werkleuten als Meister
aufgenommen wurde. Er heiratete alsbald und kaufte
sich ein Haus in der Zisselgasse. 1544 ist er be-
reits Geschworener seines Gewerks, 1556 als Gewählter
aus dem Handwerk der Goldschmiede Mitglied des großen
Rates und 1571 als Vertreter der Goldschmiede Mitglied
des kleinen Rates. In letzterer Eigenschaft genoß er die
seltene Ehre die Anrede „Herr“ amtlich zu führen und
zu beanspruchen. Jamnitzer starb am 15. Dezember 1585
und wurde neben „seinem Weib und seinem Kind“ auf
dem Friedhof zu St. Johannes beerdigt. Die Eintragung
seines Begräbnisses am 19. Dezember im Totenregister
zu St. Sebald erfolgte als etwas besonders bemerkens-
wertes mit roter Schrift und lautet „Der erbar und weiß
herr Wenzel Jamnitzer Röm. Kay. Maj. Goldschmid in
der Zisselgassen“.

Sein Grabmal No. 664 ist erhalten und gehört zu
den beachtenswertesten dieses Friedhofes. Es ist mit
ziemlicher Sicherheit anzunehmen, daß es sich Jamnitzer
selbst entwarf und daß es sein Freund Jost Amman zur
Ausführung brachte. Sein Schaffen, sein Lebenszweck
und Sinn und seine Lieblingsbeschäftigungen konnten

darauf kaum treffender zum Ausdruck kommen. Neben
seinem Werkzeichen, dem Löwenkopf und seinem Wahl-
spruch „Christus ist mein Leben — Sterben ist mein
Gewinn“, finden wir in der Mitte jene fruchtkorbtragende
weibliche Gestalt, die an seine prächtigste Arbeit, den
bekannten sogenannten Merkelschen Tafelaufsatz erinnert.
Zu ihren Füßen zwei Eidechsen, die er gern als Zierrat
an seinen Erzeugnissen verwendete. Die vier allego-
rischen Eckfiguren bezeichnen in ihren Doppelrollen
seine Fähigkeiten und zugleich die vier Elemente, die er
sich dienstbar machte. Rechts oben: Geometrie — Feuer,
links oben: Perspektivkunst — Luft, rechts unten; Archi-
tektur — Erde, links unten: Meßkunst — Wasser.

Jamnitzers Bedeutung liegt zunächst in seinen beruf-
lichen Leistungen. Die Goldschmiedekunst seiner Zeit
blieb noch lange nach der aus dem europäischen Süden
gekommenen Wiedergeburt klassischer Stilformen an den
Ausdrucksmitteln gotischer Kunst hängen. Jamnitzer be-
freite sich als erster deutscher Goldschmied gänzlich
davon, um sich mit aller Entschiedenheit den neuen
Wegen und Schmuckformen der Renaissance anzuschließen.
Diese neue Formenwelt behandelte er aber, bei seiner
außerordentlichen Selbständigkeit, mit größter Freiheit und
bildete sie weiter aus. Er wurde damit Gründer und
Träger einer neuen Schule (Paul Flind, Virgil Solis u. a.)
und einer rasch sich bahnbrechenden Richtung in der
Goldschmiedekunst, die sich bald über das ganze
deutsche Reich erstreckte. Nicht minder wirkte er refor-
mierend in der Technik seines Berufes an sich. Als
„eisengraber“ das ist Stempel- und Steinschneider leistete
er hervorragendes.x) Er führte Verbesserungen im Stanzen
und Treiben, im Fassen von Edelsteinen, im Emaillieren
usw. ein. Es war ein von ihm zu außerordentlicher
Geschicklichkeit gebrachtes Neuverfahren, kleine Tiere,
Pflanzenteile usw. unmittelbar zu Gußformen für seine
Schmuckzwecke zu benutzen. Daß er diese Neuerung
schon 1545 übte, lehren seine Briefe an eine Äbtissin
und einen Kaplan, die im Reichsarchiv München ver-
wahrt werden. Von der reichen Pracht seiner Arbeiten
ist uns leider nicht viel erhalten geblieben. M. Rosen-
berg zählt in seinem Buche: „Der Goldschmiede Merk-
zeichen“ 2. Aufl. zwanzig sicher beglaubigte Arbeiten von
seiner Hand als noch erhalten auf. Darunter den schon
erwähnten Merkelschen Tafelaufsatz in Rothschildschem
Besitz, die zwei Kassetten im Dresdner Grünen Gewölbe
und die Meßscheibe, der diese Abhandlung gilt.

Seine Arbeiten fanden außerordentlichen Beifall und
viele Kunstjünger drängten zu ihm. Er war Hofgold-
schmied von vier Kaisern: Karl V., Ferdinand I.,

') Mehrere seiner noch erhaltenen Bildnismedaillen dürfte
er selbst geschnitten haben. Sie verzeichnen gewöhnlich in der
Umschrift sein Alter und das Herstellungsjahr.

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