dem Vogel spitzt sich zu dem Satz zu, sie „klemmten
die Schwänze ein“. Das ist der springende Punkt, näm-
lich, daß die Hunde wie betölpelt, den Schwanz einziehen,
da der Vogel, der sie am Boden genasführt hat, plötzlich
sich in die Luft davon schwingt. Auf Liebermanns Bild
wedeln die Hunde ganz lustig mit dem Schwanz! In der
Geschichte „Über das Marionettentheater“ wundert sich
einer wie die Bewegungen von vier tanzenden Bauern-
marionetten zustande kommen. Das ist eine Hauptfrage
und es folgt eine lange Seite Text, auf der spitzfindig
und weitläufig diese Marionettenbewegung erklärt wird.
Liebermann zeichnet aber einen Tanz von vier wirklichen
Bauern, nicht von Marionetten 1
Aus Slevogts „Cellini“ zeigte ich heute jemand das
Bild auf Seite 121 und bat ihn die Zeit des Bildes zu
bestimmen. Es hieß: Jetztzeit, es könnte aber auch
19. Jahrhundert sein. Cellinis Hut, in der Tat, sieht aus
wie eine schirmlose Grenadiermütze; der Benedetto in
seinem Mantel, Hose und Schuhen könnte einer unserer
Bezirksschullehrer sein. Auf den anderen Bildern wird
gelegentlich das Barett, das spanische Mäntelchen, Tricot
und die Hose des 16. Jahrhunderts kenntlich gemacht:
aber, ich glaube, man tut dem Künstler nicht unrecht,
wenn man sagt, die Sorge um das Zeitkostüm war bei
diesen schönen Illustrationen die allergeringste derer, die
den Künstler bedrückten.
So auch wenn man seinen „Lederstrumpf“ ansieht.
Das sind weder die Cooperschen romantischen Indianer,
wie sie sich der Quartaner in seiner von keiner Wissen-
schaft eingeengten Phantasie vorstellt; noch weniger sind
es Indianer, die der Kritik eines bewanderten Ethno-
graphen Standhalten würden. Es fehlt der gedrungene
Körperbau, es fehlen alle charakteristischen Merkmale der
Schädelbildung und des Gesichtstyps. Die „Achilleis“
steht streng genommen nicht zur Besprechung, denn ihre
Blätter bilden eine Mappenfolge und sind nicht buch-
stäblich Buchillustrationen. Aber das Gesagte gilt auch
von ihr. Nicht das geringste Bestreben uns Griechen,
wie wir den Typ aus der antiken Kunst her kennen,
vorzuführen ist erkennbar. Im Gegenteil, auf einem Bild
hat Achilles mehr von einem wilden Indianer als irgend
eine Gestalt im Lederstrumpf. Ich bin überzeugt, der
Künstler ist nicht auf den Gedanken gekommen, er müsse
seine Helena auf dem Stadtwall schöner als irgend eine
der anderen Figuren zeichnen; denn daß es sich um die
berühmteste aller Schönheiten handelt, war für ihn nicht
wichtig, geschweige denn ausschlaggebend.
Es ist mitnichten anzunehmen, daß unsere heutigen
Künstler sozusagen nicht richtig lesen können; auch nicht,
daß sie ein Genügen darin finden, womöglich dem Dichter
einen Possen zu spielen. Sicherlich sprechen hier un-
bewußte Kräfte mit. Fast ein Jahrhundert lang haben
historisches Wissen, archivalische Kenntnisse auf die
Kunst gedrückt. In der Malerei ist das Geschichtsbild
schon längst aus dem Sattel gehoben. Mag die Tatsache
noch so wichtig und wahr sein, deswegen ist sie, wenn
gemalt, noch lange nicht wichtig. Daß die Kunst unter
der Mißachtung des Tatsächlichen nur gedeiht, ist wahr-
scheinlich der Standpunkt, der auch unsere Illustratoren
als Haupt-Glaubensklausel erfüllt und sie über die Einzel-
heiten des Textes hinwegsehen läßt.
Im übrigen treten sie, wenn ich mich nicht täusche,
an die Illustration heran, lediglich um ihre Kunst, die
Bewegung zu veranschaulichen, auszuüben.
Ist es nicht überhaupt höchst interessant zu verfolgen,
in welchem Geist und mit welchen Absichten der Illu-
strator sich seinen Aufgaben nähert?
Dem Maler (oder den Malern) der antiken Odyssee-
landschaften vom Esquilinischen Hügel zu Rom genügte
das Leben, das der homerische Text ins Treffen führt,
nicht. Darüber hinaus werden noch Gestalten eingefügt,
die Personifizierungen des Gestades, der Quelle usw.
darstellen. Damit aber diese neuen Figuren den Sinn
der Illustrationen nicht verdunkeln und die Betrachter
verwirren, wird ihnen ihr Name in schön deutlichen
Buchstaben daneben gemalt.
Der Zeichner des sogenannten Utrechtpsalters, um
die Wende des ersten Jahrtausends „hob“ (sagt Springer)
„einzelne Verse und aus den Versen einzelne Worte
heraus, welche eine bildliche Wiedergabe gestatteten, von
der Phantasie in eine Körperform gebracht werden konnten,
und stellte aus diesen Gestalten und Gruppen stets das
Bild zusammen. Natürlich wurde auf diese Weise nicht
selten das Untergeordnete und Nebensächliche in den
Vordergrund gehoben. Dem Zeichner standen offenbar
einzelne Gegenstände mehr zu Sinne als andere; seine
Vorstellungen umfaßten die verschiedenen Kreise nicht
mit gleicher Liebe.“ Singt der Psalmist (43 v. 22) frei
symbolisch: „wird nicht Gott dies erforschen? da er
kennet die Heimlichkeiten des Herzens. Denn um Deinet-
willen werden wir getödtet den ganzen Tag, werden ge-
achtet wie Schlachtschafe“, so bietet das dem Zeichner
die Gelegenheit, ganz unvermittelt zwei Schafe im Vorder-
grund seiner Darstellung anzubringen. Und wenn der
folgende Vers die dramatische Apostrophe bringt: „Wach
auf! warum schläfst Du, Herr? Wach auf, und verwirf
uns nicht auf immer!“ so ist es für uns gar nicht so
naheliegend, diese Zeilen mit dem Bild des sich in einem
Himmelbett aufreckenden Mannes in Verbindung zu
bringen, der höchstens dadurch, daß rechts und links
drei Engel an sein Lager heranschweben, als etwas Über-
irdisches gekennzeichnet wird.
Wie ganz anders wiederum weht die Luft in jenem
ersten Prachtwerk der deutschen guten Stube, der
Schedel’schen Weltchronik! Der Gedanke, daß die Ab-
bildungen den Text veranschaulichen helfen sollen, könnte
man meinen, wäre den Herstellern dieses Buches gar
nicht gekommen. Denn sonst hätten sie doch nicht ein
und dasselbe Bild verwenden dürfen, um dem Leser so-
wohl Trier, als auch Padua, Metz und Massilia vorzu-
führen oder sowohl Herkules wie Jonas, Pitacus, Zeno,
Publius Terenzius, Valentinian und noch andere mehr
mittels ein und demselben Bildnis darstellen dürfen. Man
sieht, der Begriff der Illustration geht hier einfach in dem
des Schmückens auf. Die Seite mit einem schönen Bild
zu verzieren, war was geboten und auch verlangt wurde,
nicht nebenbei, daß die Gestalt des Bildes mit dem In-
halt der Worte übereinstimme.
163
die Schwänze ein“. Das ist der springende Punkt, näm-
lich, daß die Hunde wie betölpelt, den Schwanz einziehen,
da der Vogel, der sie am Boden genasführt hat, plötzlich
sich in die Luft davon schwingt. Auf Liebermanns Bild
wedeln die Hunde ganz lustig mit dem Schwanz! In der
Geschichte „Über das Marionettentheater“ wundert sich
einer wie die Bewegungen von vier tanzenden Bauern-
marionetten zustande kommen. Das ist eine Hauptfrage
und es folgt eine lange Seite Text, auf der spitzfindig
und weitläufig diese Marionettenbewegung erklärt wird.
Liebermann zeichnet aber einen Tanz von vier wirklichen
Bauern, nicht von Marionetten 1
Aus Slevogts „Cellini“ zeigte ich heute jemand das
Bild auf Seite 121 und bat ihn die Zeit des Bildes zu
bestimmen. Es hieß: Jetztzeit, es könnte aber auch
19. Jahrhundert sein. Cellinis Hut, in der Tat, sieht aus
wie eine schirmlose Grenadiermütze; der Benedetto in
seinem Mantel, Hose und Schuhen könnte einer unserer
Bezirksschullehrer sein. Auf den anderen Bildern wird
gelegentlich das Barett, das spanische Mäntelchen, Tricot
und die Hose des 16. Jahrhunderts kenntlich gemacht:
aber, ich glaube, man tut dem Künstler nicht unrecht,
wenn man sagt, die Sorge um das Zeitkostüm war bei
diesen schönen Illustrationen die allergeringste derer, die
den Künstler bedrückten.
So auch wenn man seinen „Lederstrumpf“ ansieht.
Das sind weder die Cooperschen romantischen Indianer,
wie sie sich der Quartaner in seiner von keiner Wissen-
schaft eingeengten Phantasie vorstellt; noch weniger sind
es Indianer, die der Kritik eines bewanderten Ethno-
graphen Standhalten würden. Es fehlt der gedrungene
Körperbau, es fehlen alle charakteristischen Merkmale der
Schädelbildung und des Gesichtstyps. Die „Achilleis“
steht streng genommen nicht zur Besprechung, denn ihre
Blätter bilden eine Mappenfolge und sind nicht buch-
stäblich Buchillustrationen. Aber das Gesagte gilt auch
von ihr. Nicht das geringste Bestreben uns Griechen,
wie wir den Typ aus der antiken Kunst her kennen,
vorzuführen ist erkennbar. Im Gegenteil, auf einem Bild
hat Achilles mehr von einem wilden Indianer als irgend
eine Gestalt im Lederstrumpf. Ich bin überzeugt, der
Künstler ist nicht auf den Gedanken gekommen, er müsse
seine Helena auf dem Stadtwall schöner als irgend eine
der anderen Figuren zeichnen; denn daß es sich um die
berühmteste aller Schönheiten handelt, war für ihn nicht
wichtig, geschweige denn ausschlaggebend.
Es ist mitnichten anzunehmen, daß unsere heutigen
Künstler sozusagen nicht richtig lesen können; auch nicht,
daß sie ein Genügen darin finden, womöglich dem Dichter
einen Possen zu spielen. Sicherlich sprechen hier un-
bewußte Kräfte mit. Fast ein Jahrhundert lang haben
historisches Wissen, archivalische Kenntnisse auf die
Kunst gedrückt. In der Malerei ist das Geschichtsbild
schon längst aus dem Sattel gehoben. Mag die Tatsache
noch so wichtig und wahr sein, deswegen ist sie, wenn
gemalt, noch lange nicht wichtig. Daß die Kunst unter
der Mißachtung des Tatsächlichen nur gedeiht, ist wahr-
scheinlich der Standpunkt, der auch unsere Illustratoren
als Haupt-Glaubensklausel erfüllt und sie über die Einzel-
heiten des Textes hinwegsehen läßt.
Im übrigen treten sie, wenn ich mich nicht täusche,
an die Illustration heran, lediglich um ihre Kunst, die
Bewegung zu veranschaulichen, auszuüben.
Ist es nicht überhaupt höchst interessant zu verfolgen,
in welchem Geist und mit welchen Absichten der Illu-
strator sich seinen Aufgaben nähert?
Dem Maler (oder den Malern) der antiken Odyssee-
landschaften vom Esquilinischen Hügel zu Rom genügte
das Leben, das der homerische Text ins Treffen führt,
nicht. Darüber hinaus werden noch Gestalten eingefügt,
die Personifizierungen des Gestades, der Quelle usw.
darstellen. Damit aber diese neuen Figuren den Sinn
der Illustrationen nicht verdunkeln und die Betrachter
verwirren, wird ihnen ihr Name in schön deutlichen
Buchstaben daneben gemalt.
Der Zeichner des sogenannten Utrechtpsalters, um
die Wende des ersten Jahrtausends „hob“ (sagt Springer)
„einzelne Verse und aus den Versen einzelne Worte
heraus, welche eine bildliche Wiedergabe gestatteten, von
der Phantasie in eine Körperform gebracht werden konnten,
und stellte aus diesen Gestalten und Gruppen stets das
Bild zusammen. Natürlich wurde auf diese Weise nicht
selten das Untergeordnete und Nebensächliche in den
Vordergrund gehoben. Dem Zeichner standen offenbar
einzelne Gegenstände mehr zu Sinne als andere; seine
Vorstellungen umfaßten die verschiedenen Kreise nicht
mit gleicher Liebe.“ Singt der Psalmist (43 v. 22) frei
symbolisch: „wird nicht Gott dies erforschen? da er
kennet die Heimlichkeiten des Herzens. Denn um Deinet-
willen werden wir getödtet den ganzen Tag, werden ge-
achtet wie Schlachtschafe“, so bietet das dem Zeichner
die Gelegenheit, ganz unvermittelt zwei Schafe im Vorder-
grund seiner Darstellung anzubringen. Und wenn der
folgende Vers die dramatische Apostrophe bringt: „Wach
auf! warum schläfst Du, Herr? Wach auf, und verwirf
uns nicht auf immer!“ so ist es für uns gar nicht so
naheliegend, diese Zeilen mit dem Bild des sich in einem
Himmelbett aufreckenden Mannes in Verbindung zu
bringen, der höchstens dadurch, daß rechts und links
drei Engel an sein Lager heranschweben, als etwas Über-
irdisches gekennzeichnet wird.
Wie ganz anders wiederum weht die Luft in jenem
ersten Prachtwerk der deutschen guten Stube, der
Schedel’schen Weltchronik! Der Gedanke, daß die Ab-
bildungen den Text veranschaulichen helfen sollen, könnte
man meinen, wäre den Herstellern dieses Buches gar
nicht gekommen. Denn sonst hätten sie doch nicht ein
und dasselbe Bild verwenden dürfen, um dem Leser so-
wohl Trier, als auch Padua, Metz und Massilia vorzu-
führen oder sowohl Herkules wie Jonas, Pitacus, Zeno,
Publius Terenzius, Valentinian und noch andere mehr
mittels ein und demselben Bildnis darstellen dürfen. Man
sieht, der Begriff der Illustration geht hier einfach in dem
des Schmückens auf. Die Seite mit einem schönen Bild
zu verzieren, war was geboten und auch verlangt wurde,
nicht nebenbei, daß die Gestalt des Bildes mit dem In-
halt der Worte übereinstimme.
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