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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 1.1919/​20

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1. Novemberheft
DOI Artikel:
Glück, Gustav: Erwerbungen der Wiener Gemäldegalerie seit Kriegsbeginn
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https://doi.org/10.11588/diglit.27815#0097

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nur das Weiß eines großen anliegenden Kragens aus
feinstem Battist und der Aermeln des Hemdes unterbricht
dieses Schwarz, der Hintergrund ist von zartem Grau
und links neben der Dastehenden sieht man einen mit
rotem Sammt bezogenen Sessel, rechts einen Tisch mit
einer Decke aus dem gleichen Stoff, darauf Frühstücks-
geschirr. Die Einfachheit der Komposition, die liebevolle
und vollendete malerische Austeilung, die unvergleichliche
Harmonie von Rot, Schwarz und Grau machen aus diesem
geringen und kaum an sich interessanten Vorwurf ein
Kunstwerk hohen Ranges, das beinahe verdient, neben
die Gemälde Velazquez’ gestellt zu werden, dessen Werke
Terborch auf einer Reise in Spanien studiert haben soll.

An Terborch erinnern auch einwenig die vorzüglich
gezeichneten und gemalten Figuren eines Bildes, das
einer in der Gemäldegalerie bisher noch gar nicht ver-
tretenen Gattung der holländischen Malerei angehört:
das Architekturstück. Von dem Hauptmeister dieses
Faches, Emanuelde Witte, rührt das „Innere einer
gothischen Kirche“ her, das von einem der rührigsten
Wiener Kunsthändler der Sammlung gewidmet worden
ist. Es ist ein Blick in die Amsterdamer alte Kirche
(„Oude Kerk“) während des Gottesdienstes, helles Tages-
licht fällt durch die hohen Fenster ein und bestrahlt
besonders die im Vordergründe sichtbaren Säulen. Die
Kirche ist erfüllt von Andächtigen, die der Predigt lauschen,
und vor der Tür des Raumes sieht man eine ganze
Gruppe von Personen, Männern, Frauen und Kindern.
Auch Hunde, denen damals der Eingang in die Kirche
nicht verwehrt war, fehlen nicht. Eine besondere Vor-
liebe hat de Witte für Rückenfiguren, die ihm halfen, die
Illusion der Tiefe des Raumes zu erreichen. Auffallend
ist hier der Mann in Rückenansicht, der einen schönen roten
Mantel mit Goldborten trägt, eine Gestalt, die häufig auf
Bildern de Wittes ähnlich wiederkehrt. Das Bild gehört zu
den frühesten Arbeiten des Künstlers, der später die Figuren
weniger sorgfältig, die Architektur noch reicher und schumm-
riger, die Farbe wärmer behandelt und ganz ausschließlich
auf die Wiedergabe von Licht und Raumtiefe ausgeht.

Eine eigene Gattung der Malerei, die der des Kirchen-
bildes verwandt ist, hat auch in der holländischen Kunst
des 17. Jahrhunderts Eingang gefunden: die Städteansicht.

Jan Brueghel d. Ä., Landschaft mit Staffage.
Wien, Gemäldegalerie.

Qerard Terborch, Weibl. Porträt.

Wien, Gemäldegalerie.

Ihre höchste Blüte hat sie aber im achtzehnten Jahr-
hundert in Venedig erreicht. Die Gemäldegalerie des
kunsthistorischen Museums ist an Beispielen der vene-
zianischen Vedutenmalerei nicht arm. Die berühmte
Reihe österreichischer Ansichten von Bernardo Belotto,
genannt Canaletto, und zwei vor einigen Jahren erworbene
köstliche Veduten aus Venedig von Francesco Guardi,
dem berühmten venezianischen Meister dieses Faches,
gehören dahin. Bisher war aber der eigentliche Be-
gründer der Gattung, Antonio Canale, in der
Galerie noch nicht vertreten gewesen. Diese Lücke
konnte in der letzten Zeit durch die Erwerbung von
zwei ganz hervorragenden venezianischen Ansichten von
der Hand dieses Meisters ausgefüllt werden. Das eine
von diesen beiden Stücken, die aus 'der Anfang der
siebziger Jahre versteigerten Gsellschen Sammlung in
Wien stammen, stellt einen Blick von der Vorhalle
der Dogana über die durch Segelschiffe belebte
Lagune nach der Kirche des Redentore hin dar und
schildert zugleich die helle wonnige Stimmung eines
kühlen, windigen Tages, das andere ist eine Ansicht der
Riva degli Schiavoni mit einem Gewirr von Gondeln
und Segelschiffen davor und hier ist die Stimmung die
etwas weniger helle, wärmere eines heißen Sommertages,
an dem die Sonne drückend und sengend über der
schönen Stadt liegt. Zeichnung und Perspektive sind
bei beiden Bildchen meisterhaft, und erstaunlich bleibt
es, daß der früheste Vertreter dieses Faches schon gleich
eine solche Meisterschaft in der Wiedergabe von Stim-
mung, Licht und Luft erreicht hat, wie sie hier in fast
moderner Weise zu uns spricht.

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