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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 1.1919/​20

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1. Novemberheft
DOI Artikel:
Bogeng, Gustav A. E.: Betrachtungen zur Buchkunstbewegung der Gegenwart, [1]: Buchkunst und Liebhaberausgabe
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https://doi.org/10.11588/diglit.27815#0105

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zu gewinnen, ist nun bequem durch eine ausgeklügelte
Geschäftsorganisation den Höchstbietenden zugänglich
geworden, mancherlei auf die Verteuerung hin gemachte
Zugaben beschweren das Buch weiterhin, sodaß für den
durch soviele vermeintliche Vorzüge geblendeten, durch
Kennerschaft nicht allzuviel gestörten Liebhaber die
Unterscheidung der angeblichen und der vorhandenen
Werte solcher Prachtstücke viele Schwierigkeiten macht.
Zu ihrer Überwindung hat ein Mann, der als Kenner
und Sammler schöner französischer Bücher hervorragende
Verdienste hat, Henri Beraldi, einmal ein sehr einfaches
Mittel angegeben. Man möge bei der Beurteilung eines
Buches nur von dem einfachen, durch keine Vermehrungen
und Verschönerungen ausgestalteten Auflagenabzug aus-
gehen, um zu ermitteln, was an dem Buche selbst daran
ist. Das ist eine Überlegung, die in jene Gedanken-
kreise weiterleitet, aus denen William Morris die Theorie
der Buchkunstanschauungen, die Geltung in den germa-
nischen Ländern gewonnen haben, herleitete. Bereits
im achtzehnten Jahrhundert hatten aus dem Widerstande
gegen die Bildüberflutung der Buchseiten einige Buch-
drucker von erheblicher Eigenart versucht, die Kunst im
Buchdruck als eine selbständige Kunstübung wiederzu-
gewinnen. Aber sie gelangten nicht bis zu dem Ur-
sprünge des gedruckten Buches, an den sie anknüpfen
mußten, wenn sie die Buchelemente nach ihren richtigen
Verhältnissen und nach ihrer wahren Zweckbestimmung
erkennen wollten, zum geschriebenen Buche. So be-
schränkten sie sich auf die Konstruktionen eines typo-
graphischen Idealbuches, ohne den ganzen Buchorganis-
mus in allen seinen natürlichen Zusammenhängen durch
ihre an und für sich erfolgreichen und verdienstvollen
Versuche zu erfassen. Die Baskerville, Didot, Bodoni,
Breitkopf, um nur bekannteste Namen zu nennen, suchten
durch Auswahl der Druckschriften, Druckfarben, Druck-
stoffe, durch größte Sorgfalt des Setzens und Drückens
zu einer einheitlichen, reinen typographischen Wirkung
zu gelangen, wobei sie das Buchdenkmal auch in seiner
äußeren monumentalen Gestaltung zum Ausdruck zu
bringen suchten. Bei diesen Bestrebungen, dem Buch
als Buchdruckerleistung Geltung zu verschaffen, die Be-
deutung des Buchdruckens selbst aus handwerksmäßiger
Verflachung in, wie wir jetzt (durch damals noch nicht
so weit gehende Gegensätze bestimmt) sagen, kunst-
gewerblicher Weise zu vertiefen, ergab sich ganz von
selbst die eingehende Beschäftigung mit Einzelheiten
der Buchdruckherstellung.

Man schnitt neue schöne Schriften und benutzte die
frisch gegossenen Typen, man beachtete die Farb-
wirkungen, die Druckfarbe und Druckstoff erzeugten,
man besorgte die Papierauswahl mit Rücksicht auf
die Papierstoffreize, kurz, man lernte das Buch von
neuem mit einer ähnlichen Genauigkeit sehen, wie das
den Meistern der Wiegendruckzeit, die von der Buchhand-
schriftenherstellung kamen, selbstverständlich gewesen
war. Und dabei ergab sich dann als Notwendigkeit für
eine solche alle Einzelheiten beobachtende Arbeit die
Beschränkung der Auflage hauptsächlich aus wirtschaft-
lichen Gründen. Ein kostspieliges Buch ließ sich nicht

in beliebiger Zahl vervielfältigen, weil sein Absatz zu
gering, die Arbeitszeit zu seiner Herstellung zu groß
gewesen sein würde. Auch hätten manche Druckeinrich-
tungen, die sich abnutzten, wie die Schriften, bei einer
sehr großen Auflage der Ergänzung und Erneuerung be-
durft. Daß indessen auch schon damals die gewerbliche
Spekulation auf die Auflagenbeschränkung einen Einfluß
übten, zeigen die vielen Selbstwiederholungen der Bodoni-
drucke, die künstliche Ausgaben- und Papierverschieden-
heiten entstehen ließen und die vor beinahe betrügerischen
Nachdrucken einer eigenen gelungenen Erstauflage nicht
zurück schreckten. Die bei einem guten und schönem Buche
doppelt widersinnige einmalige Auflage ist von Bodoni
für die Sammler erfunden und von ihm selbst für sie
umgangen worden.

William Morris deckte die versunkene gemeinsame
künstlerische Quelle aller Schriftvervielfältigung wieder
auf, indem er zeigte, daß die Absichten eines Buch-
druckers und eines Buchschreibers die gleichen und nur
ihre Mittel verschiedene waren, indem er die sinngemäße
Anwendung der Buchdruckermittel nach der Zweck-
erfüllung des Buches lehrte. Dabei kam es aus einem
äußeren und aus einem inneren Grunde zu Übertreibungen
seiner Lehre. Da ihm das Maschinendruckzeitalter nicht
die Möglichkeiten der von ihm beabsichtigten Druck-
versuche gewährte, flüchtete er notgedrungen in die
Werkstätte und machte die Handarbeit auch da, wo eine
ihr gleichwertige Maschinenarbeit sich erreichen ließ, zur
Überzeugung. Und weil er überall den Mut seiner Über-
zeugung hatte, ging er soweit, alles seinen Grundlehren
der Buchtektonik sich nicht einfügende kurzerhand als
ihnen widersprechend zu behandeln. Einseitigkeiten,
deren Ausgleich in der jetzt beginnenden neuen Buch-
kunstbewegung sich von selbst ergab und die Morris
leider bald etwas in Vergessenheit geratendes Verdienst
nicht schmälern konnten, nämlich dieses, gezeigt zu haben,
daß alles, was er für die Herstellung seiner Liebhaber-
ausgaben brauchen zu müssen glaubte, nur ein Mittel
zum Zweck war, um edelste Buchwerke zu schaffen, um
Buchschönheit in der Vollendung zu gewinnen. Wenn
Morris sich bessere Papiere nach vielen Proben her-
steilen ließ, so geschah das nicht, um Auflagenpapiere
mit eigenen Wasserzeichen für die Sammler zu erfinden,
sondern um ein Papier zu finden, das allen seinen An-
forderungen an die Druckgüte eines Papieres entsprach.

Das Problem des Idealbuches ist ein ästhetisches,
ein psychologisches, ein technisches. Die Buchkunst-
entwicklung der Gegenwart hat das ästhetische Problem
in den Vordergrund gestellt, allerdings, indem sie es
durch bestimmte technische Voraussetzungen bedingen
ließ, von der Werkgüte die Werkschönheit abhängig
machte. Darf man hier einmal außer acht lassen, daß
wie die Anschauungen über Schönheit überhaupt auch
diejenigen über die Buchschönheit sich wandeln, so wird
man wohl zugeben müssen, daß die Ableitung der sinnen-
fälligen Wirkung der Buchschönheit aus der Buchzweck-
erfüllung richtig war. Das angenehmste Satzbild, das für das
Auge des Lesers die beste Lesbarkeit hatte, ergab sich aus
der Erfüllung einer Reihe von Forderungen für die Werk-

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