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Donath, Adolph [Editor]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 1.1919/​20

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2. Novemberheft
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Weinzetl, R.: Die Kopie in der ostasiatischen Malerei: Echtheit von Rollbildern
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https://doi.org/10.11588/diglit.27815#0129

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(Aus chinesischen Kunstgebieten) angeführter Ausspruch
des japanischen Kunstverständigen Tomonanga: „In Japan
sind chinesische Bilder immer dann echt, alt und berühmt,
wenn sie sich im Besitze von gewichtigen Persönlichkeiten
befinden.“ Der oben zitierte Binyon, welcher der im
British Museum befindlichen, dem Ku K’ai Dschi (3. Jahr-
hundert nach Chr.) zugeschriebenen Bilderrolle „Aus dem
Leben einer Hofdame“ eine liebevolle Monographie ge-
widmet hat, sagt über ihre Echtheit mit anerkennens-
werter Offenheit, daß, wenn es sich nicht um das Original,
so doch um eine Kopie von solcher Vollendung handle,
daß auch sie einen Schatz bedeute. Ohne die Rolle ge-
sehen zu haben, möchte ich der letzteren Ansicht schon
deshalb zuneigen, weil die Erhaltung eines Rollbildes
durch 1600 Jahre an sich höchst unwahrscheinlich ist.
Bei einem Vergleiche der Lebensdauer der Werke bilden-
der Kunst in Ostasien und Europa müssen zunächst die
verschiedenen Malgründe als ausschlaggebend angesehen
werden. Das europäische Bild ist in der Regel auf wider-
standsfähigerem Grunde gemalt als die Seide und das
Papier der ostasiatischen Rollbilder. Hingegen ist das
Erstere dadurch, daß es offen zur Schau hängt, dem Ein-
fluß der Athmosphärilien viel stärker ausgesetzt als das
Letztere. Das Eingerolltsein schützt nun zwar das ost-
asiatische Bild gegen die Einflüsse der Witterung, ist
aber bei öfterer Besichtigung der Malerei für deren Lebens-
dauer verhängnisvoll, da durch den Vorgang des Auf- und
Einrollens der durch das Alter nach und nach morsch
gewordene Malgrund abblättert, wobei Seide sich wider-
standsfähiger erweisen dürfte als Papier. Alte Bilder von
Ruf, die deswegen auch mehr besichtigt werden als andere
sind gleich bewährten, zahlreiche Narben aufweisenden
Recken, oft mosaikartig aus Hunderten, ja Tausenden von
abgefallenen und wieder aufgeklebten Teilchen zusammen-
gesetzt und bilden gleichzeitig wahre Denkmäler chine-
sischer Ausdauer und Geschicklichkeit.

Über das gegenwärtige Vorkommen von der Tang-
und Lungepoche — aber bereits drei Jahrhunderte nach
Ku K’ai Dschi — angehörenden chinesischen Kunst-
werken spricht sich eine Autorität wie der Japaner Sei
Ischi Taki sehr skeptisch aus. Nach seiner Ansicht
existieren solche Bilder in China kaum. Allerdings be-
gründet er seine Ansicht nicht näher. Ich glaube jedoch,
daß bei dem hierbei in Frage kommenden ungeheueren
Territorium, bei dem heutigen völligen Darniederliegen
des Kunstsinnes in China und der Abgeschlossenheit ge-

wisser hierbei in Betracht zu ziehender Kreise, ferner bei
dem Mangel an öffentlicher Kunstbetätigung, vor allem an
großen periodischen oder permanenten Kunstausstellungen3)
bei der Fällung von derlei Urteilen mit größerer Vorsicht
verfahren werden muß. Hingegen nimmt Sei Ischi Taki
an, daß in Japan mehr als 200 Kunstwerke, meist Land-
schaften, die der Sungzeit — der Glanzepoche des
Stimmungsbildes — angehören, vorhanden seien. Weiteres
ist ihm eine „nicht geringe Zahl“ von Bildern aus der
Mingzeit in Japan zu Gesicht gekommen, so unter anderem
viele dem großen Tung tschi tschang (gegen Ende der
Mingzeit, um 1650) zugeschriebenen Werke. Von diesem
letzteren erachtet er aber keines für echt. Eher ist er
geneigt, der früheren Mingepoche (1368—1500) ange-
hörenden Bilder für echt zu halten. Er klagt auch dar-
über, daß in der Tokugawaepoche (1603—1808) chine-
sische Händler Japan mit Bildern untergeordneten Wertes,
meist Fälschungen, überschwemmten.

Wenn in China nun zu allen Zeiten mehr als anders-
wo der Kopie gehuldigt wurde, so scheint dies ganz be-
sonders in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts
unter dem Kaiser Tao Huang (1821—1851) der Fall ge-
wesen zu sein, unter dem, wie Strehleneck4) hervorhebt,
durch das Beispiel des Herrschers angeeifert, Gelehrte,
Beamte und Kaufleute — also alles, was in China
schreiben kann und deshalb mehr oder weniger malen
zu können glaubt (A. d. V.) — mit einander in der Kunst-
ausübung wetteiferte, d. h. einer wahren Kopierwut ver-
fallen war, die sich besonders auf alte Bilder erstreckte.
Wang Hsiao, Su tschou und Schav hsing waren die
Brennpunkte dieser merkwürdigen Kunstbetätigung. An-
gesichts solcher Zustände wird, wie bereits betont, der
kunstverständige europäische Sammler, der sich auf lang-
wierige Untersuchungen über Echtheit, beziehungsweise
Zugehörigkeit des Malgrundes (Papier oder Seide) zu be-
stimmten Epochen, ferner über Authentizität der darauf
angebrachten Signaturen und Siegel nicht einlassen kann
oder will, mehr als irgendwo anders in Ostasien gut
daran tun, sich bei der Erwerbung von Rollbildern haupt-
sächlich von den immanenten künstlerischen Eigenschaften
des Werkes leiten zu lassen. „Was des Meisters würdig,
ist echt.“

3) Die im Jahre 1916 und 17 im Kaiserpalaste zu Peking
veranstalteten Kunstausstellungen hatten kaum einen Belang.

4) Strehleneck, Chinese Pictorial Art, Shanghai 1914.

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