Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 1.1919/​20

DOI Heft:
2. Dezemberheft
DOI Artikel:
Baum, Julius: Die Wertsteigerung mittelalterlicher Bildwerke
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.27815#0161

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Abb. 1. Die Roettgenpieta des Bonner Museums, vor dem
Mainzer Dome stehend.

gehabt hatte, in der man nur eine manieristische Ent-
artung der Kunst des 13. Jahrhunderts sah, fing an in
dem Qrade mehr geschätzt zu werden, als man die Ver-
wandtschaft ihrer Ausdruckskraft mit dem modernen Ex-
pressionismus erkannte. Es ist für das Erwachen der
Schätzung des gotischen Expressionismus bezeichnend,
daß die Preise für Bildwerke des späten 15. Jahrhunderts
vor 20 Jahren im allgemeinen unverhältnismäßig höher
waren als für die Plastik des 14. Heute ist dies nicht
mehr der Fall.

Wie nun drückt sich diese Wertsteigerung in
Zahlen aus?

Die aus dem Anfänge des 14 Jahrhunderts stammende
Heggbacher Maria im Wochenbett des Münchener National-
museums (Kat. VI, Nr. 455) wurde 1892 von Xeller in
Laupheim für einen dreistelligen Betrag erworben. Für
die weit geringere verwandte Darstellung der Sammlung
Georg Schwarz (Kat. Nr. 6) mußten 1917 vom Danziger
Museum immerhin 5100 Mk. gezahlt werden. Die schöne
sitzende Muttergottes aus Weil der Stadt (Kat. Nr. 68),
die der Verfasser bei Lösel in Leutkirch fand, konnte das
Stuttgarter Museum 1908 noch für 600 Mk. erwerben.
Kurz vorher hatte das Darmstädter Museum für die aus
derselben Zeit stammende verwandte Muttergottes aus
dem Salzkammergut Reiling bereits ein Vielfaches dieses
Betrages zahlen müssen.

Zu derselben Zeit erwarb ein oberschwäbischer
Händler die ergreifende Gruppe der Trauernden Frauen,
die heute einen der größten Schätze des Berliner Kaiser
Friedrich-Museums bildet (Abb. in des Verfassers Stutt-
garter Plastikkatalog, S. 26), in einem Bauernhause in
Mittelbiberach für eine Mark und gab sie an den Händler
Bauer in Biberach weiter. Durch ein Gebot, das den
Mitteln des Stuttgarter Museums entsprach, geldgierig
gemacht, wendete sich Bauer nach Berlin, wo er, nach
seiner eigenen Aussage, zwanzigtausendmal so viel erhielt
wie der erste Besitzer. Eine Maria im Wochenbett, die
Bauer in Buchau ausfindig gemacht hatte, wäre dem
Stuttgarter Museum gleichfalls verloren gewesen, da er den
Preis in kurzer Zeit von 2400 auf 24 000 Mk. hinaufrückte;
glücklicherweise konnte sie nach seinem Tode billig er-
worben werden (Kat. Nr. 27). Das ausdrucksvolle Vesper-
bild aus Deggingen, um 1330 (Kat. Nr. 49) und den
kreuztragenden Christus aus Ödheim (Kat. Nr. 81) schenkte
Löwenthal der Stuttgarter Sammlung um 1909; Kauflieb-
haber für expressionistische Gotik waren damals noch
selten. Leider entgingen infolge der Schwerfälligkeit des
Ankaufskommissionswesens dem Stuttgarter Museum die
für eine ganz geringe Summe angebotene schönste aller
Christus-Johannesgruppen und der Täufer Johannes aus
Schülzburg, heute in der Sammlung Oppenheim in Berlin.
Sie wurden von einem Stuttgarter Händler für 5000 Mk.
erworben, für 12 000 nach München und von dort für

Abb. 3. Rheinische Pieta.

Kunsthandlung W. Carl, Frankfurt a. M.

157
 
Annotationen