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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 1.1919/​20

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1. Januarheft
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Zimmermann, Ernst: Die "Marcolinizeit"
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https://doi.org/10.11588/diglit.27815#0186

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ihrer großen Vergangenheit einigermaßen würdig war.
Er trat keine gute Erbschaft an. Verderblich hatte der
siebenjährige Krieg und die lange Besetzung Sachsens
durch die Preußen auf sie gewirkt. Sie war arg in Ver-
wirrung geraten, ein Fortschritt zunächst nicht recht
möglich. Man war herzlich froh gewesen, wenn man
sie noch soeben recht und schlecht hatte erhalten können.
So waren gewaltige Anstrengungen nötig gewesen, sie
einigermaßen wieder in die Höhe zu bringen. Dazu war
jetzt eine bisher nicht gekannte Konkurrenz gekommen.
Überall hatte das allgemeine Porzellanfieber, das damals
die Welt durchzog, zu neuen Gründungen auf diesem
Gebiete geführt, die ihr das Wiederhochkommen recht
sauer machten, und in Frankreich die Sevresmanufaktur,
weit mehr vom König und seinem Hofe begünstigt, als
es kaum je der Meißner widerfahren war, einen Aufschwung
genommen, der für sie nur zu verderblich wirken mußte.
Man hat nun in den Jahren bis zu der Übernahme der
Leitung der Manufaktur durch den Grafen alles getan,
was irgend möglich. Man reorganisierte die Fabrik,
führte technische Neuerungen ein, suchte sich dem neuen
Geschmack der Zeit möglichst anzupassen, rief neue
Künstler herbei. Aber die Konkurrenz war nicht so leicht
zu beseitigen, der Vorsprung, den S£vres gewonnen,
nicht gleich wieder einzuholen und mit den neu ge-
wonnenen Künstlern hatte man auch kein allzu großes
Glück. Ein Herold und Kändler wurden nicht wieder
gefunden. Man mußte sich mit weit weniger begabten
begnügen. So konnte die frühere Höhe in der Tat nicht
wieder erreicht werden. Es blieb S£vres die tonangebende
Manufaktur der Zeit und Meißen mußte daneben froh
sein, nicht ganz seinen früheren Ruf zu verlieren und
genug Abnehmer zu finden, um seinen früheren großen
Betrieb aufrecht erhalten zu können.

Alle diese Verhältnisse änderten sich kaum, als
Marcolini die Leitung der Manufaktur übernahm, ja sie
gestalteten sich z. T. noch ungünstiger für ihn. Immer
neue Fabriken entstanden neben den bisherigen und
bedrohten den Absatz jener, die fast alle mehr oder
weniger schwer um ihr Dasein zu ringen hatten, ja z. T.
sogar bald wieder eingehen mußten. Dazu kam nun auch das
in England erfundene neue keramische Produkt des
Steinguts auf, das bald wenigstens dem Gebrauchs-
porzellan weit größere Konkurrenz zu machen begann,
als es die Fayence bisher getan hatte. Und endlich
gesellte sich jetzt auch zur Sevresmanufaktur als ton-
angebend noch die von Wien hinzu, nachdem sie
die Tatkraft und Umsicht des Herrn von Sorgenthal zu
ungeahnter Höhe erhoben hatte. Dabei nahm das Interesse
für das Porzellan, das bisher als das eigentliche Mode-
produkt der Zeit sich der allgemeinsten Beliebtheit erfreut
hatte, von Tag zu Tag ab. Immer mehr erlosch nun
auf diesem Gebiet der Sinn für Luxuserzeugnisse. Es
sank immer ausschließlicher zu einem besseren Gebrauchs-
artikel herab und dann kam die große Katastrophe der
französischen Revolution und der Napoleonischen Kriege,
die überall den Wohlstand vernichtete und damit auch
die Kaufkraft gewaltig herabsetzte. Wie sollte da die
Meißner Manufaktur, bisher eine Erzeugnisstätte lediglich

für reine Qualitätsware, wieder zu jener Höhe gelangen,
die ihr einst im Zeitalter des Barocks und Rokokos be-
schieden gewesen war?

Marcolini hat sich nun — darüber kann kein Zweifel
bestehen — reichliche Mühe gegeben, die Manufaktur
wieder nach allen Richtungen hin emporzuheben. Aber
die Verhältnisse waren leider stärker als er. Zunächst
konnte er, um den Absatz zu heben nicht umhin, jetzt,
wie es damals schon andere Porzellanfabriken, vor allem
die des Thüringer Waldes getan, in ihr auch die
Fabrikation von Massenprodukten mit einfacheren Aus-
schmückungen vornehmen zu lassen. Das drückte ihr
künstlerisches Niveau bedeutend herab, stellt, da diese
heute natürlich überwiegen, sicherlich einen Hauptgrund
der heutigen geringeren Einschätzung der Erzeugnisse
dieser Zeit dar. Dann brach auch auf dem Gebiet des
Porzellans der Louis XVI -Stil durch, der zwar an sich
auch auf diesem zu sehr edlen Formen führte, aber mit
seinen strengen, sich eng an die Gebilde der Antike
haltenden Gestaltungen doch für das mehr launenhafte,
aller festen Formenbildung spottende Porzellan weit
weniger geeignet war, als es das Barock und Rokoko
gewesen war. Trotzdem hat Meißen damals eine ganze
Reihe von sehr annehmbaren Arbeiten geschaffen, die zwar
nicht immer sehr originell ausfielen, dafür aber auch
nicht jene vielen Absonderlichkeiten zeigten, zu denen
damals vielfach die Originalitätssucht in Sevres führte.
(Abb. 2.) Nur wirken manchmal die jetztfast unvermeidlichen
Guirlanden zu schwer und auch mit den damals gleich-
falls üblichen rechtwinklig gebrochenen Henkel, die dem
im Feuer weich werdenden Porzellan so garnicht ent-
sprachen, kam man, wie in dieser Zeit überall, wo man
reichere Bildungen versuchte, nicht immer zurecht. Am
besten gelangen so wohl die Geschirrformen. Auf diesem
Gebiete entstanden i d. T. eine ganze Reihe recht reizvoller
Bildungen. Doch scheint im allgemeinen die Zahl der
so geschaffenen Formen nicht allzu groß gewesen zu
sein. Zu schwierig war wohl, aus den gegebenen Ge-
staltungen der Antike dieselbe Formenfülle zu gewinnen,
die es das mit ganz anderer Freiheit schaffende Rokoko
vordem herbeizuführen vermocht hatte. Die Phantasie
hatte eben hier keinen so freien Spielraum mehr.

Um so abwechslungsreicher gestaltete sich dagegen
die Bemalung, allein wohl schon aus dem Grunde, weil,
wollte man zur Gewinnung von Massenprodukten Her-
stellungskosten ersparen, dies in erster Linie nur durch
Verminderung kostspieliger Handmalerei geschehen konnte,
weshalb man jetzt neben die bisherigen, vorwiegend
reicheren Bemalungen auch weit einfachere setzen mußte.
Das hat das Bild auf diesem Gebiete bedeutend mannig-
faltiger gestaltet. Wie man freilich solche billigeren Be-
malungen herstellen sollte, darüber war man sich anfangs
anscheinend nicht ganz klar. Man versuchte es auf
verschiedene Weise und keineswegs immer glücklich.
So griff man z. B. sogar wieder, wohl weil sie in ihrer
einfachen flächenhaften Ausführung weniger Arbeit er-
forderten, auf ostasiatische Motive zurück, die freilich,
in bunt oder nur in violett gemalt, recht leer und lang-
weilig ausfielen. Dann wieder suchte man die in der

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