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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 1.1919/​20

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1. Aprilheft
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Friedländer, Max J.: Der Kupferstichsammler Davidsohn
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https://doi.org/10.11588/diglit.27815#0293

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Im Jahre 1882 siedelte Davidsohn nach Wien über.
Seit 1886 lebt er in Berlin. Fast alle größeren Versteige-
rungen der letzten 40 Jahre hat er als ein eifriger Käufer
mitgemacht, jeden Vorteil mit wacher Aufmerksamkeit
wahrgenommen und in stetem Verkehre mit den gewissen-
haftesten und erfahrensten deutschen Händlern, wie
H. G. Gutekunst in Stuttgart, Amsler und Ruthardt in
Berlin und C. G. Boerner in Leipzig, Blatt zu Blatt ge-
legt, verglichen, gewählt und ausgeschieden und un-
ermüdlich an der Vermehrung und Verbesserung seines
Besitzes gearbeitet.

Der Firma C. G. Boerner, mit der er seit 1874 in
Verbindung steht, hat er nun den Verkauf seiner
Sammlung anvertraut. Der Bestand umfaßt annähernd
10000 Kupferstiche und Holzschnitte, ist also ungefähr
ebenso groß wie der Besitz des Barons von Lanna, der

und Geschlossenheit. Nicht persönliche Vorliebe für
diese oder jene Erscheinung oder Gattung, begünstigt
von Glücksfällen, war hier am Werke, vielmehr strebte
eine universell empfängliche und historisch gerichtete
Neigung methodisch nach Abrundung des Ganzen.
Die auf Druckschönheit bedachte wählerische und
anspruchsvolle Sorge ließ nie nach, ob es sich um
das Werk eines der großen oder um die Produktion
eines minder berühmten oder geringeren Meisters
handelte.

Grenzen sind nur insofern gezogen, als das 19. Jahr-
hundert ganz fehlt, und die galante und gefällige Kunst
des 18. Jahrhunderts schwach vertreten ist. Im
besonderen mied der strenge und männliche Geschmack
dieses Sammlers den Farbstich, während er die virtu-
osen Grabstichelleistungen der späteren Franzosen

Nicolo
B o 1 d r i n i
Die heilige
Familie.
Nach Tizian

Sammlung

Davidsohn

bei

C. G. Boerner,
Leipzig

von der Firma H. G. Gutekunst vor etwa 12 Jahren ver-
kauft worden ist.

Die Versteigerung der Davidsohnschen Sammlung
wird in drei Abteilungen erfolgen. Die Kataloge sind,
wie üblich, alphabetisch geordnet. Der erste Band um-
faßt die Buchstaben A bis F. Im Mittelpunkt dieser
Auktion steht das fast lückenlose Werk Dürers,
die zweite Abteilung hat ihren Schwerpunkt in dem un-
vergleichlichen Ostade-Werke, die dritte und letzte
Versteigerung bringt die überraschend reiche Folge der
Rembrandt-Radierungen. In der ersten Auktion
könnte ich an auffallenden Höhepunkten noch nennen:
die deutschen Kleinmeister Aldegrever, Altdorfer und die
Beham, die Holzschnitte von Baidung, Burgkmair und
Cranach, die holländischen Maler-Radierer, die großen
Serien der Porträtstiche von Blooteling, Delff, Drevet,
Dyck, Edelinck und Falck, fürchte aber mit solchen
Heraushebungen einen falschen Begriff zu geben. Was
diese Sammlung auszeichnet, ist ihre Gleichmäßigkeit

sowie die Meisterstücke der englischen Schabkünstler
ihrer Bedeutung nach würdigte und aufgenommen hat.

Der Katalog beruht auf den ungemein genauen
Notizen des Sammlers und wird über den nächsten Zweck
hinaus beachtet bleiben als abschließender Bericht über
die Arbeit eines Lebens.

Wie Paul Davidsohn den Gedanken fassen konnte,
sich von seiner Schöpfung zu trennen, begreift man am
ehesten, wenn man sich klar macht, daß diesem Sammler
der Genuß des Besitzes weniger bedeutete als die Freude
an der Ausgestaltung und Pflege dieses Besitzes. Ihn
hat die Sammlung weniger durch ihr Dasein beglückt
als durch die aufbaüende und ordnende Aktivität, die
damit verbunden war. Als nun Alter, Reiseschwierigkeit,
die Sperrung der politischen Grenzen, die Verarmung
des Marktes ihm die Fortführung der gewohnten Tätig-
keit behinderten, faßte er den heroischen Entschluß zur
Auflösung seiner Sammlung, die ihn mit starren Augen
anzublicken begann.

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