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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 1.1919/​20

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2. Augustheft
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Bogeng, Gustav A. E.: Betrachtungen zur Buchkunstbewegung der Gegenwart, [5]: die französische Liebhaberausgabe
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https://doi.org/10.11588/diglit.27815#0471

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Motte: 1828, 2°) ist ein großes Kunstwerk, das andere,
Nodier’s Roi de Boheme mit den Holzschnitten nach
Tony Johannot (Paris, Delangle: 1830, 8°) darf keinen
so außergewöhnlichen Rang beanspruchen. Aber es be-
ginnt die Reihe der Vignettistes Romantiques, jener
Bände, deren Jllustration sich meist freilich auf die
Titelvignette oder das Frontispice beschränkte, wobei
mehr und mehr die Holzschnittvignette bevorzugt wurde.
Die Lithographie in Federzeichnung oder Kreide, der
Hand einen freien Spielraum gebend und auch dem Drucker
nicht schwierig, dazu ebenso bequem für Farben wie für
Schwarz-Weißwirkungen, findet zunächst für das Buch-
bild keine Anwendung. Das mag ebenso an ihrer Ein-
schätzung als eines industriellen Hilfsmittels und ihrer
Unterschätzung als eines künstlerischen Ausdrucksmittels
(dessen sich aber doch sogleich Daumier in seiner
„Caricature“ genial bemächtigt hatte) gelegen haben, wie
auch daran, daß die Buchmode nicht mehr zu den be-
sonders eingeschalteten Bildtafeln neigte. Die alte
Generation der Buchkünstler war ausgestorben, die neue
illustrierte wieder im Text und mußte den dafür be-
quemen Holzschnitt bevorzugen. Erst in den sechziger
Jahren sucht man den Steindruck für die Liebhaberaus-
gabe zu verwerten, allerdings in der Verwertung der
„Chromolithographie“ für historisierende Monumental-
prachtwerke und erst mit dem Ausgange des neunzehnten
Jahrhunderts bekommt der künstlerische Steindruck auch
für das Buchbild Geltung. (S j muß man für das
französische Buchbild im Steindruck zwei von einander
unabhängige Perioden unterscheiden. Beider Meister-
leistungen sind nicht allzu zahlreich, aber es sind die
Meisterleistungen der modernen französischen Buchkunst.
Aus der ersten Periode ist kaum ein halbes Dutzend
Titel anzuführen: Taylor’s Voyages pittoresques dans
l’ancienne France, Goethe’s Faust mit den Delacroix-
Jllustrationen, La Caricature, der Anfang des Artiste, der
Charivari in seiner Daumier-Gavarni-Beaumontepoche,
Demidoff-Raffet’s Voyages dans la Russie. Aus der
zweiten Periode ist weit voranzustellen die von Bonnard
illustrierte Ausgabe des Daphnis und Chloe Erzählung des
Longus. Alles Bücher, die einzigartig in ihren künst-
lerischen Werten sind, aber alles auch Bücher, deren
Verhältnis zur Buchkunst mehr eine Verwandschaft des
Zufalls als eine Bedingung ihres Daseins ist).

Die neue Blüte des Holzschnittbildes von Kunstwert
war nur kurz gewesen, sie umfaßte mit ihren Haupt-
werken das Jahrzehnt 1835 — 1845. Und sie war keine
Buchkunst im eigentlichen Sinne gewesen, denn alle
anderen Elemente des schönen Buches, vor allem die
Kunst im Buchdruck selbst, waren nicht nur nicht vor-
handen, sondern befanden sich sogar, an den hervor-
ragendsten Leistungen des endenden achtzehnten Jahr-
hunderts gemessen, in dieser Übergangszeit des Buch-
handwerkes zur Buchfabrikation in tiefem Verfall. So
konnte auch eine unbestreitbare technische Virtuosität
der Holzschneider geniale künstlerische Schöpfungen
nicht zu Trägern einer ebenmäßigen Buchveredelung
werden lassen. Als auf ein bekanntestes Beispiel sei
dazu auf die Bilder Menzels in Kuglers erstmalig Berlin:

1840 erschienene Geschichte Friedrichs des Großen ver-
wiesen, die den Pariser Anregungen und Erfahrungen
manches verdankte. Was nützt das Lob, das ein so er-
fahrener Kenner wie Henri Beraldi diesem Buche spendet,
von dessen Bildern er zu rühmen weiß, sie wären
„gravees sur bois avec autant de nerf qu’en auraient
des eaux-fortes“, wenn man das Buch als Ganzes werten
will und dabei den Wunsch empfinden muß, allein die
von diesem Druckwerk befreiten Bilder in Einzelabzügen
zu haben, um sie ungestört würdigen zu können. Die
gegenüber dem Kupferdruck erleichterte Herstellung der
Holzstöcke machte sich übrigens rasch in der Vermehrung
der vignettenartigen Jllustrationen geltend: das Verhältnis
der hier in Betracht kommenden Bücher des neunzehnten
Jahrhunderts zu denen des achtzehnten dürfte für ihre
Jllustrationen etwa 2:1 betragen haben und manche
mehrbändigen Werke zeichneten sich auch durch ihre
Jllustrationenquantität aus. So haben die 8 Bände der
bekannten Reihe Les Frangais peints par eux-memes
(Paris, Curmer: 1841-42) rund 2000 Jllustrationen, wie
denn überhaupt auch die Organisation dieses von dem
hervorragendsten Pariser Holzschnittbuchverleger der
vierziger Jahre Curmer rasch durchgeführten Sammel-
werkes kennnzeichnend ist für die journalistische und
populäre Tendenz des Buchbildes dieser Zeit. Die von
ihm geschmückten, in billigen Lieferungen erscheinenden
Werke sind weit von dem Ehrgeiz einer exklusiven
Liebhaberausgabe entfernt. Sie erstreben in ihrer Haltung
Volkstümlichkeit und suchen gleichzeitig durch ihre Größe
neben ihrem Bilderreichtum Aussehen zu gewinnen. Es
sind letzten Endes Bücher des Kompromisses, die durch
billige Prachtentfaltung blenden und das, was sie an der
einen Stelle zu viel ausgeben, an der anderen sparen.
Kurz und gut, es sind die Bücher des „juste milieu“!

Um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts hatte
die französische Bibliophilenmode zwei Sammlergebiete
wiedergewonnen, die die ihnen bewieseneTeilnahme durch-
aus verdienten. Die alten Einbände, die die französische
kunstgewerbliche Buchbinderei seit dem sechzehnten bis
zum achtzehnten Jahrhundert hinterlassen hatte, waren,
wenn auch ihrem technischen Werte nach ungleich,
darin jedenfalls übereinstimmend, daß sie aus den Be-
mühungen der Buchliebhaber um die Buchausstattung,
mittelbar um die Buchschönheit, hervorgegangen waren.
Und ähnlich waren auch die Kupferstichwerke des acht-
zehnten Jahrhunderts schon in ihrer Entstehungszeit An-
wendungen der Bücherliebhaberei gewesen, obschon die
Ausartungen der Livres ä Figures-Mode zu einem inhalts-
losen und oft nicht einmal mehr formwahrenden Bücher-
luxus das nicht immer deutlich genug hervortreten lassen.
Indem die Buchbinder die alten Einbandkostbarkeiten,
die gewaltige Liebhaberwerte wurden, kopierten, indem
sie in historischen Stilen verzierten, gewannen die Buch-
bindereiverfahren ihre alten technischen Qualitäten wieder
und verbesserten sie noch. Damit war dann auch für
die Einbandkunst die Möglichkeit einer „modernen“
Orientierung gegeben, wie sie etwa seit 1880 sich durch-
zusetzen begann, freilich in Richtungen, die nicht stets
nach festen Buchkunstzielen gelenkt wurden. Jedenfalls

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