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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 11./​12.1929/​30

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1./2. Januarheft
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Schmidt, Paul Ferdinand: Ernst Barlach: zu seinem 60. Geburtstage
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https://doi.org/10.11588/diglit.26238#0181
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Scheu vor aller Selbstenthüllung spricht er im Grunde
überhaupt nicht über sie — das Bekenntnis bricht allzu
früh mit der Erwähnung seiner „erbärmlich frierenden
plastischen Erstlinge“ ab — viel eher noch mit einem
aus tiefstem Herzen kommenden, in Treue gekleideten
Hymnus auf seinen Entdecker und lebenslänglichen
Mäzen Paul Cassirer, dem hier wohl das weiseste und
wunderlichste Denkmal gesetzt worden ist.

Der Dualismus in Barlachs Wesen, das von Anfang
an bestehende Schwanken zwischen dichterischem und
plastischem Ausdruck für seine drängenden Probleme
macht auch die Beurteilung seiner Bildwerke schwierig.
Er ist durchaus nicht ein bildhauerisches Phänomen, es
gibt beinahe keine Skulptur — von den paar Bildnis-
köpfen abgesehen —, die rein vom p'astischen Stand-
punkt aus zu erklären wäre. Manchmal möchte man
glauben, daß er, wie der ihm sonst wenig gleichende

Ewald Matare, vom Holzschnitt, also von einer gedank-
lich beeinflußbaren Flächenkunst aus, zur Bildhauerei
gekommen wäre. Aber das ist durchaus nicht der Fall.
Seine Erweckung rührt von einer Reise nach Rußland
her, die ihm den Eindruck echten erdverbundenen,
ebenso plastisch wie seelisch modulierten Menschen-
tums vermittelte. Seine frühen Skulpturen, von 1907
an, basieren ganz auf diesen russischen Eindrücken; den

schweren gelassenen Stil in sich ruhender Figuren voll
dynamischer Spannung inneren Lebens hat er dort ge-
funden und niemals wieder verlassen, so sehr auch die
Motive sich veränderten und ins Religiöse und Allge-
mein-Menschliche sich vertieften. Jener Zwiespalt
plastischer Geschlossenheit und seelisch gespaltener
Empfindung war von Anfang an da; er bildet das
ureigenste Wesen des Barlachschen Stils: Beweis
genug für die zwingende Notwendigkeit dieser holz-

Barmherzigkeit. 1919. Paul Cassirer, Berlin

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