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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 11./​12.1929/​30

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1./2. Januarheft
DOI Artikel:
Schmidt, Paul Ferdinand: Ernst Barlach: zu seinem 60. Geburtstage
DOI Artikel:
Hildebrand, Arnold: Paul Seidel †
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https://doi.org/10.11588/diglit.26238#0182

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geschnitzten Gestalten, die nur ein Denker und Grübler
ersinnen, nur ein ganz sinnlich fühlender Plastiker
durchführen konnte. Keiner seiner Figuren fehlt das
Tastbare, das Raumfüllende der echten Skulptur, sie
sind mit einer fast michelangelesken Ursprünglichkeit
als Gestaltungen dreidimensionalen Empfindens konzi-
piert, sind bildhauerisch gesprochen: aus dem Block
gemeißelt, mit den sichtbarsten Spuren des Schnitz-
messers hingestellt, selbstherrliche Produkte einer von
innen heraus schaffenden Bildnerphantasie. Und zu-
gleich müssen sie eine transcendentale Funktion er-
füllen: allgemein menschliche Ideen verkörpern, Aus-
drucksträger sein von Schmerz, Ekstase, Tollheit,
Selbstvergessen, Außersichsein. Eine Duplizität von
Aufgaben, der die Skulptur kaum gewachsen ist: die
Skulptur als solche, als strengst begrenzte Form bilden-
der Kunst.

Daher rührt das unbestreitbar Zwiespältige der
Barlachschen Werke. Man empfindet jede seiner Ge-
stalten als unmittelbare Wahrheit; sie ergreifen durch
die Wucht ihres Ausdrucks, sie sind Boten des Ewigen,
schreckliche Mahnrufe zur Menschlichkeit, Ankläger
gegen die Grausamkeit und das ewige Unverständnis
der Welt. Das Humane in uns sagt mit allen Fibern Ja
zu ihnen; wir fühlen uns solidarisch mit der Klage der
Kreatur, die aus ihrer stummen Qual aufschreit um
Hilfe und Erbarmen. Wenn wir uns aber ein Herz
fassen und sie auf ihre Eignung als Statuen prüfen, so
erleben wir, daß sie, entgegen dem unverbrüchlichen
Gesetz der Skulptur, ihr Recht nicht in sinnlicher Er-
scheinung, nicht im schlechthin Seienden suchen, son-

dern außerhalb ihrer Form; daß sie sich beziehen auf
etwas Unräumliches, daß sie aus dem Umkreis ihrer
Materie hinausdeuten auf etwas außer ihnen
Bestehendes.

Soll man verstehen, was das für ihren Stil bedeu-
tet, so muß man etwa an die Ideologie der Kiingerschen
„Gesamtkunstwerke“ nach Art des Christus im Olymp
denken, deren Basis in literarischen, also unplastischen
Assoziationen liegt.

Aber Barlach ist ein Künstler von weit reinerer und
ungebrochenerer Sinnlichkeit als Klinger. Seine Ge-
schöpfe, ob sie als Einzelpersonen oder in Häufung von
zwei und drei Figuren erscheinen, tragen das Gesetz
des Handelns in sich, sind rein durch ihre Gesten und
Ausdruckswerte erklärbar. Sie überzeugen letzten
Endes auch den, der Einhaltung der künstlerischen Ge-
setze vor allem fordert, weil ihre Uebersinnlichkeit ganz
klar in sinnlich faßbaren Formen ausgedrückt ist.
Barlachs plastisches Werk ist unantastbar in seiner Ge-
samtheit, weil es Ausdruck einer großen schöpferischen
Seele ist; weil in jeder Einzelgestalt die gleiche Sehn-
sucht nach dem Ewigen.sich materialisiert, die sich über
irdische Schranken erhebt zur wahren Anschaulichkeit
der Idee.

Diese Gestaltung des Göttlichen tritt für den An-
spruchsvollen wohl am reinsten in seiner Graphik her-
vor. Der Weltenschöpfer in den „Erscheinungen
Gottes“ und im „Lied an die Freude“, das Schmerz-
hafte des Seins im „Armen Vetter“ und im „Kopf“, das
Dämonische in der „Walpurgisnacht“: Das ist Dar-
stellung der Idee von höchstem Rang.

(,

Paul Seidel f

von

Atmold jiüdebeand

Rede zum Gedächtnis des am 5. Dezember
1929 verstorbenen Geheimen Regierungsrats Prof.
Dr. Paul Seidel, gehalten im Schloß Monbijou am
17. Dezember von Arnold Hildebrand.

; | er Mann, den seit dem 9. Dezember 1929 die Erde
deckt, hat für die Erkenntnis und die Pflege der
preußischen Kunst vornehmlich des 18. Jahrhunderts
eine so große Bedeutung gehabt, sein Name ist mit dem
Hause Hohenzollern, mit den meisten preußischen
Schlössern, besonders mit dem Hause, in dem wir uns
zu seinem Gedächtnis versammelt haben, so unlöslich
verbunden, daß es selbstverständliche Ehrenpflicht ist,
seiner zu gedenken. Paul Seidel hat das Glück gehabt,
daß sich ihm ein Knabentraum erfüllte. Er hatte als
Gymnasiast in Schwerin von der Gründung des Hohen-
zernmuseums gehört und dem geschichtlich früh inter-
essierten kam der Wunsch, dermaleinst Direktor die-
ses Museums zu werden. Er hat dieses Ziel erreicht.

wenn auch auf dem Umweg über das juristische
Studium und die Tätigkeit als Referendar, wie wir es
ebenso von dem ihm verschwägerten, nun ihm im Tode
vorangegangenen Wilhelm Bode wissen. Bei seinem
knnsthistorischen Studium war Anton Springer in Leip-
zig sein Lehrer. Bevor er es abschloß, ging er zu
Studienzwecken nach Paris. Seine ersten Arbeiten be-
schäftigten sich mit dem Maler Oudry und der franzö-
sischen Schabkunst. Noch während seines Aufenthaltes
in Paris wurde er von Lippmann für die Berliner
Museen und zwar für das Kupferstichkabinett verpflich-
tet. Er trat seinen Dienst erst nach längerem Aufent-
halt in London an und war im Jahre 1888 zum Direkto-
rialassistentehtaufgestiegen. Der Gründer des Hohen-
zollernmuseums berief ihn als Kustos der Kunstsamm-
lungen seines Hauses unter dem Geheimrat Dohme zu
sich; so kam Seidel in den Dienst der preußischen Hof-
verwaltung. 1894 wurde er zum Dirigenten der Kunst-

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