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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 11./​12.1929/​30

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1./2. Dezemberheft
DOI Artikel:
Schiff, Fritz: Der Bauer in der bildenden Kunst des Mittelalters
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https://doi.org/10.11588/diglit.26238#0136

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Det? Bauer in det? bildenden Kunß des Mittelalters

oon

Schiff

r-s ilder aus dem Bauernleben, Genreszenen im Sinne

der Niederländer des 17. Jahrhunderts, wie sie
auch die hellenistische Kunst der Antike gekannt hatte,
gab es im Mittelalter nicht. Die Kunst jener zehn Jahr-
hunderte zwischen dem Ende der Völkerwanderung und
dem Beginn der Renaissance war von der Kunst der
darauf folgenden Epoche so grundsätzlich unterschie-
den, daß es unmöglich ist, mit den Vorstellungen und
Begriffen, die wir aus der neueren Kunst gewonnen
haben, an sie heranzugehen. Die mittelalterliche Kunst
war in einer Weise gesellschaftlich gebunden, die auch
nur zu denken uns heute schon Schwierigkeiten macht;
sie hatte nicht den geringsten Selbstzweck, war, durch-
aus außerkünstlerisch, restlos dem Dienst der Kirche
bestimmt, nicht anders wie alle übrigen materiellen und
geistigen Produkte des sich langsam konsolidierenden
Europas überhaupt. Alle Kräfte gravitierten nach Rom,
der alleinigen Sachwalterin aller irdischen Dinge und
alles irdischen Geschehens. Die sichtbare Welt, die
ganze wahrnehmbare Welt überhaupt war nur Schein,
Trug, Sünde; man beachtete sie nicht und sah sic nicht,
und sie im Bilde um ihrer selbst willen darzustellen, lag
dieser orientalisch theologischen Betrachtungsweise
völlig fern. Daß sich überhaupt eine bildende Kunst
entwickeln konnte, hatte seine Ursache in dem natür-
lichen Verlangen der eben seßhaft gewordenen germa-
nischen Völker selber, sich die sichtbare Außenwelt zu
gestalten, keineswegs aus besonderer Sinnenfreude,
sondern ebenfalls aus einem religiösen Grunde: um die
Dinge zu bannen und für sich günstig zu stimmen. Im
Bilderstreit, der im Westen Europas keine allzu große
Rolle gespielt hat, unterlag die spätjüdisch-christliche
Tendenz des „Du sollst Dir kein Bildnis machen“.
Dennoch blieb die ganze mittelalterliche Kunst ein
„trotzdem“, das von unten, aus den Völkern heraus so
lange genährt und gekräftigt wurde, bis es in der
Renaissance endgültig siegte. Die mittelalterliche
Sakralkunst bedient sich des Anblicks der sichtbaren
Welt nur insofern, als es seiner zur Abbildung der gött-
lichen Gewalten unbedingt bedarf; es werden keine
Menschen dargestellt, geschweige denn ihre Handlun-
gen und ihr Milieu, sondern es wird in einer Art Bilder-
schrift von dem Uebcrirdischen berichtet; es wird be-
schworen, gebannt, erzogen, aber es wird nicht ethisch
oder lyrisch geschildert. Daher fragt man nicht nach
den Maßen der uns sichtbaren Welt, sondern ordnet
Größe, Deutlichkeit und Stärke im Bilde nach der Wich-
tigkeit des jeweils Dargestellten an. Erst vom 13. Jahr-
hundert ab durchbricht der Adel diesen eisernen theo-
logischen Ring und fängt an, auf Bildern und I eppichen
von seinen getanen oder geträumten Taten zu berichten.

Der Adel aber war mit dem Klerus zusammen die
kulturell führende Schicht, während das Bauerntum nie

etwas anderes war als das Objekt dieser Führung.
Allerdings bestimmte dieses Bauerntum die Formen der
ganzen geistigen Kultur der Zeit. Denn das Bauerntum
war die ökonomische Basis der ganzen Gesellschaft;
ihm galt die gesamte Theologie des Mittelalters und
seine Kunst, seiner noch stark animistischen Vor-
stellungswelt waren ihre Formen angepasst, angefan-
gen von den abweisenden, übermenschlichen Ikonen der
göttlichen Gestalten, den Lehensherren und Vögten des
Jenseits, bis zu den saalartigen festen Burgen der roma-
nischen Kirchen. Der Wunsch, etwa den Bauer oder
das Landleben besingen zu wollen, konnte in dieser Ge-
sellschaft überhaupt nicht entstehen. Rein agrarische
Gesellschaften haben ganz andere Interessen als die,
ihre mühselige Landarbeit zu verherrlichen. Die buko-
lische Idylle entspringt der Sehnsucht einer städtischen
Bevölkerung nach dem Landleben, und erst die ent-
wickeltere Stadtkultur am Ende des Mittelalters hat die
ländliche Genreszene geschaffen.

Dementsprechend finden wir Bilder aus dem
Bauernleben nur in Bibelillustrationen und in Monats-
bildern,1) in moralischen Schriften, die Psalterien und
später Rechtsbüchern und bisweilen in historischen
Dokumenten. Am häufigsten erscheint der Bauer auf
den Monatsbildern (Kalenderillustrationen), die jeden
Monat durch seine jeweils für die Landwirtschaft wich-
tigste Beschäftigung charakterisieren. Diese ja noch
heute in Kinderbüchern gern gesehenen Monatsbilder
sind selbstverständlich nicht christlich-mittelalterlichen
Ursprungs. Das älteste, uns bis jetzt bekannte Doku-
ment dieser Art ist ein Relief des zweiten Jahrhunderts
vor Christus, das in die Mauer der Kirche Panagia
Gorgopika in Athen eingelassen ist, doch ist anzuneh-
men, daß die Sitte außerordentlich viel älteren Datums
ist. Sie entspricht ja durchaus den Gewohnheiten der
ackerbauenden Völker, die Beschäftigungen in den ein-
zelnen Monaten, oder vielmehr die Monate selber, zu
personifizieren, um sie auf diese Weise als Gottheiten
beschwören zu können. Die Monatsbilder werden des-
halb häufig, und besonders häufig im Mittelalter, zu-
sammen mit dem Zodiakus, den I ierkreisbildern dar-
gestellt, die ihre frühe Entstehung keineswegs irgend
einem wissenschaftlichen Interesse der Assyrer an der
Astronomie verdanken, sondern ebenfalls dem Bestre-
ben, sich die geheimen Mächte der Sterne für Saat,
Wachstum und Ernte günstig zu stimmen. Die Monats-
bilder der Panagia zeigen, obwohl die griechische Ge-
sellschaft damals doch bereits vier Jahrhunderte hin-

b Material zu diesem Thema findet man in: Riege, A„ Die
mittelalterliche Kalenderillustration, Innsbruck 1889, und vor allem
•in dem außerordentlich wertvollen Werke von Brandt, P.,
Schaffende Arbeit und bildende Kunst, 2 Bde., Leipzig 1925, die,
weil grundlegend für dieseen Aufsatz, nur einmal zitiert werden.

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