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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 11./​12.1929/​30

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1./2. Februarheft
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Unus, Walther: Carl Milles
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Schaffran, Emerich: Ein unbekannter Flügelaltar des Marx Reichlich
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https://doi.org/10.11588/diglit.26238#0222

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und bei Milies dürfte noch mancher sich den Kopf zer-
brechen, selbst wenn er nicht so gewaltig danebenhaut
wie der bekannte schwedische Kunstliebhaber Klas
Fahraeus, der in seinem eben herausgekommenen) Band
Nya konstkritiska essayer (erschienen in Stockholm bei
Bonnier) den Sonnensänger gleichsam wie eine Entleh-
nung dem antiken Oranten gegenüberstellt, ohne zu
merken, daß das künstlerische Wesen der Milles’schen
Skulptur in Aufbau, Körperbehandlung, innerer Belebt-
heit, kurz in jeder, aber auch in jeder Beziehung einen
anderen Sinn erhalten hat! Wenn man auf diese Art
Kunstgeschichte schreiben wollte, wäre jede Epoche
die Karikatur einer andern, und es ist nur schade, daß
solche Oberflächlichkeit, weil bequem, manchen zur
gleichen Klugrederei verführt. Nicht jeder wird er-
tappt und überführt. Die Zahl der plastischen Wahr-
heiten ist nämlich nicht sehr groß, ihre Handhabung
ähnelt ein wenig den musikalischen Tönen, von denen
wir ja auch nur eine kleine Zahl immer wieder brau-
chen und, — um Lessing ein zweites Mal zu zitieren:
„Es muß ein kleiner Geist sein, der sich Wahrheiten zu
borgen schämt.“ Das war noch nie Sache des Genies
und braucht Milles nicht zugemutet zu werden. Wenn
Mozart ein Klavierkonzert im Geschmack Händels

schreibt und Brahms Variationen über ein Thema von
Gluck, so geschieht dies einerseits als Gruß an den ver-
wandten Genius, dann aber und vor allem, um ihr Eige-
nes zu entfalten. So hat Milles einmal als eine Huldigung
an Bernini seinen kleinen Faun auf der großen Granii-
muschel geschaffen, und damit eine seiner ursprüng-
lichsten, in jedem Sinn eigensten Arbeiten, einen klei-
nen knochigen mageren nordischen Knaben von über-
wältigender tragischer Komik, übrigens auch eine von
jenen neuen Nuancen, die Milles überhaupt erst in der
Skulptur und zwar auch in der monumentalen Skulptur
möglich gemacht hat. Der mächtige Schwung dieses
Künstlers hat eben die Eigenschaft, Erinnerungen, wo
sie auch auftauchen, ganz zu seinem bildnerischen
Eigentum zu machen, sie zu neuer Bedeutung zu konzen-
trieren und nur unser eklektisches Zeitalter, das überall
alles verstehen und Zusammenhänge erhaschen will,
nimmt sich nicht die Muße, genau hinzusehen. Milles
Hat zuerst nordische Menschen, nordische Natur, nor-
dische Seele plastisch ausgedrückt, und was ihn wirk-
lich groß macht, ist die leidenschaftliche Tiefe, mit der
er seine Probleme ergreift, der Reichtum seiner Phan-
tasie und die zielbewußte Gewalt, mit der er seine
Gestalten meistert.

Stn unbekannter ptügelaltar des Jvlarx Reich Ucb

oon

6. Scbaffcan^lOten

I 1 eigentlich der Schätzung einer bedeutenden
Wiener Kunstsammlung zum Abschluß einer
Feuerversicherung entdeckte ich dabei eine Reihe von
spätgotischen Tafelbildern, die bisher von Restaurierung
verschont geblieben waren und in die Türen eines
großen Kastens als Füllbilder eingesetzt wurden. Diese
sechs Tafeln von ansehnlicher Größe sind jedenfalls
Reste eines Flügelaltars und gehören, wie schon ein
erster Blick zeigt, zu jener Gruppe von Gemälden, die
um 1500 zwischen der bayrischen Donau und den öster-
reichischen Alpen in großer Zahl entstanden sind, ln
jenen Schulen lagen damals die stärksten Triebkräfte
der süddeutschen Malerei und von hier aus sollte sie
auch die nachhaltigste Regeneration erfahren.

Bilder aus jener Zeit und aus jener Gegend beurteilt
man am besten zuerst nach der Erfassung des Raum-
problems. Gewisse Niederländer, wie der Meister von
Flemalle, hatten im früheren 15. Jahrhundert zuerst den
Blick auf die perspektivische Schönheit des Raumes ge-
öffnet, sei dieser eine weite Landschaft oder ein mit
schon fast modernen Augen gesehenes Interieur. Die-
ser Meister scheint, wie Voss meint, von großer Be-
deutung für die Entwicklung der süddeutschen Raum-
kunst gewesen zu sein, geht doch von ihm jener
allemanische Maler aus, der zum ersten Mal in der nor-

dischen Kunst ein wirkliches Raumempfinden zeigt:
Konrad Witz. Es ist noch immer nicht genügend ge-
klärt, wie sich von Witz aus die Erkenntnis des Rau-
mes nach Osten und nach Südosten, nach Bayern und
nach Tirol also, verbreitet. Wir empfinden nur, wie
die stärkste Persönlichkeit dieses Kreises, Michael
Pacher, bis in die Zeit seines Wolfgangeraltares hinein
von Witz abhängig ist, ja wie auch sein Spätwerk, die
Tafeln des Kirchenväteraltares in München, sich, was
die Raumgestaltung anbelangt, als Fortsetzer der Witz-
schen Auffassung zeigen.

Nun repräsentiert zweifellos Pacher und sein
Kreis in dieser 'süddeutschen Malerei eiine eng-
umrissene, wenn auch sehr weitwirkende einfluß-
reiche Gruppe. Ihren großen Einfluß finden wir
auch in jenem anderen Teil der süddeutschen Male-
rei des ausgehenden 15. Jahrhunderts, die ziemlich
pauschaliter den Namen Donauschule trägt und am
besten durch die Namen des jüngeren Rueland Frueauf
und des mit ihm eng verbundenen Meisters von Groß-
Gmain gekennzeichnet ist. Ist aber die Pachergruppe
—• ich gebrauche diese Bezeichnung im weitesten Um-
fang — durchaus mit der Entwicklung des Raumprob-
lems verbunden, wozu auch die Erfassung der Licht-
wirkung im Raume, speziell im Interieur gehört, so be-

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