gelangte, gestaltete sich dann viel großartiger, freier,
breiter, belebter, als alle Ziele, die auf dem Kontinent
erreicht wurden. Milles hatte nicht nur eine aus-
gesprochen monumentale Begabung einzusetzen, nicht
nur handwerkliche Erfahrung, Unternehmungsmut und
große Intelligenz, sondern vor allem einen Vorrat von
ungebrochenem Gefühl, das seine Gestalten aus der
Tiefe belebte, eine unerhörte, von Gestalten und Figuren
überquellende, dabei im einzelnen ausgesprochen nor-
dische Phantasie und eine nie ermüdende, überall das
plastische Gesetz findende Beobachtung. So wird ihm,
dem ein Kunstwerk eigentlich nie recht fertig zu sein
scheint, jede Aufgabe zu einem neuen Problem, aus dern
seine Gestalt sich entwickelt. Der Monumentalbild-
hauer scheint, ähnlich wie der Architekt, kaum je in dem
Sinn frei, wie ein Kleinplastiker oder ein Maler kleine-
rer Bilder. Immer gilt es, zahllose Rücksichten zu üben,
auf Wünsche des Auftraggebers, auf umgebende Archi-
tektur oder Landschaft, auf die Kosten. Für Milles sind
alle diese Momente ebenso viel Antriebe gewesen. Da-
her die fast unglaubliche Mannigfaltigkeit. Keines sei-
ner Werke gleicht dem andern. Aber immer ist schon
dem ersten Blick der tragende Gedanke unverkennbar
und verrät überzeugend den Sinn des Denkmals. Wir
begnügen uns damit, die allerwichtigsten wenigstens zu
erwähnen: die Schiffahrtssäule in Helsingborg, das
Denkmal für Rudbeckius (den praeceptor Sueciae) in
Wästeras, den Industriebrunnen, den Waldbrunnen (fin-
den Hof des schwedischen Zündhölzer-Konzerns) und
den Sonnensänger (dieser als Denkmal für Esaias Teg-
ner) in Stockholm, den großen Europabrunnen mit der
Europa auf dem Stier und vier gewaltigen/Tritonen in
Halmstad und den Marktbrünnen in Linköping, vielleicht
eines seiner reichsten und charakteristischsten Werke.
Das Thema war hier: die Erinnerung an ein altschwedi-
sches Königsgeschlecht zu feiern, dessen sagenhaften
Stammvater, Folke Filbyter, die Hauptfigur zu Pferde
darstellt; ein Greis, der, seinen von den christlichen
Mönchen verschleppten Enkelsohn suchend, durch das
Land zieht und darüber die Zeit vergißt. Die Bronze-
statue erhebt sich aus einem langen Brunnenbecken -
die ganze Anlage, auf dem städtischen Markt aufgestellt,
ist als Pferdetränke gedacht, schon hierdurch das Volks-
tümliche auf Stärkste betonend. Die mächtige Ver-
schalung aus schwarzen Granitplatten enthält die wich-
tigsten Geschehnisse der frühen Geschichte Schwedens
in Reliefs. Die Elemente der Historie, auf die einfach-
sten Gestalten und Formen zurückgeführt, sind Meister-
werke plastischer Erzählungskunst: es ist unmöglich,
sie nicht zu verstehen, oder sie zu mißdeuten.
Eine ganz andere Aufgabe hatte der vor dem Kunst-
museum in Gotenburg aufzustellende Poseidonbrunnen,
dessen Mittelfigur ein etwa sieben Meter hoher Posei-
don — wie seine Nebengruppen und das riesige Becken
in Bronze ausgeführt — noch der Vollendung harrt. Die
wichtige Seehandelsstadt hatte eine geschichtliche Tra-
dition und die Bedeutung ihrer Lage an der See zu
monumentalisieren, dem Meere selbst sollte gehuldigt
werden. In den geriefelten Seiten, des runden Beckens
sehen und erleben wir die Dinge, die draußen im Meer
vor sich gehen, Tritonen und Nixen, Haifische und
Robben, Spiel und Scherz und Kampf und Schrecken
der Tiefen in immer wechselnden Gruppen, deren jede
ein plastisches Juwel geworden ist.
Mit Verwunderung wird man fragen, wo die Kunst
von Carl Milles eigentlich ihren Ausdrucksmitteln nach
herkommt, da er nur in seinen ersten Werken ein, wenn
auch äußerst erfolgreicher Rodinianer war und bald
alles getan hat, um diesen Einfluß abzustreifen. Die
Antwort ist leicht. Es gibt wenige historische Formen
und wenige Formen in der Natur, die Milles nicht be-
trachtet hat. Das Auftreten eines Künstlers wie Milles
Carl Milles, Zwei Tänzerinnen. Bronze
zwingt durch die Ueberzeugungskraft seiner Gestaltun-
gen zur Revision mancher bislang willig geglaubter
These. Es ist einfach nicht wahr, daß jede Generation
verpflichtet ist, alle Elemente der vorhergehenden
Epoche zu verändern, geschweige denn wie heute, alle
zu vernichten und unorganische Brocken zu präsentie-
ren. Lessing, der sehr tiefe Kunstansichten besaß und
nur Schiffbruch litt, wenn er sie bei seiner höchst
mangelhaften Erfahrung praktisch anwenden wollte,
meinte einmal: „Ein Genie kann nur von einem Genie
entzündet werden“, die wahre Geschlechterfolge der
Kunst ist bisher noch nicht geschrieben. Freilich sind
diese Verwandtschaftsreihen nicht leicht zu erfassen
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breiter, belebter, als alle Ziele, die auf dem Kontinent
erreicht wurden. Milles hatte nicht nur eine aus-
gesprochen monumentale Begabung einzusetzen, nicht
nur handwerkliche Erfahrung, Unternehmungsmut und
große Intelligenz, sondern vor allem einen Vorrat von
ungebrochenem Gefühl, das seine Gestalten aus der
Tiefe belebte, eine unerhörte, von Gestalten und Figuren
überquellende, dabei im einzelnen ausgesprochen nor-
dische Phantasie und eine nie ermüdende, überall das
plastische Gesetz findende Beobachtung. So wird ihm,
dem ein Kunstwerk eigentlich nie recht fertig zu sein
scheint, jede Aufgabe zu einem neuen Problem, aus dern
seine Gestalt sich entwickelt. Der Monumentalbild-
hauer scheint, ähnlich wie der Architekt, kaum je in dem
Sinn frei, wie ein Kleinplastiker oder ein Maler kleine-
rer Bilder. Immer gilt es, zahllose Rücksichten zu üben,
auf Wünsche des Auftraggebers, auf umgebende Archi-
tektur oder Landschaft, auf die Kosten. Für Milles sind
alle diese Momente ebenso viel Antriebe gewesen. Da-
her die fast unglaubliche Mannigfaltigkeit. Keines sei-
ner Werke gleicht dem andern. Aber immer ist schon
dem ersten Blick der tragende Gedanke unverkennbar
und verrät überzeugend den Sinn des Denkmals. Wir
begnügen uns damit, die allerwichtigsten wenigstens zu
erwähnen: die Schiffahrtssäule in Helsingborg, das
Denkmal für Rudbeckius (den praeceptor Sueciae) in
Wästeras, den Industriebrunnen, den Waldbrunnen (fin-
den Hof des schwedischen Zündhölzer-Konzerns) und
den Sonnensänger (dieser als Denkmal für Esaias Teg-
ner) in Stockholm, den großen Europabrunnen mit der
Europa auf dem Stier und vier gewaltigen/Tritonen in
Halmstad und den Marktbrünnen in Linköping, vielleicht
eines seiner reichsten und charakteristischsten Werke.
Das Thema war hier: die Erinnerung an ein altschwedi-
sches Königsgeschlecht zu feiern, dessen sagenhaften
Stammvater, Folke Filbyter, die Hauptfigur zu Pferde
darstellt; ein Greis, der, seinen von den christlichen
Mönchen verschleppten Enkelsohn suchend, durch das
Land zieht und darüber die Zeit vergißt. Die Bronze-
statue erhebt sich aus einem langen Brunnenbecken -
die ganze Anlage, auf dem städtischen Markt aufgestellt,
ist als Pferdetränke gedacht, schon hierdurch das Volks-
tümliche auf Stärkste betonend. Die mächtige Ver-
schalung aus schwarzen Granitplatten enthält die wich-
tigsten Geschehnisse der frühen Geschichte Schwedens
in Reliefs. Die Elemente der Historie, auf die einfach-
sten Gestalten und Formen zurückgeführt, sind Meister-
werke plastischer Erzählungskunst: es ist unmöglich,
sie nicht zu verstehen, oder sie zu mißdeuten.
Eine ganz andere Aufgabe hatte der vor dem Kunst-
museum in Gotenburg aufzustellende Poseidonbrunnen,
dessen Mittelfigur ein etwa sieben Meter hoher Posei-
don — wie seine Nebengruppen und das riesige Becken
in Bronze ausgeführt — noch der Vollendung harrt. Die
wichtige Seehandelsstadt hatte eine geschichtliche Tra-
dition und die Bedeutung ihrer Lage an der See zu
monumentalisieren, dem Meere selbst sollte gehuldigt
werden. In den geriefelten Seiten, des runden Beckens
sehen und erleben wir die Dinge, die draußen im Meer
vor sich gehen, Tritonen und Nixen, Haifische und
Robben, Spiel und Scherz und Kampf und Schrecken
der Tiefen in immer wechselnden Gruppen, deren jede
ein plastisches Juwel geworden ist.
Mit Verwunderung wird man fragen, wo die Kunst
von Carl Milles eigentlich ihren Ausdrucksmitteln nach
herkommt, da er nur in seinen ersten Werken ein, wenn
auch äußerst erfolgreicher Rodinianer war und bald
alles getan hat, um diesen Einfluß abzustreifen. Die
Antwort ist leicht. Es gibt wenige historische Formen
und wenige Formen in der Natur, die Milles nicht be-
trachtet hat. Das Auftreten eines Künstlers wie Milles
Carl Milles, Zwei Tänzerinnen. Bronze
zwingt durch die Ueberzeugungskraft seiner Gestaltun-
gen zur Revision mancher bislang willig geglaubter
These. Es ist einfach nicht wahr, daß jede Generation
verpflichtet ist, alle Elemente der vorhergehenden
Epoche zu verändern, geschweige denn wie heute, alle
zu vernichten und unorganische Brocken zu präsentie-
ren. Lessing, der sehr tiefe Kunstansichten besaß und
nur Schiffbruch litt, wenn er sie bei seiner höchst
mangelhaften Erfahrung praktisch anwenden wollte,
meinte einmal: „Ein Genie kann nur von einem Genie
entzündet werden“, die wahre Geschlechterfolge der
Kunst ist bisher noch nicht geschrieben. Freilich sind
diese Verwandtschaftsreihen nicht leicht zu erfassen
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