betrachtet sie, bevor er in das zweite Zimmer geht, in
dem der Kandidat sich befindet. „Sie haben da wun-
derbare Gemälde“, sagt er, während er den zweiten
Saal betritt, „die rühren gewiß von einem guten flämi-
schen Maler her, und das ist eine ausgezeichnete Schule
für die Farbe! Und nun zu ihren Arbeiten“:
„Monsieur, die meinen haben Sie soeben gesehen“.
„Wie? Es sind diese Bilder?“
„Ja, Monsieur“.
„Oh!“, sagt M. de Largilliere, „stellen Sie sich nur
ruhig der Academie vor, stellen Sie sich nur ruhig vor,
mein Freund!“
Auch Cazes, sein ehemaliger Lehrer, wird durch
diesen Streich getäuscht und bedenkt ebenfalls mit nach-
drücklichem Lob diese Bilder, ohne zu ahnen, daß sic
von seinem „Schüler“ sind. Man sagt, daß er durch
diese Posse ein wenig beleidigt war, aber er söhnte
sich doch alsbald mit ihm aus, ermutigt ihn und über-
nimmt seine Vorstellung. Und die Aufnahme des Herrn
Chardin als Maler von „fleurs, fruits und sujets ä carac-
tere“ wird mit allgemeinem Beifall genehmigt. Die
Academie hatte Verfügungsrecht über die ausgestellten
Werke und behielt zwei von den zehn oder zwölf Ge-
mälden, die Chardin ausgestellt hatte: ein Küchen-
interieur und ein Früchtebild. Chardin empfängt später
verschiedene Aemter in der Academie, so wurde er u. a.
conseiller, dann tresorier und 1757 erhält er vom König
ein „logement“ im Louvre. Das Amt des tresorier lag
ihm fern und war für ihn mit großer Schwierigkeit ver-
bunden. Seine zweite Frau, Frangoise-Marguerite
Pouget, die er zehn Jahre nach dem Tode der
Marguerite Sainctar geheiratet hatte, war ihm hierbei
behilflich . . Sein Leben war beinahe gleichbedeutend mit
der Ausarbeitung seiner Werke, und wenn er auch den
Lakai von Crozat die Treppe herunterwarf, so war er
doch sehr sanft und bescheiden. Er wiederholte oft,
die Malerei sei eine Insel, deren Küsten er gestreift habe.
Neid war ihm fremd. Sehr charakteristisch für seine
sprichwörtliche Gutherzigkeit ist diese Erklärung an
Diderot, in der er die Kritiker um Nachsicht für seine
Kollegen bittet: „Messieurs de la douceur“.
Als Diderot, der ihn 1765 als den ersten Koloristen
des Salons und vielleicht als einen der ersten Koloristen
der Malerei überhaupt erklärt hatte, über seine Akkura-
tesse, die sich mit äußerster Langsamkeit paarte, un-
geduldig wurde, sah er sich, er war unterdessen schon
siebzigjährig, veranlaßt, einen Anlauf zu künstlerischer
Erneuerung zu nehmen; macht Chardin den für ihn ge-
wissermaßen dramatischen Versuch, in neuem Gewände
auf der Bühne der Kunst zu erscheinen. Und der Ver-
such glückt; Chardin, der sich im Pastell versucht
hatte, schuf Werke, die an die von Perronneau und La
Tour heranreichten. Eine Vorstellung von sich selbst
zu geben, wählt er sich als Modell, und in diesem Ver-
such, der ein Meisterwerk ist, stellt er sich wie dar?
In der ganzen „Bonhomie“ seines familiären Lebens, im
Hausanzug, mit Nachtmütze, den „abat-jour“, d. h. einen
Lichtschutz auf der Stirn, — auf der Nase die großen
Brillen und um den Hals den indischen Foulard.
Chardin, dieser Maler, der im 18. Jahrhundert die
„Einfachheit“ des Lebens in der Kunst so trefflich doku-
mentierte, ist am 6. Dezember 1779 in Paris gestorben,
in einem Alter von über achtzig Jahren — genau 150
Jahre sind verflossen.
Befrachtungen aus dev Bibliophilen - Pecfpektioe.
Don Q. A. 6. Bogetig.
Die Briefform als ein Kunstmittcl literarischer Technik ist alt,
sie ergibt sich aus der engen Verbundenheit des Briefes mit dem
Leben und gewinnt nur aus diesem ihre realistische Treue. Wenn
etwa in der Antike ein Briefbuchschreiber diese Einkleidung seines
Werkes wählte, so konnte er aus ihr manche Vorteile ziehen, ohne
gegen die Wahrscheinlichkeit zu verstoßen; die von ihm kompo-
nierten Briefreihen durften für echt, für an einen oder einige
Adressaten wirklich gerichtetes Schreiben gelten. Es war durch-
aus möglich, daß er einer Abhandlung ihre Schwere nahm, indem
er seine Einfälle und Gedanken über einen Gegenstand in einer
Folge von Briefen mitteilte, die in einem festeren oder loseren
Zusammenhang standen. Es kam dann weniger auf einen stren-
gen, systematischen Aufbau seines Werkes an, sondern darauf,
daß er sein Hauptthema in hübschen Wendungen variierte, daß er
die Einwendungen seiner vorausgesetzten Adressaten in diesem
brieflichen Zwiegespräch aufnahm und widerlegte. Oder aber er
konnte in kurzen Briefen abwechselnd und anregend über die ver-
schiedenartigsten Dinge handeln, ohne irgend etwas ausführen zu
müssen. Die Beliebtheit der Briefform ist auch im neuzeitlichen
Schrifttum noch vielfach hervorgetreten. Ebenso wie der Histo-
riker seine Darstellung durch Urkunden ergänzte, versuchte der
Epiker durch Briefe und andere Lebensurkunden, Tagebuch-
aufzeichnungen und ähnliches, seiner Dichtung den Anschein eines
Berichtes geschichtlicher Richtigkeit zu verleihen. Es entstand der
Briefroman, der seine Blütezeit im 17. und 18. Jahrhundert hatte.
Die Epistolographie war im 17. Jahrhundert zu einer gesellschaft-
lichen Kunstfertigkeit geworden, zu einer Mode des Prunkbriefes
rhetorischer Stilisierung, im 18. Jahrhundert zu einer anderen der
Gefühlsschwelgereien. Die Bedeutung eines ausgedehnten und
regelmäßigen Briefwechsels war in diesen Jahrhunderten auf allen
Gebieten auch des praktischen Lebens noch sehr groß, er ersetzte
vielfach noch die Zeitung. Daß eine Gruppe von Briefschreibern
sich über Geschehnisse ihres Kreises ständig durch gegenseitige
Mitteilungen unterrichtete, daß sie solchen persönlichen Nachrich-
ten andere über Zeitereignisse verband, entsprach der Wirklich-
keit. Man schrieb noch ausführliche Briefe. Die Veröffentlichung
der Briefe eines oder mehrerer Korrespondenten konnte einen Aus-
schnitt aus dem Leben zeigen, in dem eine Handlung hervortrat, in
dem die Charaktere der einzelnen Briefschreiber ähnlich wie beim
Drama die Rolle von Spielern und Gegenspielern hatten. Obschon
nun der Briefroman (in einem etwas weiteren Sinne) Meister-
werken höchsten Ranges die Form gegeben hat, Goethes
„Werther“, den „Liaisons dangereuses“ des Choderles de la Clos,
so mußte er doch der Gestaltungskraft mittelmäßiger Poeten sich
versagen, weil sie der ganz außergewöhnlichen dichterischen Kraft-
anstrengung nicht gewachsen waren, gewissermaßen nebenbei aus
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dem der Kandidat sich befindet. „Sie haben da wun-
derbare Gemälde“, sagt er, während er den zweiten
Saal betritt, „die rühren gewiß von einem guten flämi-
schen Maler her, und das ist eine ausgezeichnete Schule
für die Farbe! Und nun zu ihren Arbeiten“:
„Monsieur, die meinen haben Sie soeben gesehen“.
„Wie? Es sind diese Bilder?“
„Ja, Monsieur“.
„Oh!“, sagt M. de Largilliere, „stellen Sie sich nur
ruhig der Academie vor, stellen Sie sich nur ruhig vor,
mein Freund!“
Auch Cazes, sein ehemaliger Lehrer, wird durch
diesen Streich getäuscht und bedenkt ebenfalls mit nach-
drücklichem Lob diese Bilder, ohne zu ahnen, daß sic
von seinem „Schüler“ sind. Man sagt, daß er durch
diese Posse ein wenig beleidigt war, aber er söhnte
sich doch alsbald mit ihm aus, ermutigt ihn und über-
nimmt seine Vorstellung. Und die Aufnahme des Herrn
Chardin als Maler von „fleurs, fruits und sujets ä carac-
tere“ wird mit allgemeinem Beifall genehmigt. Die
Academie hatte Verfügungsrecht über die ausgestellten
Werke und behielt zwei von den zehn oder zwölf Ge-
mälden, die Chardin ausgestellt hatte: ein Küchen-
interieur und ein Früchtebild. Chardin empfängt später
verschiedene Aemter in der Academie, so wurde er u. a.
conseiller, dann tresorier und 1757 erhält er vom König
ein „logement“ im Louvre. Das Amt des tresorier lag
ihm fern und war für ihn mit großer Schwierigkeit ver-
bunden. Seine zweite Frau, Frangoise-Marguerite
Pouget, die er zehn Jahre nach dem Tode der
Marguerite Sainctar geheiratet hatte, war ihm hierbei
behilflich . . Sein Leben war beinahe gleichbedeutend mit
der Ausarbeitung seiner Werke, und wenn er auch den
Lakai von Crozat die Treppe herunterwarf, so war er
doch sehr sanft und bescheiden. Er wiederholte oft,
die Malerei sei eine Insel, deren Küsten er gestreift habe.
Neid war ihm fremd. Sehr charakteristisch für seine
sprichwörtliche Gutherzigkeit ist diese Erklärung an
Diderot, in der er die Kritiker um Nachsicht für seine
Kollegen bittet: „Messieurs de la douceur“.
Als Diderot, der ihn 1765 als den ersten Koloristen
des Salons und vielleicht als einen der ersten Koloristen
der Malerei überhaupt erklärt hatte, über seine Akkura-
tesse, die sich mit äußerster Langsamkeit paarte, un-
geduldig wurde, sah er sich, er war unterdessen schon
siebzigjährig, veranlaßt, einen Anlauf zu künstlerischer
Erneuerung zu nehmen; macht Chardin den für ihn ge-
wissermaßen dramatischen Versuch, in neuem Gewände
auf der Bühne der Kunst zu erscheinen. Und der Ver-
such glückt; Chardin, der sich im Pastell versucht
hatte, schuf Werke, die an die von Perronneau und La
Tour heranreichten. Eine Vorstellung von sich selbst
zu geben, wählt er sich als Modell, und in diesem Ver-
such, der ein Meisterwerk ist, stellt er sich wie dar?
In der ganzen „Bonhomie“ seines familiären Lebens, im
Hausanzug, mit Nachtmütze, den „abat-jour“, d. h. einen
Lichtschutz auf der Stirn, — auf der Nase die großen
Brillen und um den Hals den indischen Foulard.
Chardin, dieser Maler, der im 18. Jahrhundert die
„Einfachheit“ des Lebens in der Kunst so trefflich doku-
mentierte, ist am 6. Dezember 1779 in Paris gestorben,
in einem Alter von über achtzig Jahren — genau 150
Jahre sind verflossen.
Befrachtungen aus dev Bibliophilen - Pecfpektioe.
Don Q. A. 6. Bogetig.
Die Briefform als ein Kunstmittcl literarischer Technik ist alt,
sie ergibt sich aus der engen Verbundenheit des Briefes mit dem
Leben und gewinnt nur aus diesem ihre realistische Treue. Wenn
etwa in der Antike ein Briefbuchschreiber diese Einkleidung seines
Werkes wählte, so konnte er aus ihr manche Vorteile ziehen, ohne
gegen die Wahrscheinlichkeit zu verstoßen; die von ihm kompo-
nierten Briefreihen durften für echt, für an einen oder einige
Adressaten wirklich gerichtetes Schreiben gelten. Es war durch-
aus möglich, daß er einer Abhandlung ihre Schwere nahm, indem
er seine Einfälle und Gedanken über einen Gegenstand in einer
Folge von Briefen mitteilte, die in einem festeren oder loseren
Zusammenhang standen. Es kam dann weniger auf einen stren-
gen, systematischen Aufbau seines Werkes an, sondern darauf,
daß er sein Hauptthema in hübschen Wendungen variierte, daß er
die Einwendungen seiner vorausgesetzten Adressaten in diesem
brieflichen Zwiegespräch aufnahm und widerlegte. Oder aber er
konnte in kurzen Briefen abwechselnd und anregend über die ver-
schiedenartigsten Dinge handeln, ohne irgend etwas ausführen zu
müssen. Die Beliebtheit der Briefform ist auch im neuzeitlichen
Schrifttum noch vielfach hervorgetreten. Ebenso wie der Histo-
riker seine Darstellung durch Urkunden ergänzte, versuchte der
Epiker durch Briefe und andere Lebensurkunden, Tagebuch-
aufzeichnungen und ähnliches, seiner Dichtung den Anschein eines
Berichtes geschichtlicher Richtigkeit zu verleihen. Es entstand der
Briefroman, der seine Blütezeit im 17. und 18. Jahrhundert hatte.
Die Epistolographie war im 17. Jahrhundert zu einer gesellschaft-
lichen Kunstfertigkeit geworden, zu einer Mode des Prunkbriefes
rhetorischer Stilisierung, im 18. Jahrhundert zu einer anderen der
Gefühlsschwelgereien. Die Bedeutung eines ausgedehnten und
regelmäßigen Briefwechsels war in diesen Jahrhunderten auf allen
Gebieten auch des praktischen Lebens noch sehr groß, er ersetzte
vielfach noch die Zeitung. Daß eine Gruppe von Briefschreibern
sich über Geschehnisse ihres Kreises ständig durch gegenseitige
Mitteilungen unterrichtete, daß sie solchen persönlichen Nachrich-
ten andere über Zeitereignisse verband, entsprach der Wirklich-
keit. Man schrieb noch ausführliche Briefe. Die Veröffentlichung
der Briefe eines oder mehrerer Korrespondenten konnte einen Aus-
schnitt aus dem Leben zeigen, in dem eine Handlung hervortrat, in
dem die Charaktere der einzelnen Briefschreiber ähnlich wie beim
Drama die Rolle von Spielern und Gegenspielern hatten. Obschon
nun der Briefroman (in einem etwas weiteren Sinne) Meister-
werken höchsten Ranges die Form gegeben hat, Goethes
„Werther“, den „Liaisons dangereuses“ des Choderles de la Clos,
so mußte er doch der Gestaltungskraft mittelmäßiger Poeten sich
versagen, weil sie der ganz außergewöhnlichen dichterischen Kraft-
anstrengung nicht gewachsen waren, gewissermaßen nebenbei aus
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