hier wiedergegebene Probe, Handschrift und Zeichnung,
hat einen guten Schuß Bürgerlichkeit und Behäbigkeit
in sich; eine spätere Schriftprobe zeigt eine viel ge-
löstere und freiere Schrift.
Bei Menzel reißt uns der Rhythmus mit, der aus
einem starken, manchmal galligen Temperament ent-
springt. Bei Hans Thoma besticht die klassische Ruhe
und Klarheit und Liebermann hat eine eigene Wucht im
Ausdruck.
Doch es gibt gerade heute Künstlerhandschriften,
aus denen sich die Oberflächlichkeit und geistige Ver-
armung ohne Mühe ablesen lassen. Da gibt es nervöse,
dünnblütige, kühle Schriften, denen man den starken
Stimmungswechsel des Künstlers ohne weiteres an-
sieht; da gibt cs kleine, zierliche und infantile Schriften
und intellektuell überlegene. Doch meistens ist eine
Wesensverwandtschaft zwischen Handschrift und
Zeichnung zu spüren.
Eine wichtige Erkenntnis der Graphologie, die die
älteren Graphologen noch nicht hatten, läßt sich, ebenso
wie andere graphologische „Gesetze“, auch auf die
Zeichnung übertragen: es ist die Möglichkeit der Täu-
schung durch die Handschrift; der Schreibende kann
seinen Charakter durch eine Maske verdecken, er kann,
als Schreibender, eine falsche Rolle spielen. Die Fäl-
scher ihres eigenen Wesens fallen jedoch leicht aus der
Rolle, und der erfahrene Graphologe schaut hinter die
Maske. Es gibt ja auch Künstler, die ständig unter
solcher Maske leben, die sich einen fremden „Stil“ an-
hängen, um ihr eigenes Wesen, vielleicht gar ihre Ohn-
macht zu verdecken. Wucht im Duktus der Schrift,
Wucht im Strich der Zeichnung verrät noch lange
nicht Tiefe des Charakters oder der künstlerischen
Erkenntnis.
Was ist durch die Graphologie für die Erkenntnis
der Künstlerpersönlichkeit gewonnen? Ein Schritt
zum Wesen des Menschen, aber nicht zur Ent-
schleierung des Schaffensprozesses. Das Geheimnis ist
auch auf diesem als Experiment interessanten Wege
nicht aufzuspüren. „Nur blitzhafte Einblicke in die
menschliche Seele sind uns geschenkt.“ Doch auch für
diese „blitzhaften Einblicke“ in die Künstlerseele sollten
wir dankbar sein.
Pt'-r' /
P '/S'. -Pet
/ & 2 S'
7-Zi
/
(3^-GL r
Berliner Architektur und Architekten oon heute1)
oon
€L M. Hajos
I-h in wichtiges Tätigkeitsfeld der neuen Großstadt-
architektur bildet das Siedlungswesen und die
großen Wohnungsanlagen in der Peripherie der Stadt.
Die Wohnungsnot der Nachkriegszeit ist noch immer
nicht behoben. Es gibt noch Tausende, die in furcht-
baren, Mietskasernen hausen und ein menschenwürdiges
Obdach dringend benötigten. Die beiden Brüder Taut
arbeiten auf diesem Gebiet und viele Tausende von Woh-
nungen in Siedlungen und Wohnblocks entstanden unter
ihrer Leitung.
L——■——
ü.... *) Siehe „Der .Kunstwanderer“, Jüni- und Juli-Doppelhefte 1929.
Brun o Taut ist ein besonders tätiger und
schöpferischer Vertreter auf diesem Gebiet. Auch in
einer Anzahl literarischer Arbeiten kämpft er für die
neue Achitektur und die Umgestaltung des Wohnungs-
wesens. Schon kurz nach dem Kriege propagierte er mit
einer Gruppe junger Architekten die Notwendigkeit der
neuen Architektur. Unduldsam und enthusiastisch
(phantastische, utopische Schriften begleiteten seine
Tätigkeit: „Der Weltbaumeister“, „Die Auflösung der
Städte“ oder „Die Erde eine gute Wohnung“ u. a.) ging
er von der Uebcrzcugung aus, daß Weiterführen des Ver-
gangenen nicht möglich sei und nur gänzliche Umgestal-
94
hat einen guten Schuß Bürgerlichkeit und Behäbigkeit
in sich; eine spätere Schriftprobe zeigt eine viel ge-
löstere und freiere Schrift.
Bei Menzel reißt uns der Rhythmus mit, der aus
einem starken, manchmal galligen Temperament ent-
springt. Bei Hans Thoma besticht die klassische Ruhe
und Klarheit und Liebermann hat eine eigene Wucht im
Ausdruck.
Doch es gibt gerade heute Künstlerhandschriften,
aus denen sich die Oberflächlichkeit und geistige Ver-
armung ohne Mühe ablesen lassen. Da gibt es nervöse,
dünnblütige, kühle Schriften, denen man den starken
Stimmungswechsel des Künstlers ohne weiteres an-
sieht; da gibt cs kleine, zierliche und infantile Schriften
und intellektuell überlegene. Doch meistens ist eine
Wesensverwandtschaft zwischen Handschrift und
Zeichnung zu spüren.
Eine wichtige Erkenntnis der Graphologie, die die
älteren Graphologen noch nicht hatten, läßt sich, ebenso
wie andere graphologische „Gesetze“, auch auf die
Zeichnung übertragen: es ist die Möglichkeit der Täu-
schung durch die Handschrift; der Schreibende kann
seinen Charakter durch eine Maske verdecken, er kann,
als Schreibender, eine falsche Rolle spielen. Die Fäl-
scher ihres eigenen Wesens fallen jedoch leicht aus der
Rolle, und der erfahrene Graphologe schaut hinter die
Maske. Es gibt ja auch Künstler, die ständig unter
solcher Maske leben, die sich einen fremden „Stil“ an-
hängen, um ihr eigenes Wesen, vielleicht gar ihre Ohn-
macht zu verdecken. Wucht im Duktus der Schrift,
Wucht im Strich der Zeichnung verrät noch lange
nicht Tiefe des Charakters oder der künstlerischen
Erkenntnis.
Was ist durch die Graphologie für die Erkenntnis
der Künstlerpersönlichkeit gewonnen? Ein Schritt
zum Wesen des Menschen, aber nicht zur Ent-
schleierung des Schaffensprozesses. Das Geheimnis ist
auch auf diesem als Experiment interessanten Wege
nicht aufzuspüren. „Nur blitzhafte Einblicke in die
menschliche Seele sind uns geschenkt.“ Doch auch für
diese „blitzhaften Einblicke“ in die Künstlerseele sollten
wir dankbar sein.
Pt'-r' /
P '/S'. -Pet
/ & 2 S'
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Berliner Architektur und Architekten oon heute1)
oon
€L M. Hajos
I-h in wichtiges Tätigkeitsfeld der neuen Großstadt-
architektur bildet das Siedlungswesen und die
großen Wohnungsanlagen in der Peripherie der Stadt.
Die Wohnungsnot der Nachkriegszeit ist noch immer
nicht behoben. Es gibt noch Tausende, die in furcht-
baren, Mietskasernen hausen und ein menschenwürdiges
Obdach dringend benötigten. Die beiden Brüder Taut
arbeiten auf diesem Gebiet und viele Tausende von Woh-
nungen in Siedlungen und Wohnblocks entstanden unter
ihrer Leitung.
L——■——
ü.... *) Siehe „Der .Kunstwanderer“, Jüni- und Juli-Doppelhefte 1929.
Brun o Taut ist ein besonders tätiger und
schöpferischer Vertreter auf diesem Gebiet. Auch in
einer Anzahl literarischer Arbeiten kämpft er für die
neue Achitektur und die Umgestaltung des Wohnungs-
wesens. Schon kurz nach dem Kriege propagierte er mit
einer Gruppe junger Architekten die Notwendigkeit der
neuen Architektur. Unduldsam und enthusiastisch
(phantastische, utopische Schriften begleiteten seine
Tätigkeit: „Der Weltbaumeister“, „Die Auflösung der
Städte“ oder „Die Erde eine gute Wohnung“ u. a.) ging
er von der Uebcrzcugung aus, daß Weiterführen des Ver-
gangenen nicht möglich sei und nur gänzliche Umgestal-
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