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Donath, Adolph [Editor]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 11./​12.1929/​30

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1./2. Märzheft
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Schmidt, Paul Ferdinand: Salomon Geßner: zu seinem 200. Geburtstag am 1. April
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Kuhn, Alfred: Die polnische Kunst der Vergangenheit
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https://doi.org/10.11588/diglit.26238#0268

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hängen des gebauten Raumes, der bergigen Form, mit
geringstem, was den Menschenkörper betrifft: da blieb
er fast immer an dem Gipsvorbild der Antike haften.

Allein, seine redlichen Bemühungen um eine Erlö-
sung zum Natürlichen würden uns wenig bedeuten,
wenn er nicht seine neu errungenen Erkenntnisse in
einer freien Gestaltung von künstlerischem Wert an-
gewandt hätte. Seine auf poetische Verklärung des
Lebens gerichtete Gesinnung hob ihn hoch über ein
bloßes Anfängertum in der Naturnachahmung hinaus.
Schon seine Vignetten von 1762, ja noch frühere Studien
zeigen Gessner auf einer bemerkenswerten Höhe, was
Verwendung naturalistischer Studien anlangt. In den
großen landschaftlichen Radierungen, in den späteren
Zeichnungen und den Guaschlandschaften der 80er
Jahre hat er eine Reife der Darstellung erlangt, die ihn
als Vorläufer der Romantiker erscheinen und die liebe-
volle Begeisterung Ludwig Richters für ihn begreifen
läßt. Hier hat sich die Idyllenpoesie des 18. Jahrhun-
derts eines ganz neuen Mittels von Wahrheit bedient;
das klare Auge des Naturfreundes diente der starken

Empfindung eines Dichters, um seine Visionen von be-
glückendem Raum und heiterem Dasein darin glaubhaft
zu gestalten. Nicht alles, was Gessner in dieser Syn-
these von altmodischem Geist und vorwärts weisender
Naturempfindung geschaffen hat, kann uns begeistern;
wir vermissen die Wahrheit der räumlichen Weite, das
Gefühl für den Horizont und das Dreidimensionale, wir
vermissen vor allem fast überall die Echtheit seiner
Menschen und Tiere. Aber davon ist nun einmal, als
einem unumgänglichen Manko aus der Gesinnung des
18. Jahrhunderts heraus, abzusehen. Was bleibt, ist die
überzeitliche Echtheit des Vordergrundiichen, die Köst-
lichkeiten der radierten Vignetten in erster Linie, und
die große Menschenliebe, die alles Geschaffene brüder-
lich als Ihresgleichen empfindet; ist die Süße und Herr-
lichkeit der Empfindung, die auf dem Wege über das
Kleinste eine Identität von Mensch und Lebensraum
stabiliert. In der Größe der Anschauung und in der
Echtheit des Gefühls für das Unscheinbarste liegt der
Grund, warum wir heute noch Salomon Gessner als
wahren Künstler empfinden.

Die potmfebe Kun(i dev VevQanQ,ent)ett

von

Alft’ed Kubn

Im Zusammenhang mit der Polnischen
Kunstausstellung, die am 13. April in den
Vereinigten Staatsschulen für freie und angewandte
Kunst in Berlin eröffnet werden wird, eine Gegen-
gabe zu der deutschen, die Dr. Alfred Kuhn im
letzten Jahre im Auftrag des Auswärtigen Amtes
in Warschau gezeigt hat, veröffentlicht Kuhn im
Verlage von Klinkhardt & Biermann ein
umfangreiches Buch über die Polnische
Kunst der Gegenwart. Wir bringen daraus
das erste Kapitel im Vorabdruck, illustriert durch
Graphiken aus dem Material der Ausstellung.

| jer Deutsche von heute besitzt keine greifbare Vor-
Stellung von polnischer Kunst, weder von jener
der Vergangenheit noch jener der Gegenwart.
Mancherlei Gründe sind dafür entscheidend. Die deut-
sche Sehnsucht war zu allen Zeiten nach dem Westen
und Süden gerichtet, wo sie Klärung, Ergänzung, Erlö-
sung suchte, oder auch nach dem Norden, wo sie das
eigene Wesen in höchster Steigerung erblickte. Als
Ende des 19. Jahrhunderts und Anfang des 20. Jahr-
hunderts das Licht im Osten aufging, da leuchtete es in
Gestirnen Rußlands oder des fernen Asiens und ließ im
Dunkel, was näher sich abspielte.

Vielleicht aber ist auch lange die Erscheinung der
polnischen bildenden Kunst selbst daran schuld gewe-
sen, die im ganzen gesehen, ein so durchaus
europäisches Gesicht zeigte, deren Vertreter noch im
19. Jahrhundert ihre Lehrjahre in Paris, Rom, Wien und
München verbrachten, die also dem Bedürfnis des Frem-

den nach Andersartigkeit kaum entgegenkam, ge-
schweige denn jenen befriedigen konnte, der den Atem
des Ostens in ihr suchte.

Diese Tatsache ist begründet in Polens geschicht-
licher Stellung als politisches Gebilde. Früh schon
christianisiert, jedoch Rom anhängend, ist ein dauern-
der Gegensatz zu den griechisch-katholischen Slaven
an seinen östlichen Grenzen gegeben. Seine Vergan-
genheit ist seit dem 16. Jahrhundert erfüllt von
Kämpfen gegen Rußland, und die größten Ruhmestaten
seiner Könige sind die Siege gegen Moskau gewesen:
Stefan Batory und Wladyslaw IV. erstrahlen hell als
seine Ueberwinder. Es ist nicht ohne Tragik, daß Polen
seine Aufgabe darin erhielt, einen Wall für den Westen
gegen andere östliche Nationen zu bilden, mit denen es
sicherlich mancherlei verband, daß es als Brücke zwi-
schen Abend und Morgen zu dienen hatte und alle
Konflikte einer Mittlerstellung erfahren mußte.

Denn auch einen festen Anschluß an seine west-
lichen Nachbarn hat Polen auf die Dauer nicht finden
wollen. Im 13. und 14. Jahrhundert ist noch eine rege
Beziehung zu Deutschland vorhanden, eine ausgedehnte
deutsche Kolonisation vollzieht sich. Bis heute zeigen
die Marktplätze von Gnesen, Posen, Sandomir, Krakau,
Lublin, Wieliczka Leczyca den Kulturcharakter ihrer
Erbauer. Aber schon Kazimierz der Große empfand
die Gefahr, die sich ergeben mußte, wenn ein förm-
licher Staat in seinem Staate blühte — nahmen doch

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