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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 11./​12.1929/​30

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1./2. Septemberheft
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Arens, Franz: Ein Wiedererwachender: Michelangelo da Caravaggio
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Peter, Kurt von: Fantin-Latour
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https://doi.org/10.11588/diglit.26238#0036

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michelangelesker und venetianischer Ziele — ist bei diesem kurz-
lebigen Lombarden (1569?—16Ö9) volle Wirklichkeit geworden: hier
geht tatsächlich höchste Plastizität und starke Bewegtheit Hand
in Hand mit sehr subtilem Farbengefühl. Und dazu kommt nun
noch die Einführung des Lichts als eines Sonderfaktors der Kom-
position, der, von allen Eiigenmögliohkeiten ganz zu schweigen,
auch das Wunder zustande bringt, drängendste Wucht des Körper-
lichen zu einer spezfiisch malerischen Angelegenheit zu machen.
Es ist klar, daß ein Gestalter solchen Maßes kein gewöhnlicher
„Naturalist“ sein kann; dennoch darf man sagen, daß Caravaggio
die naturhafte Erscheinung in der Tat aus der Bedingtheit durch
Kompositionsschema und dramatische Pose befreit hat. Trotzdem
wäre es zu viel behauptet, wenn man sagen wollte, daß dieser
leidenschaftliche Südländer, der ja sein Südländertuin auch in der
starken Verwirklichung des Plastischen bekundet, allem Pathos
feind gewesen wäre. Italiener, Barockitaliener, ist auch er.

Die starke Aufmerksamkeit, die die moderne italienische For-
schung dem lombardischen Michelangelo zuwendet, bleibt dennoch
nur zu oft auf das Artistisch-Technische konzentriert. Um so er-
freulicher, daß neuerdings auch deutsche Kunstgelehrte sich mit der
Ergründung seines Wesens, der Darbietung seines Werkes höchst
aktiv befassen,. Nicht freilich, daß Caravaggio als Gegenstand der
Forschung bei uns erst hätte entdeckt werden müssen! Schon
vor langen Jahren hat der frühverstorbene Wollfgang Kallab ihm
ein bedeutendes Essey gewidmet, Witting ein feines Büchlein über
ihn geschrieben; natürlich ist auch Weisbach in seinen Arbeiten
über Manirismus und Barock auf den lombardischen Meister ein-
gegangen, und vor allem hat Hermann Vos,s, wie fast zu allen Prob-
lemen der italienischen Nachrenaissancekunst, auch zu denjenigen
der Caravaggiokritik eindringlich Stellung genommen.

Dennoch fehlte es bisher an Büchern, die, sei es mit umfassen-
der illustrierter Ausrüstung, sei es mit der vollen Leidenschaft
monographischer Vertiefung an Caravaggio und sehr Werk heran-
gegangen wären. Und es scheint eine Art deutscher Caravaggi-o-
Renaissance zu bedeuten, daß das letzte Jahr gleich zwei solcher
Veröffentlichungen auf den Plan gerufen hat.

Da ist vor altem Ernst Benkard in Frankfurt, einer der
einfühlungs- und temperamentsstärksten unter unseren wissenschaft-
lichen Kunstbetrachtern! Seine „Caravaggiostudien“ (Berlin-
Wilmersdorf, Heinrich Keller, 1928) sind, freilich mehr eine Mono-

graphie, die mit äußerster kritischer Vehemenz gegen 'die von der
Ueberlieferung geheiligten Bildzuschrabungen Sturm läuft. Aber in
diesen kritischen Bildanalysen steckt eine unerhörte Lebendigkeit,
die nachzuerleben allen an’s Herz gelegt sein mag, die etwa jeg-
liche Beschäftigung mit historischen Fragen für eine leblose Sache
halten möchten. Nur möchte es freilich gestattet sein, Benkards
radikaler Skepsis einen gewissen Grad zuwartender Antiskepsis ent-
gegenzusetz: schließlich ist ein Baglione, obschon Gesinnungs-

antipode und erst lange nach des Meisters Tode seine Aufzeichnun-
gen redigierend, eben doch als Zeitgenosse zu werten, und, was
man bis heute noch nicht wiedergefunden hat, kann der morgige Tag
aufdecken. Auch ist es gefährlich, von einem einzigen Werke
(dem Mathaeuszyklus in S. Langd zu Rom) die Kriterien für alles
übrige Schaffen eines Künstlers zu entnehmen, noch dazu unter
Voransetzung eines (fast möchte man sagen: obligatorischen) Maxi-
mums an Radikalismus. Dennoch: erst, wenn Benkhard alles, was
er über Caravaggio zu sagen hat, herausgesagt haben wird, wird
es möglich sein, uns über den Gesamtumfang von dessen Oeuvre
klar zu werden.

Weniger „umwälzende“ Absichten verfolgt Leopold Zahn
mit seinem „Caravaggio“ (Berlin, Albertus-Verlag, 1938). Einem
prächtig reproduzierten Bildmaterial (das ja bei Benkard die
schwache Seite bleibt) gibt er einen wohlabgewogenen Einführungs-
essay und aufschlußreiche Bildanmerkungen bei, dazu freilich noch
etwas Außergewöhnlicheres: Aeußerungen eines schaffenden Künst-
lers von heute. Dieser junge Mater Georg K i r s t a ist auf Grund
sehr ernsthafter Erwägungen der Ansicht, daß gerade Caravaggio
den heutigen Malern tiefste, förderndste Aufschlüsse, zu vermitteln
vermag: durch die Konzentration auf die Menschengestalt, Heraus-
arbeiten des „Vollgewichts“, ja, durch das „große Wissen, das so
oft bei ihm das Sehen ersetzt“ (ob nun wohl der selige Merisi selbst
dieser Formel zugestimmt haben würde?). Mag man manches an
diesen Feststellungen allzudogmatisch finden: es tut doch auf alle
Fälle wohl, so tiefer Einfühlung eines lebenden Malers in das
Schaffen eines alten Kunstgenüssen zu begegnen. Das Vergangene
ist also wohl doch nicht so ganz unwiederbringlich tot? Und wer
kann wohl immer Voraussagen, ob nicht schon der kommende Tag
es zu aktuellem Leben aufwecken wird? Bei Michelangelo da
Caravaggio scheint dieser Tag der Neuerweckung in der Tat un-
mittelbar bevorzustehen.

Fanttnslatout?.

Don Kuct oon Petet?

Aus der Dauphine stammend trug er im Leben etwas von der
Zähigkeit und der Verschlossenheit der Bergbewohner. Wie
Gustave Moreau, wie Degas liebte er Isolierung, wenn er auch
„der Meister der Freundschaft“ war, wie ihn Anatole France ge-
nannt hat. Und Distinktion strahlen seine Werke aus und sind ihr
eigentümlichster Charakter.

Sein Vater Jean-Theodore war Pastellmaler, sein Großvater
Offizier des Kaiserreichs. Er arbeitete zuerst mit seinem Vater und
wurde von diesem auf die klassischen Maler hingewiesen, dann bei
Lecog de Boisbaudran, der weniger durch seine Bilder bekannt war
als durch seine „Enseignements artistiques“, die besonders das
malerische Gedächtnis erziehen wollten. Kurze Zeit war er dann
in der „Ecole des Beaux-Airts“ und kam dann zu Lecoq zurück; auch
besuchte er das Atelier von Courbct. Besonders aber lernte er
im Louvre, wo er Whistler und Manet kannte und deren Freund er
blieb. Whistler war schon mit ihm bei Lecoq gewesen. Nicht
minder treu, blieb er zeitlebens dem Museum: Und die Kopien nach
den alten Meistern nehmen in seinem Oeuvre einen beinahe so
großen Platz ein wie bei Ricard, dem Schöpfer des wunderbaren
Porträts der Madame de Calonne. Die Maler, die um die Mitte
des 19. Jahrhunderts debütieren, sind nicht in dem Sinne revolutio-
när und „Autodidakten“, daß sie die Seele der Vergangenheit miß-
achten, Manet kopierte Velasquez, Degas, Pomssin und Ribot, den

unser Meister bei Bonoin traf, Watteau. Fantin widmet sich ins-
besondere den Venezianern Tizian, Tintoretto, Veronese, Rubens
und Delacroix, bei dten Koloristen findet er die Heimat seines Talen-
tes, und seine Kopien sind glänzende Werke „eigenen“ Wertes.
Die Verehrung inspiriert auch einen großen Teil seiner originalen
Werke, das Verlangen zu glorifizieren; Stendhal, Hugo, Bandelaire,
Weber, Schumann, Berlioz, Wagner, Delacroix, Manet.

1861 stellt Fantin zum ersten Mal im Salon aus. Im selben
Jahr fährt er nach England, und zurückgekehrt, bewundert er die
Kapelle „des Saints-Ang.es“, die Delacroix soeben ausgemalt. Schon
zwei Jahre später, am 13. August 1863, stirbt der erhabene Führer,
der der jüngeren Generation als das große malerische Talent galt,
als der Befreier von dem akademischen, dem theatralischen Stil,
und am 3. September hat Fantin, wie es die Zeichnung der Samm-
lung Moreau-Nekton zeigt, den ersten Gedanken zu seinem ersten
großen Werk „l’Hommage ä Delacroix“ zu Papier gebracht. Zwar
hatte Bandelaire, Shakespeare, Byron, dem Meister nahe Genien
in Gruppierung um Delacroix zu zeigen, anfänglich geraten. Aber
Fantin zieht eine andere Apothese vor. Die Franz Hals-Kopie
eines belgischen Malers gibt ihm Idee für eine neue Schöpfung; und
er malt eine Komposition, in der kein gegenwartsfremdes Element
ist, in der die Personen Porträts, Freunde und Kampfgefährten des
Meisters sind, die in Liebe und Bewunderung, stummer Klage, ge-

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