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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 11./​12.1929/​30

DOI Heft:
1./2. Februarheft
DOI Artikel:
Möhle, H.: Die Ausstellung des Paramentenschatzes der Danziger Marienkirche: Oktober-November 1929
DOI Artikel:
Unus, Walther: Carl Milles
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.26238#0219

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Häufig gibt es an den aus dem Orient und Italien
erworbenen Stoffen einheimisch-deutsche oder nord-
europäische Stickereien. Sie stehen oft an künst-
lerischem Wert nicht hinter den italienischen und orien-
talischen Brokaten zurück, wenngleich sie von deren
Glanz und repräsentativer Pracht etwas beiseite ge-
drängt werden. Der Reiz dieser Stickereien auf den
Kasein und anderen liturgischen Stoffen liegt — im
Gegensatz zu den immer sich wiederholenden Mustern
der Webstuhlarbeiten — in der Intimität und abwechs-
lungsreichen Amnut und individuellen Feinheit der
Stichführung.

Die Danziger Ausstellung zeigt eine Reihe südost-
deutscher Stickereien im sog. Kreiselsonnenmuster, die
an Feinheit, seidigem Glanz und Zartheit der Farben
und Formen das Meiste hinter sich lassen, was es auf
dem weiten Gebiet textiler Künste überhaupt gibt. Der
auf Abb. 3 wiedergegebene Nackenscbild mit der Dar-
stellung der Madonna mit dem Kind und Engeln im Gar-
ten, der aus Böhmen stammt, vermittelt schon in der
Reproduktion einen Eindruck von der seltenen Schön-
heit der Fadenführung und dem Glanz der Oberfläche.

Unter den übrigen Stoffen mit Stickereien, Altar-
decken, Mittelstücken, Meßhandtüchern u. a. überwiegen
die norddeutschen Arbeiten und zeigen die
Beziehungen Danzigs zu den nordischen Ländern, zum
Rheinland und zu England, dessen Stickereien ja im 14.
und 15. Jahrhundert den Vorrang hatten. Eines der ent-
zückendsten Stücke ist das in Abb. 4 wiedergegebene
Mittelstück (Unterlage für das Corporale) aus weißem
Leinendamast, auf dem in wundervoller Frische der
Farben und einer an Miniaturmalerei erinnernden Zier-
lichkeit und Feinheit der Zeichnung die Kreuzigung
Christi mit Maria und Johannes, vier weiblichen Hei-
lgen und Engeln dargestellt ist, eingerahmt von Wellen-
ranken mit anmutig verästelten Blättern und Blüten-
zweigen; in den Ecken die Symbole der vier Evange-
listen. Die Arbeit ist norddeutsch und stammt aus der
ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Der unten ange-
setzte Granatmustersamt ist italienisch.

Zuletzt mag von dem reichen Bestand an nord-
europäischen Stickereien des 14. und 15. Jahrhunderts
noch eine kleine Gruppe von Perlenstickereien
erwähnt sein, die, im allgemeinen unserm heutigen Ge-
schmack nur noch wenig erträglich, in einigen schönen
Stücken interessante Aufschlüsse geben. Eine deutsche
Parura (Besatz eines Schultertuches) aus der ersten
Hälfte des 15. Jahrhunderts gemahnt mit seiner Dar-
stellung von vier liegenden Hunden daran, daß man mit
der symbolischen Motivendeutung der mittelalterlichen
Kirchengewänder sehr vorsichtig sein muß, da oft die
kirchlich-liturgische Verwendung der Stoffe noch nicht
in der Absicht der Hersteller gelegen hat; in unserem
Fall handelt es sich wahrscheinlich um das Besatzstück
eines Gürtels rein weltlicher Art, der erst später seine
liturgische Bestimmung erhielt.

Der starke Eindruck dieser Ausstellung des
Danziger'Parameritenschatzes ist ein doppelter: ästhe-
tisch reizvoll und überaus selten ist vor allem die
gleichmäßig hohe Qualität und überaus schöne Erhaltung
dieser Fülle von Kostbarkeiten, kunst- und kulturhisto-
risch von überwältigender Wirkung das einheitlich-
monumentale Bild einer weltweiten, außerordentlich
gepflegten Kultur im deutschen Nordosten. Nach der
Herbstausstellung des Paramentenschatzes von St.
Marien bleibt es nicht mehr zweifelhaft, daß er neben
dem Stadtbild Danzigs das bedeutsamste Zeugnis die-
ser künstlerischen Kultur darstellt; darum war es ein
großes Verdienst, ihn endlich in seiner Gesamtheit vor-
zuführen.

Nun darf man mit Spannung der ausführlichen
katalogartigen Publikation des Schatzes entgegensehen,
die Mannowsky vorbereitet, und die neben den Abbil-
dungen aller Stücke auch gute Details in großem Format
bringen wird. Darüber hinaus aber möchten wir hoffen,
daß Mittel und Wege gefunden werden, durch die eine
ungehinderte Besichtigung der Originale bei guten
Lichtverhältnissen möglich wird, damit eines der größ-
ten Kulturgüter des deutsehstämmigen Ostens lebendig
erhalten bleibt. Das wäre die schönste Frucht der
Danziger Herbstausstellung.

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Jh inheit der Tendenz ist für jedes Kunstwerk lebens-
-L-'4 notwendige Bedingung. Aller Reichtum, alle viel-
fältigen Beziehungen, alle Deutungsmöglichkeiten
müssen um einen Mittelpunkt gesammelt sein. Und am
augenfälligsten ist diese Notwendigkeit bei Werken der
monumentalen Kunst. Die große Plastik zu Ende des
19. Jahrhunderts konnte so oft nicht zu einem bedeu-
tenden Ausdruck gelangen, weil der Urantrieb sich nicht

2 Linus

nachdrücklich durchzusetzen vermochte, oft überhaupt
an sich nicht kräftig genug war. Von dieser Schwierig-
keit und Schwäche hat Carl M i 11 e s sich bereits
in den Jahren seiner ersten Erfolge befreit, also
schon, da er noch in vielen Aeußerlichkeiten Rodins
Schüler und Gefolgsmann zu sein schien. Die Werke
seiner ersten Periode, heute über seinen mächtigen
Werken der letzten 15 Jahre fast vergessen, dokumen-

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