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Donath, Adolph [Editor]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 11./​12.1929/​30

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1./2. Februarheft
DOI article:
Steinbart, Kurt: Holländische Museen
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https://doi.org/10.11588/diglit.26238#0225

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Amsterdam, den Haag, Haarlem.

Unter allen holländischen Museen steht das Reichs-
museum in Amsterdam an weitaus hervorragender
Stelle. Die Haupt-, wenn auch nicht Residenzstadt des
Landes, stellte immer wieder Mittel bereit, die Bereiche-
rung brachten. Der im Gegensatz zu uns Deutschen
nüchterner und sparsamer veranlagte holländische
Charakter überwand in diesem Falle sich selbst, wo
es galt, der eigenen Nation und der internationalen
Welt, die so reich durch Amsterdam strömt, den Spie-
gel großer künstlerischer Vergangenheit vorzuhalten.

Zu dem heutigen geschlossenen Eindruck der
holländischen Malerei von hauptsächlich zwei Jahr-
hunderten trägt die nach dem Kriege, etwa seit 1922
stetig und aus einheitlichem Gesichtspunkt heraus voll-
zogene Neuordnung der Bestände erheblich bei. Im
Gegensatz zur Vorkriegszeit, in der ein ungeregeltes
Durcheinander jede leitende Idee in der Gruppierung
vermissen ließ, erfährt jetzt der Besucher, ohne daß er
einen Zwang spürt, eine progressive Führung von ca.
1500 bis ca. 1700, indem einzelne Meister im gleichen
Raum beieinander hängen, und, soweit die Bestände
ausreichen, einen ganzen Raum auch geschlossen
füllen. Ein Rundgang durch die zahlreichen Kabinette
und Säle des obersten Stockwerkes, das die Gemälde-
sammlung birgt, leitet etwa auf der Mitte des Weges
zum Glanzpunkt, zu Renault und seiner für sich auf-
gestellten, zu besonderer Sammlung auffordernden
,,Nachtwache“, um dann in einer Flucht weiterer
Kabinette die intime Vertiefung in die bedeutenden
Kleinmeister des 17. Jahrunderts zu bieten. Die Wan-
derung ist in dieser Art Kombination von selten auf-
und abschwingendem Zauber, so daß wohl an keiner
Stelle Europas die vielseitigen Aeußerungen hollän-
discher Malerei intensiver genossen werden können.

Das letzte Jahrfünft brachte wichtige Neu-
erwerbungen und Stiftungen, indem der Nachdruck auf
dem 17. Jahrhundert lag, zumal es immer schwieriger
wird, frühe Bilder des 15. Jahrhunderts oder aus dem
Beginn des 16. Jahrhunderts aufzutreiben. Es ist
dankenswert, daß es gelang, aus Alkmaar die originellen
sieben Barmherzigkeitstafeln eines unbekannten hollän-
dischen Meisters von 1504 zu erwerben, auf die man
gleich zu Anfang stößt. Auch das Triptychon eines
Delfter Meisters gehört noch nicht lange zu den festen
Beständen. Von ganz großer Wichtigkeit sind jedoch
erst die hinzugetretenen Stücke des 17. Jahrhunderts.
Da fesselt ein Gemälde Buytewechs, auf dem Kavaliere
mit ihren Damen, frisch und flott gemalt, sich präsen-
tieren. Eine tüchtige Arbeit, welche die Leistung eines
Dirk Hals stark in den Schatten stellt. Dessen gegen-
überhängende „Festlichkeit im Park“ vermag trotz der
größeren und ausgedehnteren Komposition das

Kabinettstück Buytewechs keineswegs hinsichtlich
Qualität zu schlagen. Aus den Beständen der Samm-
lung Six gingen die kleine Skizze Rembrandts zur Ana-
tomie Prof. Deymanns und ein Interieur Pieter de
Hooghs in den Besitz des Reichsmuseums unter Zuhilfe-
nahme städtischer Mittel über. Der Erwerb dei
Rembrandtzeichnung war in Anbetracht der nur frag-
mentarisch vorhandenen Anatomie eine Notwendigkeit.
Der Entwurf steht neben dem Gemälde und heischt
somit selbständige Ergänzung des großen, im Brande
zerstörten Stückes. Die Phantasie erhält freien Spiel-
raum, obwohl sie mit dem noch bestehenden Teile
gerade genug zu tun hat. Denn dieser Leichnam, in
Montagnasker Verkürzung auf den Betrachter zulau-
fend, wirkt in seiner Vereinsamung so großartig, daß
der Verlust der weiteren Umgebung kaum verspürt
wird. Es liegt ein verklärender Schimmer über dem
Tod, das Grauen schweigt, ein Genius rührt mit unge-
heuerlich dünkender Schlichtheit an die letzten Dinge.
Und gegen die Anatomie Deymanns gehalten mutet die
„Nachtwache“ in ihrer grandiosen Prunkthaftigkeit fast
äußerlich an. Der Pieter de Hoogh kann sich selbst
nach erfolgter Reinigung, die eine vorher verdeckte
Statuette auf dem Türstumpf zum Vorschein brachte,
nicht neben den anderen hier befindlichen Arbeiten des-
selben Meisters halten. Vielleicht sind die Verblasen-
heit und Kühle auf das Konto des Erhaltungszustandes
zu schreiben, der besonders in den Lasuren leider nicht
mehr einwandfrei erscheint. Um so glücklicher ist der
Ankauf des Bildes von Metsu, das eine Mutter mit ihrem
kranken Kinde auf dem Schoße darstellt. Der offen-
sichtliche Einfluß Vermeers verleiht dem Interieur einen
Einschlag von Wärme, an dem das Figürliche teilnimmt.
Schönheit der Töne und Gestaltung des Mitleids um den
armen kleinen Körper halten sich die Wage. Kein
Schrei, kein Aufbäumen gegen das Schicksal, sondern
stille Ergebenheit, die wissendem Menschentum kon-
form ist!

Der Schritt von hier aus zum Schaffen des 19. Jahr-
hunderts ist nicht so groß, wie es der Zeit nach schei-
nen könnte. Van Goghs Zimmer in Arles, voll natür-
licher Primitivität und außerordentlicher Eindrucks-
kraft in Erfassung der Materie teilt bei aller vehementen
Sachlichkeit die Freude am Innenraum mit den Bestre-
bungen des 17. Jahrhunderts. Holland nimmt ihn mit
Recht als seinen großen Sohn in Anspruch, und das
Reichsmuseum, dem Rechnung tragend, vereinigt im
Flügel des Erdgeschosses, das die Malerei des 19. Jahr-
hunderts gesondert enthält, in reicher Zahl beste Werke
seiner Hand, von denen keins durch die kürzlich akut
gewordene Fälscheraffäre berührt sein dürfte. Wie
van Gogh ist auch Israels im Reichsmuseum mit Arbei-
ten der letzten Spanne sehr viel vorteilhafter vertreten
als im Städtischen Museum, das wohl van Goghs be-

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