kannten Sämann besitzt, sonst aber beim Erwerb von
Gemälden dieses Künstlers kaum gut beraten war, das
wohl einen .ganzen Saal mit Arbeiten Israels führt, die,
als 'Früh'werke vielleicht historisch interessant, so voll
äußerlichen, sentimentalen Bombastes sind, daß dem
respektvollen und in seiner Auswirkung nach Deutsch-
land wichtigen Können des Meisters mit dieser Art
Repräsentation schlecht gedient ist. Aber das Städtische
Museum hat sich im Grunde genommen eine andere
Aufgabe zu eigen gemacht: Ausstellungen lebender
Künstler zu veranstalten und selber gleichsam Kunst-
geschichte zu machen, indem es das Stärkste für sich zu
erwerben trachtet und somit der Gegenwart einen
Dienst leistet, den die Zukunft auf ihren Wert hin zu
prüfen haben wird.
Während das Reichsmuseum in Amsterdam durch
Einsammeln und Weiterleitung der für Anfang 1930 in
London stattfindenden Ausstellung holländischer Kunst,
die ein Hauptereignis zu werden verspricht, im Augen-
blick alle Hände voll tun hat, bereits das Kgl. Museum
(Mauritshuis) in den H a a g den Katalog für diese
große Schau mit wissenschaftlicher Sorgfalt vor. Der
Neuerwerbungen sind im Mauitshuis nicht zahlreiche.
Das Gemälde Terborchs aus der Sammlung Six, ein
Mädchen im Zimmer beim Lesen eines Briefes wieder-
gebend, kurz „Der Brief“ genannt, wurde von privater
Seite großzügig geschenkt. Liebevolles Eingehen auf
Details des Binnenraumes und des Kostiimlichen paart
sich mit einer Innigkeit im Gestalten seelischer Anteil-
nahme und einem höchst vornehmen Geschmack für
subtile Malerei. Ein Meisterwerk, das den vollauf be-
friedigen kann, der nicht Maßstäbe an dasselbe legt, die
Rembrandt und Rubens sich stellten. Die Anatomie
Prof. Tulps, wesentlich früher als das Fragment in
Amsterdam entstanden, bedeutet unendlich mehr, ver-
größert die Distanz zwischen Beschauer und Bild
gegenüber der Arbeit Terborchs um ein Vielfaches. Ein
Gelehrtentum, in höfischer Grandezza versammelt,
schaart sich zum ernsthaften Studium um den Leich-
nam, wird mit helldunkelartigem Gefunkel- vom 26jähri-
gen Rembrandt überflutet und in die zeitlose Sphäre
nie erlöschenden Wissensdranges gehoben. Rubens
war glücklicher veranlagt, faßte mehr den blutvollen
Stern rauschenden Lebens und umwob die Gestalt der
Helene Fourment, eine der köstlichsten Erscheinungen
in dem Haag, mit dem blühenden Reichtum aller Sinne
und der reifen Fülle des Weibes in glühender, mittäg-
licher Zeit.
Holländischer und vlamischer Geist stehen nicht
anders gegenüber als germanisch-romanischer. Der
Verwandte Rembrandts ist Frans Hals, der im Haar-
le einer Museum, das seinen Namen trägt, sein
Wesen erschließt. Man mag vor den vielen, nicht über-
all gut erhaltenen und ungünstig restaurierten
Schützenstücken die Bravour der Pinselführung im
Bunde mit den Trägern des Impressionismus bewun-
dern, aber man ist letzten Endes von der glanzvollen
Technik nicht ergriffen. Bis nach langer Wanderung
der letzte Raum das Wunder erschließt: Die
Regentinnen des Altmännerhauses. Wie es dem 64jäh-
rigen Frans Hals in diesem Breitbilde von beträcht-
lichem Ausmaß gelang, die Porträts der vier alten
Frauen, wissend um das unendliche Leid der Welt, ins
Schicksalhafte hinaufzuschrauben, so daß tiefstes Weh
in nächster Nähe turmhaft zu drohen und zu erdrücken
scheint, das bleibt unvergeßlich und einzig dastehend,
nur noch von Rembrandt in Alterswerken erreicht.
Rotterdam.
Der Leitung des Museums Beymans in Hollands
zweitgrößter Stadt Rotterdam ist eine Rührigkeit nach-
zusagen, wie sie in der Intensität kaum sonst im hollän-
dischen Kunstwesen angetroffen wird. Schmidt-
Degener, der jetzt dem Reichsmuseum in Amsterdam
seit einer Reihe von Jahren vorstcht, ist in dem treff-
lichen Hannema ein würdiger Nachfolger erwachsen.
An Hand eines brauchbaren, wenn auch nicht end-
gültigen Kataloges, ist ein leichtes Studium gewähr-
leistet. Die Bestände sind, soweit es in dem alten,
völlig unzureichenden Bau möglich ist, mit Geschmack
und historischem Verständnis geordnet. Ein reizvolles
Bildchen Jan de Cocks „Pilger und Teufel“, letzthin er-
worben, mehrt den Saal der Primitiven, unter denen
der „Apostel Johannes in Landschaft“ aus der Nähe des
Dierck Bouts und das Schülerbildnis Scorels von 1531
zu den anziehendsten Werken gehören. Zwei Leih-
gaben von besonderer Qualität überraschen, so daß ver-
sucht werden sollte, sie festzuhalten: Ein beinahe im
Sinne der neuen Sachlichkeit geformtes Stilleben, viel-
leicht von der des Corn. J. Delff, läßt die Uebergangs-
zeit um 1610 in neuem, höhere Wertung forderndem
Lichte erscheinen; die Ansicht Rotterdams Ludolf de
Tonghs, voll Herbheit in Architektur und Landschaft,
präzisiert in den Formen, abgewogen im schlicht-war-
men Kolorit, hält den Vergleich mit ersten Leistungen
ähnlicher Vorwurfsart aus.
Die hauptsächlichsten Bemühungen aber galten der
Abteilung neuerer Malerei und Skulptur. Da keine Mög-
lichkeit bestand, die Erwerbungen des 19. und 20. Jahr-
hunderts sämtlich im Museum Boymans aufzuhängen
und zu stellen, wurde eine provisorische Lösung dahin-
gehend getroffen, daß der Hauptteil der modernen Gale-
rie in einem ganz nahe liegenden Saale der ehemaligen
Bibliothek Platz fand. Ich greife das Wichtigste her-
aus, um die Art der Ankäufe zu kennzeichnen.
Van Goghs frühe holländische Periode wird mit den
Kartoffelessern und der altmeisterlich-tonigen Ansicht
von Nuenen bestens beleuchtet. Die Seeigel Monticellis
bieten den vollen Genuß hochwertiger impressionisti-
scher Malweise. Pissaros „Hügel von Anvers“ zeigen
den Meister um 1875 in der Blüte des Schaffens. Die
Ansicht „Marlotte“ von J. Maris stellt den holländischen
Hagemeister ausgezeichnet heraus. Die „Fischerfrau
am Fenster“ von Israels verrät in Ausdruckskraft und
Technik einen beachtenswerten Rang. Herbins
Stilleben ist eins der klarsten und reifsten Stücke des
nicht immer gleich glücklichen Franzosen. Und end-
lich rundet die Plastik das Bild: Archipenco, Maillol,
216
Gemälden dieses Künstlers kaum gut beraten war, das
wohl einen .ganzen Saal mit Arbeiten Israels führt, die,
als 'Früh'werke vielleicht historisch interessant, so voll
äußerlichen, sentimentalen Bombastes sind, daß dem
respektvollen und in seiner Auswirkung nach Deutsch-
land wichtigen Können des Meisters mit dieser Art
Repräsentation schlecht gedient ist. Aber das Städtische
Museum hat sich im Grunde genommen eine andere
Aufgabe zu eigen gemacht: Ausstellungen lebender
Künstler zu veranstalten und selber gleichsam Kunst-
geschichte zu machen, indem es das Stärkste für sich zu
erwerben trachtet und somit der Gegenwart einen
Dienst leistet, den die Zukunft auf ihren Wert hin zu
prüfen haben wird.
Während das Reichsmuseum in Amsterdam durch
Einsammeln und Weiterleitung der für Anfang 1930 in
London stattfindenden Ausstellung holländischer Kunst,
die ein Hauptereignis zu werden verspricht, im Augen-
blick alle Hände voll tun hat, bereits das Kgl. Museum
(Mauritshuis) in den H a a g den Katalog für diese
große Schau mit wissenschaftlicher Sorgfalt vor. Der
Neuerwerbungen sind im Mauitshuis nicht zahlreiche.
Das Gemälde Terborchs aus der Sammlung Six, ein
Mädchen im Zimmer beim Lesen eines Briefes wieder-
gebend, kurz „Der Brief“ genannt, wurde von privater
Seite großzügig geschenkt. Liebevolles Eingehen auf
Details des Binnenraumes und des Kostiimlichen paart
sich mit einer Innigkeit im Gestalten seelischer Anteil-
nahme und einem höchst vornehmen Geschmack für
subtile Malerei. Ein Meisterwerk, das den vollauf be-
friedigen kann, der nicht Maßstäbe an dasselbe legt, die
Rembrandt und Rubens sich stellten. Die Anatomie
Prof. Tulps, wesentlich früher als das Fragment in
Amsterdam entstanden, bedeutet unendlich mehr, ver-
größert die Distanz zwischen Beschauer und Bild
gegenüber der Arbeit Terborchs um ein Vielfaches. Ein
Gelehrtentum, in höfischer Grandezza versammelt,
schaart sich zum ernsthaften Studium um den Leich-
nam, wird mit helldunkelartigem Gefunkel- vom 26jähri-
gen Rembrandt überflutet und in die zeitlose Sphäre
nie erlöschenden Wissensdranges gehoben. Rubens
war glücklicher veranlagt, faßte mehr den blutvollen
Stern rauschenden Lebens und umwob die Gestalt der
Helene Fourment, eine der köstlichsten Erscheinungen
in dem Haag, mit dem blühenden Reichtum aller Sinne
und der reifen Fülle des Weibes in glühender, mittäg-
licher Zeit.
Holländischer und vlamischer Geist stehen nicht
anders gegenüber als germanisch-romanischer. Der
Verwandte Rembrandts ist Frans Hals, der im Haar-
le einer Museum, das seinen Namen trägt, sein
Wesen erschließt. Man mag vor den vielen, nicht über-
all gut erhaltenen und ungünstig restaurierten
Schützenstücken die Bravour der Pinselführung im
Bunde mit den Trägern des Impressionismus bewun-
dern, aber man ist letzten Endes von der glanzvollen
Technik nicht ergriffen. Bis nach langer Wanderung
der letzte Raum das Wunder erschließt: Die
Regentinnen des Altmännerhauses. Wie es dem 64jäh-
rigen Frans Hals in diesem Breitbilde von beträcht-
lichem Ausmaß gelang, die Porträts der vier alten
Frauen, wissend um das unendliche Leid der Welt, ins
Schicksalhafte hinaufzuschrauben, so daß tiefstes Weh
in nächster Nähe turmhaft zu drohen und zu erdrücken
scheint, das bleibt unvergeßlich und einzig dastehend,
nur noch von Rembrandt in Alterswerken erreicht.
Rotterdam.
Der Leitung des Museums Beymans in Hollands
zweitgrößter Stadt Rotterdam ist eine Rührigkeit nach-
zusagen, wie sie in der Intensität kaum sonst im hollän-
dischen Kunstwesen angetroffen wird. Schmidt-
Degener, der jetzt dem Reichsmuseum in Amsterdam
seit einer Reihe von Jahren vorstcht, ist in dem treff-
lichen Hannema ein würdiger Nachfolger erwachsen.
An Hand eines brauchbaren, wenn auch nicht end-
gültigen Kataloges, ist ein leichtes Studium gewähr-
leistet. Die Bestände sind, soweit es in dem alten,
völlig unzureichenden Bau möglich ist, mit Geschmack
und historischem Verständnis geordnet. Ein reizvolles
Bildchen Jan de Cocks „Pilger und Teufel“, letzthin er-
worben, mehrt den Saal der Primitiven, unter denen
der „Apostel Johannes in Landschaft“ aus der Nähe des
Dierck Bouts und das Schülerbildnis Scorels von 1531
zu den anziehendsten Werken gehören. Zwei Leih-
gaben von besonderer Qualität überraschen, so daß ver-
sucht werden sollte, sie festzuhalten: Ein beinahe im
Sinne der neuen Sachlichkeit geformtes Stilleben, viel-
leicht von der des Corn. J. Delff, läßt die Uebergangs-
zeit um 1610 in neuem, höhere Wertung forderndem
Lichte erscheinen; die Ansicht Rotterdams Ludolf de
Tonghs, voll Herbheit in Architektur und Landschaft,
präzisiert in den Formen, abgewogen im schlicht-war-
men Kolorit, hält den Vergleich mit ersten Leistungen
ähnlicher Vorwurfsart aus.
Die hauptsächlichsten Bemühungen aber galten der
Abteilung neuerer Malerei und Skulptur. Da keine Mög-
lichkeit bestand, die Erwerbungen des 19. und 20. Jahr-
hunderts sämtlich im Museum Boymans aufzuhängen
und zu stellen, wurde eine provisorische Lösung dahin-
gehend getroffen, daß der Hauptteil der modernen Gale-
rie in einem ganz nahe liegenden Saale der ehemaligen
Bibliothek Platz fand. Ich greife das Wichtigste her-
aus, um die Art der Ankäufe zu kennzeichnen.
Van Goghs frühe holländische Periode wird mit den
Kartoffelessern und der altmeisterlich-tonigen Ansicht
von Nuenen bestens beleuchtet. Die Seeigel Monticellis
bieten den vollen Genuß hochwertiger impressionisti-
scher Malweise. Pissaros „Hügel von Anvers“ zeigen
den Meister um 1875 in der Blüte des Schaffens. Die
Ansicht „Marlotte“ von J. Maris stellt den holländischen
Hagemeister ausgezeichnet heraus. Die „Fischerfrau
am Fenster“ von Israels verrät in Ausdruckskraft und
Technik einen beachtenswerten Rang. Herbins
Stilleben ist eins der klarsten und reifsten Stücke des
nicht immer gleich glücklichen Franzosen. Und end-
lich rundet die Plastik das Bild: Archipenco, Maillol,
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