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]ahrgang 193© 1-/2 juhtiett
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Max 1. fviedländev
Ende September wird bei Paul Cassirer in
Berlin der zweite Teil der weltberühmten Wiener Samm-
lung Figdor versteigert werden, der in der Hauptsache
aus alten Gemälden und Plastiken besteht. Für den
Katalog der Bilder schrieb Geheimrat Dr. Max J. Fricd-
länder, der Direktor der Staatlichen Gemäldegalerie
Berlin das Geleitwort. Der Berliner Kenner gab dem
„Kunstwanderer“ die freundliche Genehmigung, dieses
Geleitwort hier als Erstdruck zu veröffentlichen.
Die Redaktion.
\\/er den Wiener Sammler gekannt hat, zu dessen
’ " Hinterlassenschaft die Gemälde dieser Verstei-
gerung gehören, weiß, daß dem Verfasser des Kataloges
nicht viel zu tun übrig geblieben war. Albert Figdor
lebte durch Jahrzehnte in und mit seiner Sammlung,
empfing viele kenntnisreiche Gäste, zeigte und erklärte
die unendliche Fülle der Gegenstände, verstand es
auch, zu fragen, sich zu erkundigen und zu hören. Er
erforschte, merkte sich, und notierte alles, was irgend-
wie zur Aufklärung in bezug auf Ort und Zeit, auf Sinn
und Bedeutung eines jeden Kunstwerkes beitragen
konnte. Mit enthusiastischem Gefühle für Kunstwerke
verband er eine ernste Neigung zu antiquarischer
Gelehrsamkeit.
Figdor war kein Bildersammler im eigentlichen
Sinne. Die Gemälde waren ihm nicht willkommen als
Mittel der Dekoration, auch nicht als die Schöpfungen
berühmter Meister, vielmehr fügten sie sich bescheiden
ein in den Organismus seines Besitzes, berichteten und
zeugten wie die Möbel, die Bildwerke, wie der Hausrat
von dem Leben der Vergangenheit — nicht nur mit
Form und Farbe, sondern auch mit dem Inhalt. Ein
gemütvolles, drolliges oder drastisches Motiv, selbst ein
dargestelltes Möbel oder Gerät konnten ihm ein Ge-
mälde begehrenswert erscheinen lassen. Wie er
Speisegeräte und Trinkgefäße sammelte, freute er sich,
in einer bildlichen Darstellung zu sehen, wie die
Menschen in seiner Zeit und in seinem Lande, die Ge-
fäße ergriffen, das Gerät benutzen. So beseelten sich
ihm die toten Ueberbleibsel. Und doch sind die Bilder,
die im Dickicht der unerschöpflich reichen und mannig-
faltigen Sammlung kaum bemerkt werden, mehr als
bildliche Anekdoten oder kulturgeschichtliche Illustra-
tionen. Ein Kunstkenner von verfeinertem und empfind-
lichem Geschmack hat sie gewählt.
Die Bilder sind zunächst namenlos, und sicherlich
ist keiner des Namens wegen in die Sammlung auf-
genommen worden. Von dem bedenklichen Aberglau-
ben und der Abgötterei, die gegenwärtig mit den Autor-
namen getrieben wird, war dieser skeptisch urteilsfähige
Kunstfreund völlig frei. Und noch ein Vorzug, für den
das Verständnis zu dämmern beginnt: die Gemälde sind
gut erhalten, nämlich nicht verschönt, ergänzt oder ge-
fällig gemacht. Mit tiefer Ehrfurcht vor dem Originale
verabscheute Figdor jede Restaurierung, die über die
Schonung des erhaltenen Bestandes hinausging, und
wenn er seiner urbanen und abgeklärten Höflichkeit
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]ahrgang 193© 1-/2 juhtiett
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Max 1. fviedländev
Ende September wird bei Paul Cassirer in
Berlin der zweite Teil der weltberühmten Wiener Samm-
lung Figdor versteigert werden, der in der Hauptsache
aus alten Gemälden und Plastiken besteht. Für den
Katalog der Bilder schrieb Geheimrat Dr. Max J. Fricd-
länder, der Direktor der Staatlichen Gemäldegalerie
Berlin das Geleitwort. Der Berliner Kenner gab dem
„Kunstwanderer“ die freundliche Genehmigung, dieses
Geleitwort hier als Erstdruck zu veröffentlichen.
Die Redaktion.
\\/er den Wiener Sammler gekannt hat, zu dessen
’ " Hinterlassenschaft die Gemälde dieser Verstei-
gerung gehören, weiß, daß dem Verfasser des Kataloges
nicht viel zu tun übrig geblieben war. Albert Figdor
lebte durch Jahrzehnte in und mit seiner Sammlung,
empfing viele kenntnisreiche Gäste, zeigte und erklärte
die unendliche Fülle der Gegenstände, verstand es
auch, zu fragen, sich zu erkundigen und zu hören. Er
erforschte, merkte sich, und notierte alles, was irgend-
wie zur Aufklärung in bezug auf Ort und Zeit, auf Sinn
und Bedeutung eines jeden Kunstwerkes beitragen
konnte. Mit enthusiastischem Gefühle für Kunstwerke
verband er eine ernste Neigung zu antiquarischer
Gelehrsamkeit.
Figdor war kein Bildersammler im eigentlichen
Sinne. Die Gemälde waren ihm nicht willkommen als
Mittel der Dekoration, auch nicht als die Schöpfungen
berühmter Meister, vielmehr fügten sie sich bescheiden
ein in den Organismus seines Besitzes, berichteten und
zeugten wie die Möbel, die Bildwerke, wie der Hausrat
von dem Leben der Vergangenheit — nicht nur mit
Form und Farbe, sondern auch mit dem Inhalt. Ein
gemütvolles, drolliges oder drastisches Motiv, selbst ein
dargestelltes Möbel oder Gerät konnten ihm ein Ge-
mälde begehrenswert erscheinen lassen. Wie er
Speisegeräte und Trinkgefäße sammelte, freute er sich,
in einer bildlichen Darstellung zu sehen, wie die
Menschen in seiner Zeit und in seinem Lande, die Ge-
fäße ergriffen, das Gerät benutzen. So beseelten sich
ihm die toten Ueberbleibsel. Und doch sind die Bilder,
die im Dickicht der unerschöpflich reichen und mannig-
faltigen Sammlung kaum bemerkt werden, mehr als
bildliche Anekdoten oder kulturgeschichtliche Illustra-
tionen. Ein Kunstkenner von verfeinertem und empfind-
lichem Geschmack hat sie gewählt.
Die Bilder sind zunächst namenlos, und sicherlich
ist keiner des Namens wegen in die Sammlung auf-
genommen worden. Von dem bedenklichen Aberglau-
ben und der Abgötterei, die gegenwärtig mit den Autor-
namen getrieben wird, war dieser skeptisch urteilsfähige
Kunstfreund völlig frei. Und noch ein Vorzug, für den
das Verständnis zu dämmern beginnt: die Gemälde sind
gut erhalten, nämlich nicht verschönt, ergänzt oder ge-
fällig gemacht. Mit tiefer Ehrfurcht vor dem Originale
verabscheute Figdor jede Restaurierung, die über die
Schonung des erhaltenen Bestandes hinausging, und
wenn er seiner urbanen und abgeklärten Höflichkeit
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