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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 11./​12.1929/​30

DOI Heft:
1./2. Februarheft
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Schaffran, Emerich: Ein unbekannter Flügelaltar des Marx Reichlich
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https://doi.org/10.11588/diglit.26238#0224

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und Tura, sondern weist in die Lombardei. Man sehe
sich auf dieser Tafel besonders die linke Gruppe an und
von dieser wieder den ganz vorne stehenden Mann iin
Talar. Das ist nicht venezianische Terraferma, sondern
diese Gewandung und diese statuarische Haltung ge-
hören dem Foppa und dem Borgognone. die selbst wie-
der manches von Ghirlandajo bezogen haben, an den un-
sere Figur auch indirekt erinnert. Auch die prächtige
Malerei der Straße auf dem Geißelungsbild weist auf
stark verarbeitete lombardische Vorbilder, und cs sei
zum Vergleich auf eine Reihe von kleinen Tafelbildern

Marx Reichlich. Um 1520 gestorben

in der Estensiischen Sammlung hingewiesen, die ich,
noch ohne jede Bindung, einem Lombarden, vielleicht
einem Comasken, um 1470 zuweisen möchte.

Die beiden Passionstafeln und jene der Disputation
sind ferner auch die besten Belege, wie sehr der Künst-
ler der Wiener Tafeln die Anregungen Pachcr’s in der
Interieurmalerei weiterzuführen und im Sinne der neuen
Zeit zu modifizieren versteht. Hier sind wohl deutlich
venezianische Vorbilder durchzufühlen, doch hängen
sie nicht wie Blcigewichter am Schaffen des Meisters,

sondern werden von ihm sehr geschickt in eine echt
nordische Intimität umgewandelt.

Die Szenen der übrigen Flügelteile spielen sich in
freier Landschaft ab. Diese Tafeln sind schwächer und
man könnte, wenigstens nach der Photographie, leicht
zu dem Schluß kommen, es hätte hier eine andere Hand
gearbeitet. Doch die Betrachtung vor dem Original ge-
stattet diese Annahme nicht. Die Tafeln sind zur Gänze
von einem Künstler gemalt, von Einem ist auch das
weiche, mehr tonige als gotisch-harte Kolorit, und auf
eine Hand weist ferner die Formung der Köpfe und
der sehr charakteristischen Hände.

Die Frage der Zuweisung der Bilder kann hier in
diesem Rahmen nur kurz gestreift werden. Die nach-
gewiesene enge Verbindung der Wiener Tafeln mit
Michael Pacher stellt diese in den alpinen Teil der am
Anfang dieser Ausführungen gekennzeichneten Gruppe.
Die Bilder gehören nicht nach Passau, Regensburg oder
Ulm, aber auch nicht nach Salzburg, sie sind deutlich
Tiroler Herkunft. Nun ist aber in diesem Land als
Nachfolger und Fortsetzer Pachers nur ein Künstler
näher bekannt, nämlich Marx Reichlich, während ein
anderer Tiroler Schüler des Brune,eker Meisters Simon
von Taisten die gotische Tradition seines Lehrers nie
überschritt (siehe seine Fresken in Obermauern bei
Lienz in Osttirol). In die Renaissance hinein reicht nur
Reichlich. Die von ihm bekannten Bilder in Salzburg
(St. Peter) und München (alte Pinakothek) können ohne
besondere Mühe mit den vorliegenden Tafeln in Ueber-
einstimmung gebracht werden. Schwerer ist es mit
den für Reichlich gesicherten Bildern in Wüten und
Augsburg. Aber die Entwicklung dieses interessanten
Künstlers läßt auch Heterogenes auf einen gemein-
samen Nenner bringen.

Der Meister dürfte bis 1494 in Tirol gearbeitet
haben, dann lebt er bis gegen die Jahrhundertwende in
Salzburg und schafft 1499 für das steirische Stift St.
Lambrecht ein großes Altarwerk, das leider verschollen
ist. Bilder in München und in Schleißheim gehören dann
schon ganz dem 16. Jahrhundert an und als reiner
Renaissancemeister scheint Marx Reichlich um 1520 ge-
storben zu sein. Er malte ferner 1508 Fresken in der
Burg Runkelstein und gehörte vorübergehend auch dem
Künstlerkreis Kaiser Maximilian I. an.

Die volle Freiheit der Renaissancegestaltung zeigte
Reichlich erst in den nach 1505 gemalten Bildern. Die-
ser Zeit gehören die Wiener Tafeln noch nicht an, sic
entsprechen vielmehr dem Uebergangsstil Reichlichs
bei seiner Loslösung aus der unmittelbaren Enge der
Pacher’schen Tradition.

(Literatur: Otto Fischer, Marx Reichlich und die tirolische
Malerei in Salzburg, Mitteil. d. Gesellsch. f. Salzburger Landes-
kunde, 1907. — Stiassny, Altsalzburger Tafelmalerei, Jahrbuch der
allerh. Kunstsammlungen, 1903. — Von demselben, Michael Pachers
St. Wolfganger Altar, Wien 1919. — Hermann Voss, Der Ursprung
des Donaustiles, Leipzig 1907.)

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