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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 11,2.1898

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Heft 22 (2. Augustheft 1898)
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Vom Tage
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https://doi.org/10.11588/diglit.7956#0332
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1?om

* Jn den altenWipfeln im Sachsen-
rvalde, die Bismarcks letzte Ruhe-
statt bewachen sollen, mird noch man-
chen Winters Sturm vom Vergehen und
manchen Frühlings Vogellied vomAuf-
erstehen singen, bis das geistige Bild
des grotzen Toten annähernd in gleicher
Gestalt vor all seinen Deutschen steht.
Noch wird cs gefälscht durch Liebe und
Hatz, die beide ihrc Auffassung dieses
Mannes wie eine GlaubenSsache fest-
halten, dcren blotze Prüfung als ver-
letzender Eingrifs ins eigene Jnnere
empfunden wird. Und selbst für dcn
wirklich unbefangencn Kleineren ist es
ja so schwcr, in dem als grotz Gefühl-
ten den wirklichen Kern zu finden. Ver-
langren doch gerade Bismarcks Ziele,
daß dieser Kern ost verborgen wurde,
Lenn wer die Massen bewegen will,
mutz sich ihnen zeigen, wie sic's ver-
stehen können.

Es kann keine Frage sein: Bismarck
war der größteBeeinflusserder deutschen
Volksseele, den unser Jahrhundert ge-
sehen hat. Und er ward es aus sich
selber heraus, denn er ward nicht nahe
einem Throne geboren, wo der Zufall
der Geburt die groben und feinen Mittcl
der Beeinflussung um den Gekrönten
häuft. Wie er sich auch nach und nach
die äutzere Macht zugewann, was man
empfand, wenn er besahl, wenn er
wollte, war immer seine Persünlich-
keit. Er bcherrschte das Wort sür die
Massen, er gab den Massen selbst
Phrasen, wo er's für nötig hielt —
„wir Deutschen fürchtcn Gott und sonst
nichts in der Welt", welch leichtere
Schmeichelrede für die Vielen ward je
so sicher ins Ziel geschnellt! Aber er
beherrschte auch das Wort für die
Klugen, denen er gute Gedankcn in
klarster Form, für die künstlcrisch Em-
pfänglichen, denen er sie in kostlich
plastischcn Bildern gab. Er bannte und
bezauberte durch Wort und Blick. Und
so beweglich war scin Geist, datz trotz
aller Widersprüche seiner Natur der
Künstler, der er war, in jedem
Augenblicke das überzeugt ver-
trat, was der Denker und Woller in
ihm zu vertreten befahl. Ob unsre
politische Meinung zu Hatz uns oder
zu Liebe stimmte, bewundern mutzten
wir ihn alle, die nicht blind waren.
Selbst bei seinen Gegnern aber siegte
dor Groll nicht ohne inneren Kampf.
Denn innner empsand man inBismarck
als wesentlich eine geistigc Kraft,und

Tklge.

welchcr Geistige empfändc das nicht
mit Lust? Wenn er die Macht erstrebte,
aber den Prunk verschmähte, wenn er
im autzeramtlichen Verkehr nicht das
mindeste auf Titel und Würden aber
allcs auf das Leuchten guter Gehirne
gab, wenn cr durch das Blitzen scines
Zorns die bestgewaffneten Gegner bis
zur Ohnmachr vcrwirrte, wenn cr dann
wicder auS echt germanischem Gefühls-
und Phantasiehumor Worte münzte,
über deren Prägung der Schlichtestc und
der Feinstfühlige gleich herzlich lachen
mutztcn, so fühlten selbst die freiesten
Geister für diesen Junker, halb widcr-
willig vielleicht, noch bosseres als Be-
wunderung. Das Volk aber vcrgötterte
ihn, nicht nur als den „Schöpfer des
deutschcn Reichs", sondorn weil es in
ihm verkürpcrt sah sein Jdeal vom
Manne. Man wird mich nicht miß-
verstehen, wenn ich behaupte: mie
iininer man übcr Bismarck denken
mug, im ästhetischen Sinne war
ohneZweifclleinDeutscher seitFriedrich
dem Grotzen cine glcich gcwaltige Er-
schcinung. Die Naturschönheit dcr ger-
manischen Herrenrasse hat in ihm einen
wcit über Raum und Zcit hinstrahlen-
den Gipfel erreicht.

Und das, so denkc ich, kann uns
darüber trösten, datz sein Verhältnis
zur Kunst als solcher kühl war, wenn
er auch echten Geist überall zu schützen
wutzte und an literarischer Bildung
unvergleichlich hoch übcr denPuttkamer
und Köller stand. Wer,wie wir, die Kunst
als die Führorin gcrade zum tiefsten
Genutz des Lebens erfatzt, wird leicht
verstehen, dast einc so übermenschlicki
reich lebende Persönlichkoit nach dieser
Führerin kaum vcrlangt. Vielleicht
mutzte eincm Bismarck das Verständ-
nis abgehcn für dic Bedcutsamkeit der
Kunst für andcre, für ihreBedcutung als
einendc Vermittlerin dcs Fühlens der
Atenschen untereinander, als Erweckerin
der trüumenden Keime im Empfinden
und Schauen, als sonnenhafte Ent-
wicklerin der Saaten des Herzens, als
Trägerin der innercn Erlebnissc von
MenschengeschlechtzuMenschengeschlecht
noch da, wo der bcgrissliche Gedanke
erlahmt. Unmittclbar hat Bismarck
die deutschc Kunst kaum nennenswert
gefördert. Mittelbar aber hat auch er
sic bcreichcrt und wird cr's weitcr thun,
je mehr die Zeit das Allzuzeitliche von
ihm nimmt. Und würe es nur, datz
er die Freude am Persönlichen durch
 
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