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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 13,1.1899-1900

DOI Heft:
Heft 6 (2. Dezemberheft 1899)
DOI Artikel:
Sommer, Hans: Von der "Internationalen Musik-Gesellschaft"
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https://doi.org/10.11588/diglit.7959#0239
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Der rührigen Firma und ihren ausgedehnten Druckereien ist das neue
Feld der Bethätigung, das damit erschlossen wird, gewitz zu gönnen und hosfent-
lich wird hier nicht gelten, was der erwähnte Aufruf vom Musik-Schaffen sagt,
datz nämlich „die Produktion mehr quantitativ als qualitativ bedeutend" sei.
Wir Tonkünstler andererseits haben wahrlich keine Veranlassung, die rettende
Hand, deren wir so sehr bedürfen, ohne weiteres zurückzuweisen, umsoweniger
wohl, als das Geplante recht ersprießlich werden kann, wenn es wohlmeinend
und im rechten Sinne durchgesührt wird. Jst das aber zu erwarten? Viel-
leicht iü es doch nicht überflüssig, vom Standpunkte der schasfenden Musiker
aus die viel verheißenden Worte des Aufrufs daraufhin näher anzusehen.

Etwas bedenklich kommt es uns schon vor, datz den Grotzmeistern der
Tonkunst, denen auch wir höchste Verehrung zollen, Spohr und Meperbeer ohne
weiteres zugezählt werden: der Eine ein liebenswürdiges, doch gewitz nicht bahn-
brechendes Talent, der Andere sehr begaln, aber immer dem Essekt, der „Wir-
kung ohne Ursache" in der internationalen grotzen Oper nachgehend. Solche
Ehrenplätze wären Mendelssohn, Schumann, Chopin oder Liszt, die die
Romantik weitergeführt und die moderne Klaviermusik begründet haben, doch
wohl eher zu gönnen gewesen.

Noch mehr aber mutz jeden, dec die Verhüttnisse unbefangen überblickt,
die Auffassung befremden, als ob bisher der musikalische Himmel voller erster
Geigen gehangen habe. Die Firma meint, nicht nur die Musik, sondern auch
ihre Meister haben immer im höchsten Ansehen gestanden; nun aber sei plötz-
lich ein „tiefer Einschnitt" zu bemerken, ein „Niedergang der Tonkunst" sei
„mehr als zu befürchlen", der „an Virtuosität und Massigkeit erfahrungsgemätz"
zu erkennen und der durch die Unfähigkeit der jetzigen Generation verschuldet
sei. Wir ersahren übrigens nicht, wo „Virtuosität und Massigkeit das Musik-
leben beherrschen", und noch weniger ist ersichtlich, welcher Musikperiode die
Firma die Erfahrung entnommen hat, datz hierin „untrügliche Zeichen eines
musikgeschichtlichen sdiNiederganges" zu erblicken ; denn wenn, ihrem eigenenZeug-
nis zufolge, „seit Jahrhunderten ein Schöpfergenie unmittelbar auf das andere
solgte", so hat es vordem „Niedergänge", die dem scharfen Blicke der Herren
Breitkops L Härtel Erfahrungen hätten liefern können, offenbar nicht gegeben.

An Klagen über den Verfall der Musik hat es dagegen niemals ge-
fehlt. Schon Mattheson erwähnt ihrer im i- Kapitel feines „Neu-Erüffneten
Orchestre", wo er alsbald folgendermaßen ihnen entgegentritt: .... „es sey
nun der Mitzbrauch oder der Unverstand schuld daran, so wird es nicht un-
dienlich seyn, mit wenigen die Ursachen solchen Unheils zu untersuchen, und
s.rtem Ipsurn g.b inä>§nis irnperitisque ejns cnltoribns st inArntis nnäitoribns
wol zu sepLriren, damit jener nicht mit Unrecht und per clbnsuin irnputiret
werde, was eintzig diese verbrochen haben und noch verbrechen." Ats Mattheson
im Jahrc i?iz dieses schrieb, standen Bach und Händel, auch Keiser und Schür-
mann in der Blüte ihres Schafsens. Schon damals also habcn die Klagenden
den Wald vor Bäumen nicht gesehen, und so ist es wahrlich geblieben bis auf
den heutigen Tag.

Die Herren Breitkopf L Härtel berichten nun weiter, datz „die Folgen
des Mangels eines allieitig anerkannten geistigen Führers sich bemerklich zu
machen begmnen". Wer war denn das bisher? Jft denn j e m a l s Jrgendwer
als Führer allseitig anerkannt worden?

Wohl waren alle unsere Grotzen geistige Führer, insofern ihr Genie
uns ungeahnte Welten erschlotz. Mit der allseitigen Anerkennung ihrer Bc-

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