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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,1.1902-1903

DOI Heft:
Heft 8 (2. Januarheft 1903)
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Bonus, Arthur: Begeisterungsreden
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https://doi.org/10.11588/diglit.7615#0583
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„Diefe Versammlung ist daher der Ansicht, daß kein berechtigter
Grund mehr vorliegt, zu erwarten, daß durch eine Fortsetzung des
Krieges das Volk seine Unabhängigkeit erhalten könne, und sie glaubt,
daß untcr diesen Umständen das Volk nicht berechtigt ist, den Krieg
sortzuführen, da dies nur zu dem sozialen und materiellen Untergang
nicht nur oon uns selbst, sondern auch von unseren Nachkommen sühren
kann."

Man sieht, diese Leute in Vereeniging haben Grund, eindrucksvoll
zu sprechen, und man sieht aus einigen Beiwörtern „unerhört", „fürchter-
lich'L ,,aus scheußliche Weise", daß sie das wissen. Mit Ausnahme diescr
wenigen Wörter haben sie die Tatsachen sprechen lassen und nichts sonst.
Darin liegt die Wirkung dieses Schriststückes; darin das Ueberzeugende
des auf die sechs Punkte folgenden Absatzes.

Nun höre man sich an, wie einige hundert Meilen vom Schauplatz
der deutsche Begeisterungsredner diese Dinge melodramatisiert:

„Schwer ruht die Hand Gottes aus dem Burenvolke. Zwei Jahre
schon wütet in ihrern Lande der Krieg, die Farmen sind zerstört, die
Fluren verwüstet, in Trümmern liegt, was sie dem Bodcn in harter
Arbeit, der Wildnis in heißem Kampse abgcrungen.

„Die Männer im Felde können solches Schicksal ertragen: Jn
ihrem Arme ruht die Waffe, in dem Kampfe von Freihcit und Recht
schweigt sür sie der Anspruch aus ruhiges Glück.

„Aber der Greis, dem die Waffe entsank, das Weiü, dem das
keusche Reich des Hauses gehört, das Kind, das hoffnungssroh vom
Leben goldene Früchte sordert —^ sie leiden und sterben heaite in Elend
und Not. Dcnn erbarmungslos ist der Krieg und er kennt keine
Schonung u. s. w."

Jch kann es verstehen — und ich will das ausdrücklich sagen,
damit meine Aussührungen nicht mißverstanden werden — wenn ein
prophetischer oder dichterischer Geist eine bedeutsame Wirklichkeit so Lies
in Glanz und Glut und in Unendlichkeiten eingetaucht sieht, daß cine
starke zwingende Anschauung ihn diese Dinge in Purpur und Feuer
kleiden läßt. Das ist dann seine Art und sür ihn die einsachste Art.
Aber hier ist überhaupt keine Anschauung. Also die Haud Gottcs ruht
schwer aus dem Burenvolke? Daß das englische Heer sich gerne als
Hand Gottes betrachten lassen wird, will ich glauben; nnd wenn dcr
rämpfende Bur in seinem Schicksal die Hand Gottes erkennt, so will ich
ehrsurchtsvoll schweigen. Aber wir hier? Wir haben gar nicht das
Recht, aus sremde Kosten sromm zu sein. Wir empfinden auch gar nicht
so und haben nicht so empsunden. Es ist einfach Phrase. Wir haben
weder Ruhe noch Gott in senem Schicksal gesehen. So unecht und
hinkend die Phantasie, so unwahr der ganze Tonsall: Gcrührtes Ge-
winsele im — Lapidarstil. Dieser Stil entsteht echter Weise, wo ein
sehr großer Jnhalt behaltbar, klangvoll in wenige Worte gepreßt werden
soll, womoglich wie eben aus den Steinen, den lapickss, von denen er
seinen Namen hat, wo ein ganzes Lebenswerk in eine kurze und doch
charakterisierende Jnschrift soll. Dicser Stil der Denkmäler ist so
außerordentlich selten anwendbar, ohne Pose zu verraten, und wird
so außerordentlich ost von unseren Begeisterten angewendet. Seine
Sätze erinnern an Burgen mit ausgezogenen Vrücken, möglichst große

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