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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 17,2.1904

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Heft 14 (2. Aprilheft 1904)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.7886#0082
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I^ose Llättrr.

R«s neuen ^orner-rlebersetsungen.

Vorbemerkung. Es gibt keinen Deutschen, dem nicht die Vossische
Homerübersetzung zunächst ein weuig altmodisch erschiene, aber es gibt
sicherlich auch nur sehr wenige, die nicht immer wieder zu ihr znrück-
kehrten. Jmmer wieder wagen sich unternehmende Köpfe an eine neue
Verdeutschung des Homer, und immer wieder erlahmen sie entweder sclbst
schon bei der Arbeit, oder ihr Werk erlahmt nach scinem Erscheinen: gegen
den alten toten Konkurrcnten ist kein Neuer durchgedrungen. Wenn ein
Goethe Voß den Homerübersetzer „den nie genug zu schätzendcn" nannte,
so hatt' er ja wohl auch Gründe dazu. Nur ist von Vossens stebcrsetzung
die erste Odyssee-Ausgabe von j78l die beste, die vom freiesten, die von
einem wirklich großen Zug. Sie ist genau ein Jahrhundert na'ch ihrem
Erscheinen von Michael Barnays bei Cotta neu herausgegeben worden und
sei unsern Lesern empfohlen.

Wenn wir aber nach wie vor Vossens Uebersctzung für die beste
halten, so heißt das doch: „Alles in Allem" — daß in dieser und jener
Beziehung Voß überholt worden ist, daß sich also auch die Beschäftigung
mit späteren Uebersetzungen sehr wohl lohnen kann, bestreiten wir nicht
etwa. Die vou Wilhelm Jordan zum Beispiel (Volckmar, 2 Bde.,
geb. je 5 Mk.), freilich unter allen nach-vossischen wohl die beste, zeigt
nicht nur dcn vorzüglichen Kenner, sondern in mancher Schönheit und in
maucher Frischheit auch den Dichter in sehr erfreulicher Weise. Wir gebcn
als letztes Stück unsrer heutigen Loscn Blätter eine Probe aus dicser
Jordanschen „Odyssee". Vorher aber drucken wir Stellen aus der „Jlias"
in einer Uebertragung ab, die nur in Bruchstücken vorliegt und die gar
nicht den Anspruch erhebt, künstlerisch zu sein, obglcich sie das in hohem
Maße ist. Einen Anspruch erhebt sie nur, abgekürzte Beispiele ohne die
„schmückenden" Beiwörter uslv. zu geben, um das zu belegen und weiterzu-
führen, was der Verfasser dcs betresfcnden Buches im Texte sagt, uämlich
Herman Grimm in seincm zweibändigen Werke „Homcrs Ilias" (Cotta,
geb. (6 Mk.). Ging' es nach uns, dieses Buch würde auf allen höheren
Schulen cingeführt, wcnn nicht für die Schüler, so mindestens für die Lehrer.
Wir rechnen es nämlich zu den ganz wenigen unsrer Literatur, die wirklich
im höchsten Sinnc „ltebungen im Gedichtlesen" bicten, Uebungen auf das
Wesentliche, aus das Poetische hin, auf dic Tichtung als Vermittlerin von
Leben hin. Was man gegen den Subjektivismus Herman Grimms mit
gutem Grunde gesagt hat, ist uns nicht neu, wir wissen, daß auch dieses
Buch wic all seine übrigen vorsichtig benutzt werden muß, wo es
sich um den Geivinn sicherer Erkenntnissc handelt, — aber welcher Zweite
in Deutschland hat diese Gabe bcwiesen, in das ästhctische Genicßen
dichterischer Werle einzusühren'? Hätte H.. man Grimms Fähigkeit, sich und
andere feinsinnig zu begcistcrn um zu vcrtiefen, mehr Ahncn und mehr
Erben unter unsern Literatur- unü Kunstgelehrten, um wie viel besser
stünd' es!

Kius Herrnan Grirnrns „ölliLs".

Uebcr die Lrde hin warf die licktgclbblübenden
Lchleier der Ulorgen, als auf des boben Vlvmpos

2. Aprilheft 190-4 57
 
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