Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

DOI issue:
Heft 9 (1. Februarheft 1905)
DOI article:
Nissen, Benedikt Momme: Die mittlere Linie, [1]: zur heutigen deutschen Kunstlage
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0665
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Mittel, sowie über die Beziehung einiger heutiger Tageskritiker zu
großeu Kunsthäudlern, ließe sich eiu besonderes Kapitel schreiben. Der
Jnhaber eines angesehenen Berliner Kunstsalons äußerte seinerzeit:
„ich habe zwei Nummern, bald bin ich Mäcen, bald Kunsthändler";
andere Geschäftsinhaber handeln heute nach dem Prinzip: „bald bin
ich Kunsthändler, bald Kunstreformator". So wird's gemacht. Jn den
Berliner Salons entschuldigt man sich jetzt schon, wenn man neben
französischen Bildern irgend ein deutsches aufgehängt hat. Jst Das
die versprochene Reform der deutschen Kunst? Findet von den vielen
heutigen Kunstgelehrten, die über moderne Kunst schreiben, keiner den
Mnt, gegen solche Zustünde zu protestieren? Wie es seinerzeit Bayers-
dorfer gegenüber denen der Pilotyzeit tat? Man sollte dafür nicht erst
einem Künstler die Feder in die Hand zwingen.

Wir wollen keine Kaviarkunst. Jhre Vertreter arbeiten für den,
bald fein bald grob drapierten, künstlerischen Schwachsinn. Die echte
deutsche Kunst, von Dürer und Vischer bis Leibl und Böcklin, arbeitete
sür den künstlerischen Starksinn. Wir brauchen eine Kunst der vollen
Seele, der vollen Faust — nicht der vollen Börse, der leeren Herzen,
der schwachen Köpfe, der kranken Nerven.

Es kommt in der Kunst nicht darauf an, ein neues
elftes Gebot zu erfinden, sondern die zohn vorhandenen
zu erfüllen. (Hebbel)

Man sollte nicht ruhig zusehen, wie Hekatomben junger Künstler
dem Moloch einer falschen Modernität geopfert werden. Helfe man
ihnen, daß sie sich dem Echten wieder zuwenden. Die Trivialität,
mag sie abgestanden oder raffiniert, moralisierend oder korrupt auf-
treten, wirkt stets lähmend, tötend. Sie verzehrt das Mark des
Geistes. Kämpfe man nicht für Jdole, sondern für Jdeale!

Die genielose, humorlose, lieblose Falschmoderne hat uns nicht
glücklicher, nicht besser gemacht. Sie hat den heutigen Künstler spe-
zialistischer gemacht, ihn abgezogen vom allgemein menschlichen Fühlen,
vom Lebenshauch der Poesie. Dieser Weg ist ebenso ungangbar, wie
der von Werner und Genossen. Ein Künstler braucht kein Genie zu
sein, muß aber einen genialen Zug haben oder mindestens original
schildern können. Sonst bleibt er eben ein malender Handwerker. Was
eine Jsadora Duncan als Tänzerin in sich vereint: Mut und Natürlich-
keit und Politik und Künstlerschaft, Das sollte auch der moderne Maler
anstreben. Dann rückt er vom Kalkul ab, zum Temperament hin.
„Eine Kunst, die nicht mit religiöser Ehrfurcht geübt wird, ist keine
Kunst, sondern Marktware", sagte die Duncan. Und Hebbel sagt das
Gleiche hundertmal.

Diejenigen, welche das Wort „Gemüt" nicht ohne Hohnlächeln
aussprechen können, dürfen nicht über deutsche Malerei entscheiden.

Kunstrichter wie Lessing haben wollen wir; Kunsthändler wie
Meyer-Gräse — mit seiner Parole: „los von Böcklin"— wollen wir nicht
als Führer unserer Kunst. Somit bleiben uns, als solche, nur die Kunst-
heroen der Vergangenhett und Gegenwart. Sie bilden die echte Tasel-
runde, die Ritter des Grals. Nur von ihrem befruchtenden Geiste kann

(. Februarheft (902 6t(
 
Annotationen