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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 21,1.1907

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Heft 2 (2. Oktoberheft 1907)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.8628#0147
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und geselligen Triebe, die einem
verwöhnten Städterpublikum in der
Praxis die Pause teuer machen,
können dagegen keine grnndsätzliche
Bedeutung ansprechen. Am wich--
tigsten unter den äußeren Gründen
für die Vorstellungs--Pausen ist der,
daß die Darstellung niemals völlig
darauf verzichten kann. Die Schau--
spieler bedürfen bisweilen nach an--
strengenden Szenen, bei denen die
Stimmbänder zur äußersten Leistung
getrieben oder der ganze Körper
erhitzt wurde, einiger Lrholung —
ganz abgesehen von dem „Spiel--
raum" zum Lmpfang des Applauses.
Sie, besonders die Damen, brauchen
außerdem eine gewisse Zeit zum
Kleiderwechsel. Und die Negie for--
dert gleichzeitig die Pause, wo ein
Umbau, das Anzünden eincs
Wachskerzenlüsters usw. vorgeschrie-
ben ist. Die Praktiker der heutigen
Lheaterschriftstellerei richten aller-
dings ihre Werke möglichst so ein,
daß ein Darsteller, der einen großen
Aktschluß hatte, nicht den nächsten
Aufzug zu beginnen hat, und daß
keine oder nur ganz wenige Szenen-
veränderungen (namentlich keine in-
nerhalb eines Aufzugs) notwendig
sind. Linen wirtschaftlichen Bühncn-
leiter oder einen von Tatendrang
nicht mehr überreizten Regisseur
wird solche Rücksicht nie unange-
nehm berühren — obwohl natürlich
die eigentliche Regiearbeit, die so-
zunennende „Regie des Innern",
erst anhebt, wenn die Dekorations-
fragen erledigt sind.

Eine wichtige Frage für sich rich-
tet sich auf die Dauer der Akt-
pause. So viel Gründe für ihr
Dasein sprechen, die Antwort muß
hier doch lauten: überall und unter
allen Umständen hat die Unter-
brechung eines Dramas so kurz zu
bleiben, wie irgend durchführbar,
und das heißt: viel kürzer, als
jetzt allgemein üblich ist. Kommt

es doch sogar vor, daß Pausen ab-
sichtlich gedehnt werden, z. B. wenn
eine Komödie aus drei allzu knap-
pen Akten besteht, die Tantiemen-
Ausgabe für eine Einakter-Zugabe
aber gespart werden soll. Ohne Zwei-
fel ist damit dem Zuschauer wenig
gedient. Unmäßige Lheaterpausen,
zumal auch die, von denen der Zettel
keine Ahnung erweckt, verderben die
Stimmung, indem sie das Gewebe
des Dichters zerreißen; überdies
stellen sie keine Gegenleistung für
den Kartenpreis dar und stehlen
dem Besucher kostbare Zeit — was
ein tätiger Sinn am allerpeinlich-
sten dabei empfindet.

Die Aberpausen, die man heut-
zutage noch fast an allen Lheater-
abenden ertragen muß, sind beschä-
mend für die so stolze moderne
Bühnentechnik und müßten in
neueren Schauspielhäusern vollkom-
men ausgeschlossen sein. Das kann
auch erreicht werden: wenn die über-
triebene Mode, „naturwahr" wirken
zu wollen, eingedämmt wird, wenn
Ausstattungs- und Toilettenkünste
auf das künstlerisch (das heißt hier
dramatisch!) Wesentliche und für
die Fernwirkung Ausreichende be-
schränkt werden, wenn man außer
dem Ieitgenössisch-Bürgerlichen alle
Szencnbilder stärker oder gelinder
stilisiert, von der Umkleidcfixigkeit
der Fregolis dreistlich lernt und
für häufigeren Szenenwechsel irgend-
eine Dreh- oder Schiebebühne zur
Verfügung hält. Bei einzelnen, ge-
schickt geleiteten Spezialitätenbühnen
ist das Pausenwesen bereits gänz-
lich abgestellt. Sicher fördert das
noch die Volkstümlichkeit dieser
Vergnügungsstätten gegenüber den
Theatern. Aber auch ohne solche
Vergleichung: unbedingt wird die
gründliche Abschaffung aller ent-
behrlichen Pausenlangeweile zugleich
der dramatischen Kunst und den
Theaterkassen dienen. Willy Rath

((3 Kunstwart XXI, 2
 
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