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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 21,3.1908

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Heft 17 (1. Juniheft 1908)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.7706#0341
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Aus dem „Heiland der Tiere"

HVrie zerschmettert verließ Martin das Gerichtsgebäude. Durch hallenbe,
^^weißgetünchte Gänge schreitend, gelangte er an einen Seitenhof, in
dessen Mauerwerk vergitterte Fenster eingelassen waren. Hinter einem
derselben, zwischen dicken eisernen Stäben, gewahrte er den wüstblickenden
Kopf eines seiner unversöhnlichen Feinde. Als der Gesangene des Vor--
überschreitenden ansichtig ward, drohte er mit geballten Fäusten herüber
nnd gebärdete sich wie rasend. Martin taumelte verstört ins Freis;
heimwärts schreitend hielt er Linkehr in die Tiefe seiner Seele. Nur
Gutes hatte er gewollt, erstrebt, getan, — wie kam es, daß diesem Tun
Unheil entsprossen war, daß seine Werke, seine Predigten, die voller
Liebe, Aufklärung und Erbarmen gewesen, Haß gezeitigt hatten, sowie
offenkundigen Krieg? Ach, sein Herz sehnte sich nach Frieden, er trachtete
danach, offen vor die Leute hinzutreten, sich vor ihnen zu demütigen,
sie um Vergebung zu bitten, falls er schuldig sei. Wie aber, weun es
nicht abgehen durfte ohne Streit? Wenn jener Kampf ein verordneter
wäre, wenn es kein anderes Mittel gäbe als Krieg, um jene Leute zu
bekehren, zu bessern, sie herauszupeitschen mit gewaltiger Geißel aus
dem Heidentempel alter Mißbräuche, alter Unwissenheit nnd Herzens-
härte? War die Mission, die zu erfüllen ihm oblag, alsdann nicht eine
gottgefällige?

Lehrt doch die Bibel, daß auch die Liere der Erlösung teilhastig
werden. Wenn nun der Höchste ihn auserkoren hätte, um jene Ver-
heißung nur zu bekräftigen? Wenn er zur Welt gesandt worden wäre,
um Mittler zu sein zwischen Mensch und Geschöpf, als zweiter niedrigerer
Heiland, als Helfer und liebeglühender Erretter der Tiere?

Sein Herz hob sich in einer kurzen Anfechtung schwärmerischen, reinen
Stolzes.

»Sterben," wiederholte er leise, „für sie sterben. Durch Tod sie
heiligen — ward doch kein Blut für sie vergossen, rühmen die Menschen,
kein Blnt vergossen . .

Er hielt an einem Grabenrande Rast, der alte Hund leckte ihm
liebkosend mit lechzender Zunge die Hände. Martin stieg hinab und
schöpfte dem Tiere mühsam ein wenig Wasser. Es ist süß, zu dienen,
demütig zu scin, dachte er bei sich. Heute noch will ich vvr meine
Brüder treten, ihnen Frieden bieten und mich strafen lassen, falls sie
mich einer Schuld zeihen können odcr eines sündigen Gedankens.

Fern über dem bräunlichen Korn ragte das weiße Kirchlein des
Dorfes empor. Drüben am Wegrain hob sich feines Gewölk in Streifen,
wie ein blänlich verschwebender Nauchschleier; aus ihm hervor ragte
schwankend, feierlichen Ganges dahingctragen, ein hohes, goldstrahlendes
Kreuz. Ein Baldachin, von Brokatstoff schimmernd, zog langsam durch
das Rebengelände, übcr dem feierlichen Zuge blähten sich seidene Kirchen-
fahnen, gebauscht unü farbenprächtig, im Sommerwinde. Lautes, ein-
töniges Psalmodieren, das inbrünstige Durcheinanderklingen vielartiger
tiefer und heller Menschcnstimmen zog, majestätisch anschwellend, näher.
Durch Acker und Rebhügel hielt das Allerheiligste Umgang, schützend,
segenspendcnd, damit die Dorfgemarkung vor bösem Schaden bewahrt
bleibe. Bloßen Hauptes schritten die Beter, zwischen jugendbraunen

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