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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 23,4.1910

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Heft 19 (1. Juliheft 1910)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.9020#0068
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ohrie Frage überlegen sind. Mit
einer Gewaltpolitik allein ist hier
also wenig anszurichtcn, vielmehr
mnß der Deutsche auf jene Völker
vermöge seiner überlegenen Bildung
und Gesittung einzuwirkcn suchen.
Der neue ostwärts gerichtete Natio-
nalismus wird sich also auf die
Dauer zu einem solchen kultur-
Politischer Art gestalten. Folglich
wird für die Zukunft national in
erster Linie alles bedeuten, was die
Schranken beseitigen hilft, die die
Wirksamkeit moderner Kulturkräfte
hemmen. Führte uns der alte Na-
tionalismus zur politischen Einheit,
so kann uns der neue die deutsche
Einheitskultur briugen, mit der
allein wir uns gegen die Slawen-
welt lange im Gleichgewicht erhal-
ten können.

Soweit der ostwärts gerichtete
deutsche Nationalismus noch ge-
waltpolitische Neigungen hat, muß
er früher oder später an dem Wall
des kriegerischen Allslawismus ab-
Prallen. Nur durch eine europäische
Politik vermöchte er der slawischen
Bewegung dauernd standzuhalten,
weil die europäische Einheit über
die slawische hinausstrebt, ohne
diese beeinträchtigen zu müssen. Die
Völker Europas und ihre Lenker
müssen erst für die europäische Ein-
heit erzogen werden; sie muß sich
erst in den Köpfen vollziehen, bevor
sie sich iu die Tat umsetzen läßt.
Niemand kann heute wissen, unter
welchen Erschütterungen sic einst vor
sich gehen wird, welche Staaten-
gebilde der Gegenwart sie überstehen,
welche dabei in Trümmer gehen
müssen. Die meiste Aussicht, seine
Politischen Einrichtungen erhalten
zu sehen, hat aber dasjenige Volk,
das sich beizeiten darin übt, den
eigenen Vorteil in der Förderung
des Gesamtwohles des ganzen Erd-
teiles zu finden. Die Zukunft des
deutschen Volkes wird wcsentlich

dadurch bestimmt werden, in wel-
chem Maße es oder seine politischen
Führer Fähigkeiten für eine ent»
schlossene, auch mit noch schlum-
mernden oder gebundenen Kräften
rechnende deutsch-europäische Politik
zu bewähren wissen. Otto Lorbach

Mutterschutz

in bekannter Gelehrter hat ein-
mal seine Ansicht über den
Wert und die Bedeutung der
Frau im Gemeinschaftsleben in die
Worte zusammengefaßt: „Wenn ich
an meinem geistigen Auge das
gewaltige Kunstgebilde der Kultur
vorüberziehen lasse, so komme ich
zu dem Ergebnis, daß alles
Männerwerk ist." Eine mo-
derne Schriftstellerin hat diesem
Ausspruch ihre Anschauung ge-
genübergestellt: „Gewiß, alles ist
Männerwerk. Und doch jeder
Mann einer Mutter Sohn!
Ieder einzelne mit Schmerzen ge-
boren und mit unsäglicher Mühe
und Liebe aufgezogen, bewacht, be-
hütet. Ieder einzelne so teuer
erkauft und jetzt so gering
bewertet. Hat da wirklich die
Frau keine Funktion im Gesell-
schaftsleben, keinen Wert, keine
Bedeutung für die Entwicklung
der Kultur?«

In diesen beiden Außerungen
liegt im Grunde genommen das
ganze Problem des Mutter-
schutzes umschlossen. Man kaun
es präziser dahin formulieren: Wie
wertet die Gesellschaft den
Dieust, die Aufgabe, die die Frau
als Mutter für sic erfüllt?

Wer das reale Leben unsres
Volkes kennt, kann nicht im
Zweifel darüber sein, daß eine
Wertung der Mutterschaft darin
nur in sehr beschränktem Umfang
zum Ausdruck kommt. In den
besitzlosen Schichten ist die Mutter
ganz allgemein überbürdet, ver-

l- Iuliheft lM S5

Mann und
Weib
 
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