Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 24,1.1910

DOI Heft:
Heft 1 (1. Oktoberheft 1910)
DOI Artikel:
Rundschau
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.9031#0082
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Neberi deir belgischen Weber-,
Schuhmacher-, Seilerwerkstätten,
Nagelschmieden und Zigarrenarbei-
terwohnungen stehen zwei Arbei-
terhäuser von Metzendorf: wo die
Belgier die Gegenwart-Wirklichkeit
wiedergeben, stellen die Deutschen
Zukunft-Forderungcn auf. Eugland,
das wohl bei einer Darstellung sei-
ner Arbeiterwohnverhältnisse nicht
allein vereinzelte Reformbestrcbun-
gen, sondern bereits eine Lradition
hätte nachweisen können, hat nichts
dergleichen gezeigt. Weder Arbei-
terhäuser, noch Statistik, noch ir-
gendwelche Aufschlüsse über seine
inneren Kulturverhältuisse.

Das ist kennzeichnend sür die
englische Ausstellung, deren Zer-
störung aufs höchste zu beklagen ist.

England dokumentierte nichts,
sprach nichts aus, es betonte nicht,
es zeigte Durchschnitt, und dieser
Durchschnitt war einwandfrei. Der
Qualitätsgedanke, der in der deut-
schen Ausstellung so reinen, ge-
legentlich fast abstrakten Aus-
druck gefunden hat, in England ver-
steht er sich von selbst. England
redet nicht von seiner Produktion,
und noch weniger von sich sclbst
und seinem Streben. Es zeigt seine
Erzeugnisse dem internationalcn
Publikum wie ein gediegener Ge-
schäftsbetrieb sciuen durchaus nicht
anspruchslosen Kunden. Etwas Un-
persönliches war in diesen paralle-
len, übersichtlichen, nicht gedräng-
ten Neihen von Schränken zu spü-
ren. In der Anordnung war man
nirgend etwa wie die Franzosen dem
Publikum bcsonders entgegen-
gekommen. Aber dieses wurde auch
nicht belehrt oder geführt, wie bei
den Deutschen. Es war nirgend
in der ganzen Weltausstellung so
sehr sich selbst überlassen. Es wurde
nicht veranlaßt, auf besondcre Zu°
sammenhänge zu achten — und
fühlte doch eine Einheit. Es

brauchte sich keine Namen zu mer-
ken, es hörte wenig von einzelnen
Künstlerpersönlichkeiten — und
fühlte doch eine starke und entschei-
dende Kontrolle über dieser ganzen
Produktion. Spezifisch nationale
Errungenschaften, etwa Beweise für
die hohe Entwicklung der heimischen
Innenarchitektur, blieben jenem in°
ternationalen Publikum vorenthal-
ten. Man wurde nicht recht klar
darüber, aus welchen Gründen.
Weil man kein besonderes Gewicht
darauf lege, oder weil man den
Fremden gegenüber damit kargen
zu müsscn glaubte? Man zeigte
nur, was man für gangbar erach-
tete, also etwa in der Möbelfabri-
kation Antikes oder Antiquiertes.
In der Keramik, im Buchgewerbe
und wo man sonst Bedeutendes lei-
stet, brachte man die weltbekannten
Erzeugnisse und wies mit der glei-
chen Selbstverständlichkeit wie bei
Tuchstoffen, Schuhwaren und Prä-
zisionsapparaten eine Fabrikation
nach, die auf einer ununterbroche-
nen, nirgend entkräfteten Äberliefe--
rung gegründet ist. Zum unmittel-
baren Vergleich mit Deutschland
war nur in wenigen Gebieten Ge-
legenheit; am deutlichsten wohl im
Buchgewcrbe, in dcm Lngland mehr
Ruhe, Sichcrheit, handwerksmäßige
Einheitlichkeit, allerdings auch we-
niger persönliche Initiative und lite-
rarische Feinfühligkeit zeigt, als
Deutschland.*

Desto mehr Aufschlüsse brachte
der Vergleich im großen. Lrst wenn
man aus der englischen Ausstellung
zur deutschen zurückkehrte, ward
einem deren besondere Art völlig
deutlich. Nicht ohne Grund ist der
deutschen Ausstellung eine sehr

* Ähnlich wie England verhält
sich auch Holland, dessen Buchge-
werbe seiner Bedeutung entspre-
chend vertreten ist.

s. Oktoberheft WO 67
 
Annotationen