Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 25,3.1912

DOI Heft:
Heft 15 (1. Maiheft 1912)
DOI Artikel:
Rundschau
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.9027#0217
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Werke von Arnold Schönberg,
der es verstanden hat, in Wien
so schnell von sich reden zu machen.
Hier haben wir es mit einem reifen
Manne zu tun, der mutwillig
musikalische Ideenflucht zum Prinzip
zu erheben versucht. Die Sucht, sich
von dem Absonderlichcn ohne Unter-
schied, ob ihm Bedeutung innewohnt
oder nicht, fangen zu lassen, ist jedoch
heutzntage so groß, daß auch solche
Experimente, die ein gesundes Ge-
fühl zurnckweist, ihre blinden An-
beter finden. Wie sehr wir ander-
seits im rein Lechnischen unterzu-
gehen drohen, beweisen Werke wie
Sigmund v. Hauseggers neue
Natur-Symphonie mit Lhor und
Soli. Ein gewaltiger Apparat ist
hier aufgeboten fnr ein Minimum
von Ideen; aber die blendende
Technik des Komponisten vermag
uns doch übcr die mangelnde Er-
findungskraft nicht hinwegzuhelfen.

Da kehrt der Blick nicht ohne
Befriedigung in vergangene Zeiten
zurück, selbst wenn sie in Werken
zu uns sprechen, denen eine höhere,
selbständige Bedeutung nicht bei-
zumessen ist, die wir aber in ihrer
natürlichen, formvollen Haltung
um verloren gegangene Vorzüge
beneiden dürfcn. Die Symphonien
eines Philipp Rüfer oder R o-
bert Radecke, die man gelegent-
lich hervorsuchte, sind zwar im letz-
ten Grunde nachempfunden; aber
sie haben doch wenigstens mit der
Empfindung zu tun und sind nicht
lediglich aus dem Intellekt ge-
boren.

Mit besonderer Genugtuung aber
darf es erfüllen, daß ein ernster
deutscher Meister mit seinem Le-
benswerke bei uns zu Ehren ge-
kommen ist. Felix Draeseke hat
lange warten müssen, bevor er
seinen „Lhristus" in die Erschei-
nung treten sah; nun aber, zwölf
Iahre nach der Vollendung, ist

ihm der Dank für ein Werk, an
das er seine hehrsten Absichten
und sein bestes Können gesetzt, in
dem er gewissermaßen die Summe
seines Schaffens gezogen, nicht ver-
sagt geblieben. In dem drei Abende
füllenden Mysterium, das sich aus
drei Oratorien „Christi Weihe",
„Christus der Prophet" und „Tod
und Sieg des Herrn" und einem
Vorspiel „Die Geburt des tzerrn"
zusammensetzt, knüpft Draescke an
die großen Meistcr religiöser Auf-
gaben an. Vieles darin ist von
geradezu dramatischem Gepräge;
der streng polyphonc Stil herrscht
vor, aber auch der deklamatorische
ist ihm mit großer Wirkung ge-
sellt. Unter den Solopartien tritt
die des Lhristus in jedcr Hinsicht
am bedentsamsten hervor, während
sich in Chor und Orchester das
Werk zu seinen Höhepnnkten stei-
gert. Draesekes Wesen haftet etwas
Aszetisches an. Er macht keine
Konzessionen an den Zeitgeschmack
und wendet sich mit solchem unzeit-
gemäßcn Schaffen offen gegen die
musikalische Moderne. Nicht leicht
wird daher der „Christus" die Hin-
gabe finden, die Stoff und Dar-
stellung erfordern; wer sich aber
einmal in ihn vertieft hat, wird
sich dem Eindruck dieser hochgesinn-
ten, reinen Kunst nicht entziehen
können und vor einer so überzeu-
gungstreuen, idealen Persönlichkeit
voll Ehrfurcht stehen. Der an-
wesende Komponist wnrde aufs
herzlichste gefeicrt und konnte sich
von dem Eindruck seines Werkes
wie von den Shmpathien, die er
in der ernstgesinntcn Kunstwelt ge-
nießt, aus eignsr Anschauung über-
zeugen.

Die Konzertsaison findet nie ein
plötzliches, unbestimmtes Ende. Aber
die geistlichen Aufführungen der
Osterwoche gaben ihr auch dies-
mal gewissermaßen den offiziellen

Kunstwart XXV, s5
 
Annotationen