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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 25,4.1912

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Heft 20 (2. Juliheft 1912)
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Rundsschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.9025#0149
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des Arrcrngeurs, ein Glied, dessen
ganze Aufgabe ist, Muskeln und
Bewußtsein auf „eine Minute still-
gestanden" zu konzentrieren, ohne
daß seine lebendige Leilnahme ge-
weckt oder auch nur gebraucht
würde.

And welch dürftige Ideen pslegen
nun so verkörpert zu werden! Sind
schon gute Schlachtenbilder selten,
weil es schwer ist, fruchtbare Mo-
mente aus solchen zu finden, Mo-
mente,dieAusdrucksbewegungenund
Innervationsgefühle erwecken und
ein Stück der gewaltigen Stimmung
vermitteln, welche diese furchtbarsten
Tage der Völker tragen, so werden
die „lebenden Bilder" gewöhnlich zu
Karikaturen und Parodien, denn
kein Künstler der Welt kann aus
sestem, lebendem Material das
schaffen, was eine künstlerische Idee
erforderte: Träger eines reinen
Ausdruckes. Er müßte denn die
Gesichter nicht nur maskieren, son-
dern auch tagelang bemalen, und
die Arme, Beine und Rümpfe phy-
sikalisch niet- und nagelfest so stellen,
wie er wollte. Nun, diese Idee ist
grotesk — doch nicht grotesker als
die andere, ohne diesen Zwang
etwas schaffen zu wollen, was Aus-
druck haben soll; und noch dazu
nicht durch einen Künstler, sondern
durch Paul Werning! Dieser skru-
pellose Arrangeur hilft sich nun
über die Armut seiner Einfälle auf
eine ebenso ingeniöse wie verräte-
rische Weise hinweg*. Man fühlte
wohl, wie wenig die starren Zerr-
bilder sagen konnten, und um das
ferngebliebene „Leben" doch heran-
zuzwingen, läßt man den Vorhang
herab, ändert rasch das Bild und
zeigt es dann noch einmal; zum
Beispiel zeigt man König Wil-
helm in Ems, wie er eben von

* Die übrigens seit Alters beliebt
ist. K. L.

Benedettis Hand den bekannten
Brief entgegenzunehmen scheint.
Dann Vorhang! Als er sich wieder
hebt: König Wilhelm mit geöss-
netem Brief, abweisender Ge-
bärde und „verächtlichem Blick", Be-
nedetti bestürzt! Nun, wir meinen,
das ist der Gipfel des inneren
Widerspruchs. Statt eines „leben-
den Bildes" zwei, beide leblos, beide
peinlich unnatürlich, und stets, auch
im besten Inll natürlich nur eins
davon ein fruchtbarer Moment,
während das folgende nur noch auf
das befriedigte Aha! allzu naiver
Zuseher rechnet.

Bereichert also wird die Wir-
kung eines wirklichen Bildes durch
nichts, wenn man es in ein
„lebendes Bild" umsetzt. Wohl aber
wird es ärmer, und zwar genau
um alles, was das Künstlerische
am Bild macht. Vor allem um
den lebendigen Gesichtsausdruck der
Gestalten, denn die Dilettanten
können beim besten Willen natür-
lich nur verzerrte Gebärden und
groteske Augenverdrehungen auf
Minuten festhalten, so schon Mit-
leid genug erweckend. Nicht min-
der wird und muß der gesamten
Körpersprache die innerliche Be-
seelung abgehen, da sie weder will-
kürlich noch künstlerisch geschaf-
fen, sondern erzwungen und un-
geübt ist. Die Schwerfälligkeit
grenzt aber ans Lästerliche, wenn
uns nun gar gute Bürger bedeu-
tende Menschen wie Blücher, Bis-
marck, Napoleon „darstellen" wol-
len; die äußere Ähnlichkeit ist da
fast noch eher zu erreichen, als die
innere Ausdruckkraft; derlei utopi-
sches Beginnen muß ja geradezu
zur Vernichtung der Vernunft füh-
ren. Nimmt man hinzu, daß ge-
wöhnlich künstlerisch ahnunglose
Dilettanten die Szene stellen, und
daß zwischen den plastischen Ge-
stalten der Mitwirkenden und dem

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