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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 25,4.1912

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Heft 20 (2. Juliheft 1912)
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Rundsschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.9025#0154
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Menschen liebzugewinnen; seine
Musik enthält so viel Persönliches,
daß die Vertrautheit mit ihr zu
genügen scheint, um sich eine deut--
liche Vorstellung zu machen von
dem liebenswürdigen, geistvollen,
tiefempfindenden, aristokratischen
Wesen dessen, der sie schuf. Möge
dem lieben Meister noch ein
langes, schaffensfrohes Leben ver-
gönnt sein, ihm zum Segen und
uns zur Freude!

Hermann Seeliger

Ninon de Lenelos,

die berühmte Kurtisane, ist nun
auch ins Musikdrama eingezogen.
Es handelt sich um eine wirklich
tragische Begebenheit aus ihrem
sonst an Freuden überreichen
Liebesleben: um das (aus „Gil
Blas" bekannte) Schicksal des Vi-
comte de Villiers, der ein Sohn
Ninons gewesen sein soll. Die
Leipziger Nraufführung
des kleinen, nicht mehr als eine
Stunde dauernden Musikdramas
„Ninon de Lenclos" hatte
aufmunternden Erfolg und erweckte
Hoffnungen für den bisher ganz
unbekannten italienischen Kompo-
nisten Michele Eulambio. Aller-
dings hatte er sich im Texte geirrt.
Denn das (vor etwa sieben Iahren
herausgekommene und aufgeführte)
Drama von Ernst Hardt bedarf
ebensowenig wie Wildes „Salome"
einer musikalischen Nntermalung, ja
es leidet darunter, verliert bei ge-
wissen Rezitativstellen seinen eige-
nen Reiz. Aber abgesehen von solch
grundsätzlichem Irrtum, verstand es
der junge Italiener, der seine Stu-
dien in Leipzig gemacht hat, auf sich
eindringlich aufmerksam zu machen.
Mit einem gewissen deutschen Ein-
schlag gibt er sich im Stile Puc-
cinis und ist ziemlich unbesorgt um
Reminiszenzen und Banalitäten.
Aber sein Hauptverdienst besteht in

einer heutzutage besonders be-
merkenswerten Unaufdringlichkeit:
sein Verismus krankt nicht an Bru-
talität. Seine Rezitative, besonders
in derPartie desVicomtede Villiers,
sind so unverdorben naiv, daß sie
die Grenze vom Erhabenen zum
Lächerlichen streifen. Beweiskräftig
für Eulambios Talent ist vor allem
die geklärte Behandlung des
Orchesters. In der Hauptsache be-
steht hier eine große Hoffnung für
die lyrische Oper, während das
durchkomponierte Drama nur als
Versuchsobjekt bewertet werden
kann. Friedrich Brandes

DermusikalischeGeschrnack
sinkt —

das ist, mit zwei Worten, das für
uns Wichtige unter den Ergebnis-
sen einer Statistik, die der Vor-
stand des Deutschen Musikalienver-
leger-Vereins veranstaltet hat. Wirt-
schaftlich hat der Musikalienhandel
einen Aufschwung genommen, aber
mit dem ästhetischen Ergebnis steht
es zum mindesten bei den breiten
Massen übel. Ernste Musik, so
meint der Bericht, und auch gute
Hausmusik seien schwer einzufüh-
ren, mit leichter Ware jedoch seien
gute Geschäfte zu machen, denn die
Operette und die sogenannte „popu-
läre" Musik ziehen immer weitere
Kreise und führen eine Zunahme
der „Anspruchslosigkeit" herbei.
Wir können diese Behauptungen
aus eigner Erfahrung bestätigen:
keine andre Kunstwart-Anterneh-
mung hat mit so viel Widerstän-
den zu kämpfen, wie unsre „Haus-
musik". Aber die Gründe dieser
und verwandter Erscheinungen und
über die Möglichkeiten zur Besse-
rung sprechen wir uns wohl bald
einmal aus: es hat unsrer Mei-
nung nach jeder der beteiligten
Faktoren sein Teil Mitschuld daran.

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