Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 40,2.1927

DOI Heft:
Heft 7 (Aprilheft 1927)
DOI Artikel:
Zu unseren Bilder und Noten
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.8882#0079
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
über die zur Ruhe gekommene Jltitte.
Eme wahrhafte Symphonie, m der das
Geschlmge und Gezucke der Limen, das
Harte und Weiche des Llchtes, das Gü-
tige und Bedrohende des Dunkels und
eine gleichgestimmte Farbe zusammen-
wirken, um von der unendlichen Größe
und Gcwalt der Natnr Zeugnis zu ge-
ben, neben der unser Schassen nnd
Leben zur bloßen Stassage herunter-
sinkt. Weltanschauung in und auö der
Landschast.

Wie hilslos, bescheiden, ja sormloS und
sast leer mag neben der reichen, barocken
Welt eines Ruysdael die „Seelandschast"
von Paul Cezanne wirken (lözg bi'S
igOZ) (Aus „Burger, Cezanne u. Hod-
ler". Delphin-Berlag, München und mit
Genehmigung der D. A. A., Galerie Flecht-
heim, Berlin.) Und doch ist auch er ein
Großer im Reich der Kunst, einer der
Größten des ig. Jahrhunderts, ein be-
deutender Vertreter des lateinischen Ele-
mentes in der sranzösischen Rasse, vom
Schlag eineS Poussin oder Jngres. Zu
Lebzeiten völlig vereinsamt und nicht ein-
mal von den Künstlern erkannt, wurde
cr kurz vor seinem Tode von einigen
erahnt in dem, was er erswebte, um
dann immer mchr die solgende Malerei
vielseitigst zu besruchten. Cezanne ist der
Bater des „Neuen Bildes" geworden,
das gegenüber dem bloßen NaturauS-
schnitt des ^smpressionlSmuS wieder eine
wohlüberlegte Architektonik und Dynamik
hat, ausgebaut aus Farbflecken, die den
Dingen ihre Eigensarbe lassen, sie aber
unendlich verseinern durch die zartesten
Abstusungen deö LichteS und die Ver-
schmelznng der umliegenden Schattcn
und Reflexe. Cezanne gab den Dingen
auch wiedcr ihre kubische Erscheinung,
mit dcm besonderen Eindruck der Allseitig-
keit. Außerdcm ist alles Körperliche so auf-
einander bezogen, daß es sich wie gegcn-
seitig hält und mit dem Raum verbin-
dct, der durch die klarcn Horizontalen,
Vertikalen und Diagonalen als ein span-
niges Gesüge von abtastbarer Form er-
sichtlich wird. Was Cezanne wollte, war
troü allem Studium der Alten etwas
Neues, das den Jmpressionismus über-
windet und großen Stil hat. Nicht alles
ist ihm geglückt. Am tiessten hat er selbst
darüber geklagt, daß er sich nicht ver-
wirklichen könne. Und so begehen wir
kein Unrecht an seinem Genius, wenn
manche Vergewaltignng der Natnrform,

auch manche verschobene Bildform uns
mehr ein Zeugnis von der unerhörten
Schwierigkeit seines Beginnens ist als
etwas, das wir nun auch oder gar vor
allcm zu bewundern haben — wie kritiklose
Cezanne-Anbetung uns allzu lange zuge-
mutet. Cezannes Sonne überstrahlt trok
dieser Sonnenslecken die großen Gestirne
seiner Umgebnng. Die Vermittlung des-
sen, was er erstrebt, ist noch schwerer
als bei Marees; vor allem deshalb,
weil dies Werk viel mehr anf die Farbe
eingestellt ist, aus eine Farbe von be-
glückender Ruhe, Milde und Schönheit.
Keine Reproduktion wird ihr ebenbürtig,
und außerdem besinden sich die besten
Stücke in schwer zugänglichem Privat-
besitz. Trotzdem läßt sich Wesentliches
aus unserer Abbildung erkennen.

Ein lichter Streisen drängt den Blick vom
vordersten Bildrand sanst nach der Tiefe.
Dahinter entsaltet sich daS siederige Ge-
lock des weichen Buschwerkes in wech-
selvollen Schwingungcn als bewegtes
Spiel. Energisch stößt von der rechten
Ecke eine Art Schleuse diagonal in den
Raum; nach links sällt daS Gclände
in sanster Abtreppung terrassensörmig
ab, begleitet von dem lockeren Geschiebe
der Bauten; eine Erhöhung gebietet ihni
Einhalt. Das Ganze im Rahmenwerk
zweier säulenhaster Bäume, die, leicht
vom Bildrand weggerückt, dadurch freier
wirken. Man decke diesen Teil des Bil-
des so ab, daß gar nichts davon sichtbar
bleibt, dann ergibt die obere, kleinere
Hälste einen langgestreckten Blick von
außerordentlicher Weite nnd bedeutender
Tiefe. Das Wasser spannt sich wie eine
strasse, leicht gekrümmte Fläche nach dem
Horizont, hinter dem die Wölbung des
Himmels aufsteigt, von tiesem Gewölke
ersüllt und in seiner Tiese gesteigcrt. Die
weit ausholende Kurve der Zweige läßt
gerade durch ihre Lücke das Weite noch
mehr inne werden und trägt anderer-
seits zum Eindruck des Räumigen bci.
Es ,'st ein Bild von ungemeiner Ruhe
und schlichter Größe, aus das Aller-
wesentlichste seiner Form gebracht und
dadurch so spannig. Rückt man das
Blatt herunter, etwa bis zum Rand der
rechten Maucr, wird alles vorhin Ge-
sehene breiter, tieser, höher. Der Vorder-
grund ist wie eine Art Borhof, zu dessen
Füßen das Meer sich weitet; er wird
zum Gartenhof, der sich nach dem Dorf
össnet und darüber weg zum Meer —-

63
 
Annotationen