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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

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Heft 6 (Märzheft 1932)
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https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0472
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der eigenen Existenzform gegennber einer
ebenso seinsmäßigen Verneinnng dieser
Form geschieht, so läßt sie sich eben nicht
rechtfertigen. Anch mit ethischen und ju-
ristischen Normen kann man keinen Krieg
begründen. Gibt es toirklich Feinde
in der seinSmäßigen Bedeutung, wie es
hier gemeint ist, so ist es sinnvoll, aber
nur politisch sinnvoll, sie nöti-
genfalls physisch abzuwehren und mit
ihnen zu kämpfen."

*

Oaß es seinsmäßig solche Feindschaft,
wie sie Schmitt hier im Auge hat, mit
dem Ernstfall des Krieges gibt, wird nie-
mand bestreiten. Aber was ist ihr „e x i -
stentieller Sinn"? Jst „Existenz"
nicht gerade das, was deS Sinnes bedarf,
und „Sinn" das, was nicht in der Exi-
stenz als solcher liegen kann? Hinter die-
sen Fragen steht noch eine weitere: wenn
das spezifisch Politische, das von der
„extremsten Möglichkeit" des Ernstfalles
her bestimmt ist, selber nur den existen-
tiellen Sinn deS Ernstfalles hat, reicht
es dann aus, um den Staat zu be-
gründen? Genügt für den Staat
der existentielle Sinn, daß er
„existiert oder nicht existiert" ?
Jst der Staat allein damit, d a ß er exi-
stiert, d a ß er sich am Ernstfall orien-
tiert, d a ß er „das jas belli, d. h. die
reale Möglichkeit hat, im gegebenen Fall
kraft eigener Entscheiduna den Feind zu
bestimmen und ihn zu bekämpfen", schon
die „maßgebende menschliche Gruppie-
rung"? Die Maßgeblichkeit bleibt jeden-
falls im Existentiellen und besteht in nichts
anderem, als über den Ernstfall zu ent-
scheiden. ZweifelloS muß der Staat diese
EntscheidungSmöglichkeit haben, allein die
reale Möglichkeit begründet noch
kein ju8 dklli; die reale Möglichkeit,
„Feinde in der seinSmäßigen Bedeutung"
zu haben, kommt ja nicht bloß dem Staat
zu, sondern auch (im Falle deö Bürger-
kriegs) den Parteien und anderen Grup-
pen, schließlich auch den Individuen. Die
bloße Möglichkeit, am Ernstfall orien-
tiert zu sein, begründet also noch nicht
die Maßgeblichkeit, sondern sie bedarf
noch einer anderen Begründung.

Schmitt hat das unzweifelhafte Ver-
dienst, gezeigt zu haben, daß unabhängig
von allen Normen und unauflösbar der

existentielle Ernstfall übrigbleibt und öaß
die Politik sich auch nicht völlig in Nor-
men irgendwelcher Art auflösen läßt, son-
dern immer unter der Möglichkeit des
Ernstfalles bleibt. Das darf ebensowenig
vergessen werden, wie daß das indivi-
duelle Leben dauernd unter der Drohung
des Todeö steht. Aber von diesem Grenz-
fall der Politik her läßt sich daS Wesen
des Politischen ebensowenig begreifen,
wie sich das Leben vom Tode her begrei-
fen läßt, denn die Politik setzt nicht diesen
Grenzfall voraus, sondern als Grenz-
fall der Politik setzt er die Politik schon
voraus. Der Begriff des Politischen läßt
sich nicht allein an der Außenpolitik, an
der realen Möglichkeit existentieller Feind-
schaft gewinnen, wie auch die Einheit des
Staates nicht allein von der Grenze her
begründet ist. Daher ist schließlich auch
der Staat nicht von diesem bloß formalen
Begriff des Politischen her verständlich,
sonder das Politische nur vom Staat her.

Hermann Herrigel

^otizerr

Die in unserem Heft wiedergegebenen
Zeichnungen Goethes stammen aus
„Goethe als bildender Künstler" von A.
Federmann (Cotta, Stuttgart). Das
Werk bringt zum erstenmal eine zusam-
menfassende künstlerische und kunstge-
schichtliche Wertung der Goethischen Zeich-
nungen. Wir werden nach Erscheinen deö
Bandes (Anfang März) eine ausführli-
che Würdigung bringen, weisen aber heute
schon auf den außerordentlich mäßigen
Preis hin (Mk. 17.— in Leinen, Klein-
folio-Format, mit 60 Lichtdrucktafeln!).
Es wird die schönste Publikation zum
Goethejahr werden.

Wir können unser Goetheheft nicht schlie-
ßen, ohne an den unsern Lesevn schon
rühmlich bekannten „Goethe, der Ro-
man seiner Erweckung" oon Albert
Trentini (Callwey, München) zn er-
innern. Keine „poetische Biographie",
kein „Goetheroman" im üblichen Sinne,
wie sie HanS Böhm im „Satyrspiel" ge-
kennzeichnet hat. Sondern Sinn und Be-
deutung der Goethischen Existenz gesehen
und frei dargestellt an der Jtalienischen
Reise, als zentralem Erlebnis des Dich-
ters. Unter allen epischen Gestaltungen
des ThemaS die einzige ernsthaft zu wür-
digende g e i st i g e Leistung.
 
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