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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

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Heft 8 (Maiheft 1932)
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https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0591
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Auslandömoratorien abgehalten werden.
Österreich und Ungarn wurden gezwun-
gen, inö französische Jnternierungslager
zu ziehen. Frankreich glaubte damit ein
politischeö Äktivum erworben zu haben.
Es zeigt sich heute, daß es, zum minde-
sten finanziell, auf die Dauer aber auch
politisch, ein Pasfivum ist, denn nun trägt
Frankreich die Verantwortung und die
finanzielle Burgfchaft. ^n den Ländern
der Kleinen Entente — mit teilweiser
AuSnahme der Tfchechoslowakei — sieht
es nicht anders aus. Auch hier herrscht
die Ruhe des wirtschaftlichen und politi-
schen Friedhofs. Die Bauernmassen Ru-
mäniens und SüdslawienS leben auf
einem Niveau von unerhörter Einfchrän-
kung. Jhre Arbeit, ihr Säen und Ernten,
hat seinen Sinn verloren. Aber das Re-
gime, daS politisch und finanziell von
der französifchen Gunst lebt, erlaubt nicht,
daß diese Menschen und ihr zugehöriger
Raum nach den wirtschaftlichen und geo-
graphifchen Gesetzen leben. Jn allen
Hauptstädten sitzen Ratgeber der West-
mächte, Genfs und des internationalen
Finanzkapitals. Jhre Gehälter sind fürst-
lich, ihre Ratschläge bettelarm. Sie sind
nicht umsonst in heller Aufregung. AlleS
Geld, staatliches und privates, freies und
von Genf sanktioniertes, ist in höchster
Gefahr. Es sind einige Milliarden Gold-
mark die Donau hinuntergeflossen. Aber
sie haben das Land nicht befruchtet und
sind verdunstet. Das alte Geld ist wohl
verloren, neues dringend nötig. Die
Freunde und llnterworfenen revoltieren.
Es heißt jetzt „Euer Geld oder unsec Le-
ben". Diese Staaten können nur noch
durch dauernde Bluttransfusionen am
Leben erhalten werden. Der Streit geht
darum, wessen Adern daS Blut zu entneh-
men sei. Tardieu hat Deutschland zum
Blutlieferanten bestimmen wollen. Auch
England sollte ein wenig geschröpft wer-
den und Frankreich war bereit, proviso-
risch selbst einige Tropfen seines kostba-
ren SafteS darzubriugen. Als sich Deutfch-
land in London weigerte, den Operations-
tisch zu besteigen, rief man ihm zu: Jhr
Blut komme über dich und deine Kmder.

2.

Als die Alliierten, von den Emigranten
auS der Donaumonarchie gedrängt und
beraten, im Frühjahr igiö die Erlaubnis
gaben, die habsburgifche Monarchie zu
zerschlagen, haben sie Mitteleuropa zu

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einer Fortsetzung des Balkans gemacht
und diesen Raum und seine Völker mit
ungeheuren Hypotheken beladen, unter
deren Last sie heute zusammenbrechen. Die
aus dem Westen importierte Nationalde-
mokratie feierte Orgien, zerriß geographi-
sche, ethnographische und wirtschaftliche
Einheiten. Jeder der drei Partner der
Kleinen Entente riß so viel fremdes
Bolkstum und Boden an fich, daß sie
heute alle in ständigem Kampf mit einem
Teil ihrer Staatsbürger liegen und rings-
herum von Feinden umgeben sind.

Wo, um der Vielheit der Völker und der
Verzahnung ihrer Siedlungsweise willen,
nur ein Minimum von Reibung und ein
Maximum von kluger Selbstbefchränkung
notwendig war — denn kein Volk war
mächtig genug, die andern alle sich unter-
zuordnen —, wurde ein Hexenkessel natio-
naler Gegensätze gefchaffen.

Nicht genug damit, leiteten sie durch ihre
Verbindung mit den Großmächten auch
noch die großen Weltspannungen in den
Donauraum. Durch ihre Abhängigkeit
von Frankreich müssen sie die Last des
deutsch-französischen Lebenskampfes mit-
tragen. Durch Südslawien und Ungacn
dringt die italienifche, durch Rumänien die
russifche Spannung herein. Dazu kommt
noch die Hypothek des internationalen Fi-
nanzkapitalö. AmerikanifcheS, englifches
und französisches Geld stürzte sich auf
diefe jungen Staaten und Völker, machte
sie zu Kolonien des westlichen Kapitals,
und schränkte ihre wahre Souveränität
schärfer ein als die alte Donaumonarchie.
Gleichzeitig forderte der Ubermut des po-
litisch ReichwerdenS seinen Tribut: Ver-
waltungSapparat, Rüstung, innere Poli-
tisierung und Parlamentarisierung ver-
schlangen ungeheure Gelder. Der Aufbau
eines eigenen ffndustrieapparats hinter
neuen Zollmauern sog das Wirtschaftsle-
ben auS und fchnitt ihm den Zusammen-
hang mit dem natürlichen Nachbarraum
ab. Was die neuen Staaten aufbauten,
war in blngarn und Österreich im Über-
fluß vorhanden. Beide Staaten konnten
in diesen Grenzen und m diesen politischen
Bindungen nicht leben. Sie mußten seit
1919 von außen her künstlich ernährt wer-
den. Heute zahlen die Sudoststaaten, die
Frankreichs Gunst ihre Existenz und Aus-
dehnung verdanken, den Preis für ihre
vermeintliche Größe und Freiheit. Da sie
diese Größe und Freiheit nicht der eige-
nen Leistung verdanken, sie auch nicht in
 
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