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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

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Heft 12 (Septemberheft 1932)
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https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0917
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Publikum, keine publics opiuio, wie sie
der TheaterdichLer notwendig braucht,
sondern nur Zuschauer. Drei Wege sind
nun aus dieser Misere gegangen worden,
um zu einem Publikum zu gelangensder
des satirisch-kritischen Theaters, das die
Zuschauer im Menschlichen auf breiter
Linie angreift und sie dadurch eint (2ln-
griffe im Nur-Politischen müssen schon
deshalb scheitern, weil sie die Zuschauer,
deren Gehirn lediglich berührt wird, auS-
einanderreißen. Jenes Theater wird vor-
nehmlich von Karl KrauS vertreten), der
Weg des Gruppentheaters, das eine poli-
tische und foziale Doktrin einem über diese
Doktrin im Grunde fchon einigen Publi-
kum einhämmert (hierauf zielen die neue-
sten Versuche Brechts, der sich also sein
Publikum bildet, noch ehe es ins Theater
geht) und der Weg des „Als-ob-Thea-
ters", das so tut, als gäbe es noch eine
Gesellschaft, und so den Zuschauern schmei-
chelt (daher stammt der Erfolg des Haupt-
manns von Köpenick — Brechts „Ma-
hagonny", das eine tiefsinnige Dichtung
ist, war dennoch theatermäßig ein Miß-
erfolg, weil in ihm der zweite und dritte
Weg zugleich gegangen werden sollten.
Brecht hat das selber inzwifchen einge-
sehen). So abstrakt diese Unterschiede und
ihre gemeinsame Tendenz auf den ersten
Blick wirken mögen, sie sind im Grunde
das einzige Mittel, über das Theater zu
diskutieren, ohne unklar zu werden und
ohne Wünsche, die zwar sehr begreiflich
find, mit realen Möglichkeiten zu verwech-
seln. Jedenfalls sollte man festhalten,
daß die Theaterkrise vor allem eine Ge-
sellschaftskrise ist.

Deshalb setze ich die letzten Worte des
Fifcherschen Vortrags über Theater hier-
her: „Die Erde, die dieser Antäus braucht,
ist brüchig geworden und droht ihn zu
verschlingen. Aber bestimmt wird er län-
ger und freier bestehen können, wenn er
die unsichtbaren Gewalten sichtbar macht
und sie beim Namen nennt."

Peter Bonnegut

Wirtschaftliches Denken
^n den Zeitungen finden wir alljähr-
>-Dlich die Bilanzen* der Aktiengesellschaf-
ten. Der wirtschaftliche Laie, zu denen

* Zcb werde darauf aufmerksam gemacht, daß
der Fachmann unter der Bilanz die Ver-
mägenöaufftellung verfteht, und nicht die Ge-
winn- und Derlustrechnung. Oaß hier das zweite
gemeint ist, möge man dem Laien zugute halten.

auch ich mich rechne, versteht ihre
Sprache meist nicht zu lesen, und auch
der Fachmann weiß nicht immer, was
die Bilanz nicht sagen, sondern ver-
bergen will, seien es Verluste oder Ge-
winne, die vor der Öffentlichkeit ver-
steckt werden sollen. Der Laie sieht,
daß die Bilanz aus zwei Zahlenreihen
besteht, die Soll und Haben, oder Ak-
tiva und Passiva heißen, und daß die
Zahlen unten an den beiden Reihen im-
mer dieselben sind. Das rst offenbar
das Entfcheidende. Eine Bilanz, die nicht
aufgeht, hat es noch nicht gegeben. Na-
türlich gehen aber, das weiß auch der
Laie, in der Wirklichkeit die Rechnungen
nicht so glatt auf, sondern man läßt
sie aufgehen, indem man den Verlust,
also das, was man in Wirklichkeit nicht
hat, sondern haben möchte, unter das
Haben, und umgekehrt den Gewinn un-
ter das Soll setzt. Daß die Zahlen
aufgehen, ist das Entscheidende an der
Bilanz, aber die Differenzen, die man
einsetzt, damit sie aufgehen, srnd das
Jnteressante daran. Um der Disferenz
willen wird die Bilanz aufgestellt. Diese
Zahl enthält das Ergebnis des ganzen
WirtschaftSjahres. Nun wird klar, war-
um die Bilanz aus zwei Zahlenreihen
bestehen muß. Die eine gibt an, was
man ausgegeben, die andere, was man
eingenommen hat. Entweder ist die eine
größer oder die andere: entweder hat
man einen Überschuß, für den man sich
etwas kaufen kann, seien es neuc Ma-
schinen, die den Betri-eb verbessern oder
vergrößern, oder Rohstosfe, oder Grund-
stücke, oder eine Beteiligung an einem
andern Betrieb in Form von Aktien,
oder sonst etwas; oder man hat einen
Verlust. Der Überschuß ist etwas, das
im Jahr zuvor noch nicht da war, der
Arbeitsertrag des ganzen Jahres, der
sich darstellt als die Möglichkeit, ir-
gendetwas zu kaufen, also als Kauf-
kraft. Aber weniger einfach und darum
interessanter ist, was mit dem Berlust
geschieht.

Was ist derVerlust? Die Bilanzen
dieses (^ahres weisen zum großen Teil
Verluste auf. Wo kommt das, was
verloren wurde, her und wo kommt es
hin? Der Verlust entsteht dadurch, daß
nicht produziert, sondern verbraucht wor-
den ist. Man hat gearbeitet, hat Wa-
 
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