Lweites zfebrnar-Dett lsS3.
tO. Ltück.
Lrscbctnk^
Derausgeber:
Ferdinand Nvenarius.
Kesrellprcts:
vteneljäbrlich 2','z Mcirl. 6«
Lebn Znbre nnck Mlagners Tod.
ic wirkl er weiter, der große Tote? Nun
ein Icchrzehnt verstricheil ist, seit cr von uns
gegangen, ist es Zeit, der Frage naher zu
treteu. Auf die Gefahr hin, dailn nicht nur ^
solchen Bildern zu begegnen, die ein Tptimistenher; höber ^
swlagen lasfen.
Man hat Wagnern alo cin llniversalgenie bezeichnet.
Fragen wir zunächst cinmal, was das heistt, „Universal
genic" ? Jch denke: gcsteigerte Lebenskrast des Geistes,
des seelischen Menschentums als cines Ganzen. Nicht
kann es heißen: eine Entwicklnng der Leistungen, die nack
allen Seiten hin die der andern Menschen überragt. Denn
eine solche wäre unmöglich schon deshalb, weil die kurze
Zeit der Iünglings- und Manneskrast bei keincm Menschcn
hinreichen würde, all seine geistigen Organe selbst bci
genialer Beranlagung zu genialcr Arbeitssähigkeit zu ent
wickeln. Selbst ein Goethe kam dcm Bollkvmmenen nur
in Einem nahe, als Dichter. Wer aber daraus, daß er
die Leistungen des StaatsmannS, des Natursorschers, des
Künstlers, des Kritikers in ihm als nicht ganz so voll
wertig erkennte, an der Bezeichnung „Universalgenie" für
Goethe herummäkeln wollte, der zeigte nur, daß er „das
geistige Band" nicht sähe. Nein, daß Goethes Seele mit
gesteigerter Bollkraft „zum Ganzen strebte," rückgreifend,
vorbildend, zusammenfassend, ergänzend, das eben war's.
Mögen die einzelnen Leistungen des Universalgenies hundert
nral übcrtroffen, hundertmal auch als Fehlleistungen er-
wiesen werden, das vernichtet nicht seine Bedeutung als
die eines Genies an Persönlichkeit.
Keine Genialität ist einflußreicher, als eine solche, keine
könnte, wo sic als Vorbild im richtigen Sinne erzieberisch
wirktc, segensreicher sein, keine ist in Wirklichkeit gefäbr
licher. Denn keine setzt so viel voraus, um rccht aus
genommen zn werden. Wessen Genialität auf einem Ge
biete allein sich äußert, während der geniale Mensch aus
allen übrigen seine Umgebung nicht oder nicbt wesentlicb
überragt, der wird in den Genossen jenes eincn Thätig-
keitsfeldes leichter Berstehende sinden. Sie werden den
Musiker oder den Maler odcr den Dichter in ihm eher
gelten lassen können, wenn eine ihnen unverständlicbc
Genialität aus ihnen fernliegenden Gebieten nicht ver
wirrend dazwischen tritt. Das Genie an Persönlichkeit
aber stößt leicht übermäßig ab oder zieht übermäßig an
und macht durch rein suggestiven Einfluß dann ungerecht zu
kritiklosem Tadel oder zu kritiklosem Lobe auch da, wo
sich's um Abschätzung einzclner Leistungen handelt. Erst
wenn, durch den Tod, wenigstens das unmittelbarstc Ein-
wirkeu der Persönlichkeit gebrochen ist, werden ihre Einzel
leistungen vorurteilsloser gewürdigt. Aber die Würdigung
der Gesamtpersönlichkeit wird auch dann nur lang
sam und nur in Wenigen weitergedeihen, weil nur Wenige
das Bild eines PersönlichkeitSgenies in sicb nacherzeugcn
können.
Wie lebt Richard Wagner weiter?
Im großcn Publikum Deutschlands ist er Mode ge
worden; auf allen Opernbühnen beherrscht er dic Spiellisten,
Battreuth steht als große Ferien-SehenSwürdigkeit da.
Doch alles das betrisst nur den Komponisten, an desse»
besondere Ausdrucksweise das Ohr sich gewöhnt bat, und
nicht cinmal immer das Beste des Komponisten. Man
begeistert sich an der Art, in der seinc Mufik Nerven und
Stimmung anregt. Davon, daß man seine Gcdanken über
«W M Scbiclc bcn Aö«U.
tO. Ltück.
Lrscbctnk^
Derausgeber:
Ferdinand Nvenarius.
Kesrellprcts:
vteneljäbrlich 2','z Mcirl. 6«
Lebn Znbre nnck Mlagners Tod.
ic wirkl er weiter, der große Tote? Nun
ein Icchrzehnt verstricheil ist, seit cr von uns
gegangen, ist es Zeit, der Frage naher zu
treteu. Auf die Gefahr hin, dailn nicht nur ^
solchen Bildern zu begegnen, die ein Tptimistenher; höber ^
swlagen lasfen.
Man hat Wagnern alo cin llniversalgenie bezeichnet.
Fragen wir zunächst cinmal, was das heistt, „Universal
genic" ? Jch denke: gcsteigerte Lebenskrast des Geistes,
des seelischen Menschentums als cines Ganzen. Nicht
kann es heißen: eine Entwicklnng der Leistungen, die nack
allen Seiten hin die der andern Menschen überragt. Denn
eine solche wäre unmöglich schon deshalb, weil die kurze
Zeit der Iünglings- und Manneskrast bei keincm Menschcn
hinreichen würde, all seine geistigen Organe selbst bci
genialer Beranlagung zu genialcr Arbeitssähigkeit zu ent
wickeln. Selbst ein Goethe kam dcm Bollkvmmenen nur
in Einem nahe, als Dichter. Wer aber daraus, daß er
die Leistungen des StaatsmannS, des Natursorschers, des
Künstlers, des Kritikers in ihm als nicht ganz so voll
wertig erkennte, an der Bezeichnung „Universalgenie" für
Goethe herummäkeln wollte, der zeigte nur, daß er „das
geistige Band" nicht sähe. Nein, daß Goethes Seele mit
gesteigerter Bollkraft „zum Ganzen strebte," rückgreifend,
vorbildend, zusammenfassend, ergänzend, das eben war's.
Mögen die einzelnen Leistungen des Universalgenies hundert
nral übcrtroffen, hundertmal auch als Fehlleistungen er-
wiesen werden, das vernichtet nicht seine Bedeutung als
die eines Genies an Persönlichkeit.
Keine Genialität ist einflußreicher, als eine solche, keine
könnte, wo sic als Vorbild im richtigen Sinne erzieberisch
wirktc, segensreicher sein, keine ist in Wirklichkeit gefäbr
licher. Denn keine setzt so viel voraus, um rccht aus
genommen zn werden. Wessen Genialität auf einem Ge
biete allein sich äußert, während der geniale Mensch aus
allen übrigen seine Umgebung nicht oder nicbt wesentlicb
überragt, der wird in den Genossen jenes eincn Thätig-
keitsfeldes leichter Berstehende sinden. Sie werden den
Musiker oder den Maler odcr den Dichter in ihm eher
gelten lassen können, wenn eine ihnen unverständlicbc
Genialität aus ihnen fernliegenden Gebieten nicht ver
wirrend dazwischen tritt. Das Genie an Persönlichkeit
aber stößt leicht übermäßig ab oder zieht übermäßig an
und macht durch rein suggestiven Einfluß dann ungerecht zu
kritiklosem Tadel oder zu kritiklosem Lobe auch da, wo
sich's um Abschätzung einzclner Leistungen handelt. Erst
wenn, durch den Tod, wenigstens das unmittelbarstc Ein-
wirkeu der Persönlichkeit gebrochen ist, werden ihre Einzel
leistungen vorurteilsloser gewürdigt. Aber die Würdigung
der Gesamtpersönlichkeit wird auch dann nur lang
sam und nur in Wenigen weitergedeihen, weil nur Wenige
das Bild eines PersönlichkeitSgenies in sicb nacherzeugcn
können.
Wie lebt Richard Wagner weiter?
Im großcn Publikum Deutschlands ist er Mode ge
worden; auf allen Opernbühnen beherrscht er dic Spiellisten,
Battreuth steht als große Ferien-SehenSwürdigkeit da.
Doch alles das betrisst nur den Komponisten, an desse»
besondere Ausdrucksweise das Ohr sich gewöhnt bat, und
nicht cinmal immer das Beste des Komponisten. Man
begeistert sich an der Art, in der seinc Mufik Nerven und
Stimmung anregt. Davon, daß man seine Gcdanken über
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