Gewässern geschmolzen" mit den Worten Fausts:
„Vom Eise besreit sind Strom und Bäche
Durch des Frühlings holden belebenden Blick",
so ist ersteres banal, letzteres poetisch, meinetwegen auch
anschaulich gesagt. Nur liegt das nicht etwa am Bewußt-
werden der eigentlichen Metapherbedeutungen. Man wird
bei naherer Prüsung stnden, daß das landschastliche Phan-
tasiebild, das man etwan vor Augen hat, nichts mit einem
lebhaften Ausmalen der hier in Frage kommenden Metaphern
zu thun hat. Ein fürchterlicher Gedanke wär's, alle die
„Personisikationen", die die Grammatiker aufstöbern, ins
helle Bewußtsein erheben zu wollen. Dann käme man zu
dem Unsinn, daß l.) der Frühling vermenschlicht sei, weil
er einen Blick hat, und daß dann 2.) dieser Blick wieder
vermenschlicht werde, weil er „hold" genannt ist.
Und wie viel Gedichte giebt es, deren anschauliche Kraft
grade auf der einfachsten, schmucklosesten Sprache beruht!
„Jn heißem Glanz liegt die Natur,
Die Ernte lagert auf der Flur,
Jn langen Reihn die Sichel blinkt,
Mit leifem Geräusch die Ähre sinkt."
Jch weiß nicht, ob das individuell ist — aber mir
ist's beim Lesen dieser letzten so simplen und ganz unbild-
lichen Zeile Kellers, als müsse ich das Bild der sinkenden
Ähre sehen und auf das leise Geräusch mit leiblichen
Ohren lauschen. —
Zum Schluß noch einige Zeilen aus dem Gebete
Fausts in „Wald und Höhle":
„Erhabener Geist, du gabst mir, gabst mir alles,
Warum ich bat. Du hast mir nicht umsonst
Dein Angesicht im Feuer zugewendet,
Gabst mir die herrliche Natur zum Königreich,
Kraft, sie zu fühlen, zu genießen. Nicht
Kalt staunenden Besuch erlaubst du nur,
Vergönnest mir in ihre tiefe Brust,
Wie in den Busen eines Freunds zu schauen.
Du führst die Reihe der Lebendigen
Vor mir vorbei uud lehrst mich meine Brüder
Jm stillen Busch, iu Luft und Wasser kennen.
Und wenn der Sturm im Walde braust und knarrt,
Die Riesenfichte stürzend Nachbaräste
Und Nachbarstämme quetschend niederstreift,
Und ihrem Fall dumpf wohl der Hügel donnert;
Dann führst Dn mich zur sichern Höhle, zeigst
Mich dann mir selbst, und meiner eignen Brust
Geheime, tiefe Wunder öffnen sich . . . ."
Man beachte hier die Bilder von dem „Königreiche"
der Natnr, von dem Schauen in ihre Brust wie „in
den Busen eines Freunds" usw. Und dann jene Stelle,
wo gar keine Bilder erscheinen: „Und wenn der Sturm
im Walde braust und knarrt" usw. Grade dort, wo
die Sprache bilderreich ist, da bezweckt sie nichl deutliche
anschauliche Bilder zu erzeugen. Und wo sie mit Macht
anschauliche Bilder vor die Seele zwingt, da ist sie nicht
bilderreich, nicht einmal bildlich. Und so kann ich nur
wieder betonen, daß diese Anschaulichkeit eben nicht sene
Anschaulichkeit ist.
Es wäre sehr im Jnteresse klarer Verständigung zu
wünschen, daß allgemein die Gegensatze „bildliche" und
„eigentliche" Sprechweise einerseits und „anschauliche" und
„nicht anschauliche" Sprache andrerseits schärfer auseinander-
gehalten würden. Und eine Sprache sollte nur dann das
Prädikat anschaulich erhalten, wenn es ihr eigentümlich ist,
die Phantasie zu gesteigerter Thätigkeit zu veranlassen, so
daß uns ein Bild in lebensvoller Frische, plastisch und
farbig entgegenspringt. Wie sie das thut, und was sie vor
unser geistiges Auge stellt, ist gleichgiltig. Dann kann
ein bildlicher Ausdruck wohl anschaulich sein, aber er braucht
es nicht zu sein, um tresflich und poetisch zu heißen. Daß
aber die anschauliche Sprache, um ihren Namen zu ver-
dienen, gar verschiedener Mittel sich bedienen kann, von
denen bald dieses bald jenes vorwiegt, oder von denen
bald ein einzelnes, bald mehrere gemeinsam zur Verwendung
gelangen, und daß sie demgemäß einer verschiedenen Be-
urteilung und Analhse unterliegt: das hoffe ich durch die
vorstehenden Betrachtungen klargelegt zu haben.
Ikarl Lrdmann.
Dicbtung. Ikundscbau.
» Scböne Llleratur. xxm.
Der Telamone. Roman aus der Artistenwelt. Von
Fedor von Zobeltitz. (Berlin, Verein der Bücherfreunde,
3 Mk.)
Der Kantorsjunge Fritz wird nach dem Tod seiner Eltern
vom alten Dorspastor ins Haus genommen und entwickelt sich
da zu einem gutmütigen und gescheiten, wenn auch nicht gerade
lernbegierigen, vor allem aber: zu einem mächtig starken Bengel.
Als er einmal ein durchgegangenes Pferd gebändigt hat, solgt
er der Einladung des benachbarten Grafen als — Pferdeknecht.
llnd aus dem Pferdeknecht wird bei allerlei Wechselfällen ein
„Herkules", aus dem „Herkules" aus knrze Zeit ein Kohlen-
handlungskommis, der seine Stimme ausbildet, aus dem
Kohlenhandlungskommis ein gefeierter Opernsänger. Der
heiratet dann seine Jugendliebe, die Pastorstochter Fanny, die
mittlerweile eine große Schauspielerin geworden ist.
Also ein Bildungsroman. llnd weil er das ist, müssen
wir es als besonders störend bezeichnen, daß der Zufall hier
keine ganz kleine Rolle spielt. Mehr als einmal fragt man sich,
wo wohl der gute Fritz geblieben wäre, wenn ihn dieser Gesell
nicht beim Schopfe genommen hätte, da zum Beispiel, wo der
abgebrannte Held plötzlich für eine alte Bibel 25000 Mark
bekommt. Anderseits ist die innere Entwicklung der Haupt-
person sehr wohl erschaut, und sie entbehrt keineswegs der
Wahrscheinlichkeit. So hat der Roman zwei Seelen in der
Brust: die einer wirklich ernsten Dichtung, deren Verfasser
sich Probleme stellt, und die eines llnterhaltungsromans für
gute Menschen, die nicht viel nachdenken wollen. Und die Ehe
dieser beiden Seelen ist nicht immer glücklich. Da stecken eine
Menge von Ansätzen zu wirklicher Charakteristik auch von Frageu
der Zeit: die Stellung des Artistentums, das Verhältnis des
Theaterwesens zu den Vorurteilen der Gesellschast, Berechtigung
„Vom Eise besreit sind Strom und Bäche
Durch des Frühlings holden belebenden Blick",
so ist ersteres banal, letzteres poetisch, meinetwegen auch
anschaulich gesagt. Nur liegt das nicht etwa am Bewußt-
werden der eigentlichen Metapherbedeutungen. Man wird
bei naherer Prüsung stnden, daß das landschastliche Phan-
tasiebild, das man etwan vor Augen hat, nichts mit einem
lebhaften Ausmalen der hier in Frage kommenden Metaphern
zu thun hat. Ein fürchterlicher Gedanke wär's, alle die
„Personisikationen", die die Grammatiker aufstöbern, ins
helle Bewußtsein erheben zu wollen. Dann käme man zu
dem Unsinn, daß l.) der Frühling vermenschlicht sei, weil
er einen Blick hat, und daß dann 2.) dieser Blick wieder
vermenschlicht werde, weil er „hold" genannt ist.
Und wie viel Gedichte giebt es, deren anschauliche Kraft
grade auf der einfachsten, schmucklosesten Sprache beruht!
„Jn heißem Glanz liegt die Natur,
Die Ernte lagert auf der Flur,
Jn langen Reihn die Sichel blinkt,
Mit leifem Geräusch die Ähre sinkt."
Jch weiß nicht, ob das individuell ist — aber mir
ist's beim Lesen dieser letzten so simplen und ganz unbild-
lichen Zeile Kellers, als müsse ich das Bild der sinkenden
Ähre sehen und auf das leise Geräusch mit leiblichen
Ohren lauschen. —
Zum Schluß noch einige Zeilen aus dem Gebete
Fausts in „Wald und Höhle":
„Erhabener Geist, du gabst mir, gabst mir alles,
Warum ich bat. Du hast mir nicht umsonst
Dein Angesicht im Feuer zugewendet,
Gabst mir die herrliche Natur zum Königreich,
Kraft, sie zu fühlen, zu genießen. Nicht
Kalt staunenden Besuch erlaubst du nur,
Vergönnest mir in ihre tiefe Brust,
Wie in den Busen eines Freunds zu schauen.
Du führst die Reihe der Lebendigen
Vor mir vorbei uud lehrst mich meine Brüder
Jm stillen Busch, iu Luft und Wasser kennen.
Und wenn der Sturm im Walde braust und knarrt,
Die Riesenfichte stürzend Nachbaräste
Und Nachbarstämme quetschend niederstreift,
Und ihrem Fall dumpf wohl der Hügel donnert;
Dann führst Dn mich zur sichern Höhle, zeigst
Mich dann mir selbst, und meiner eignen Brust
Geheime, tiefe Wunder öffnen sich . . . ."
Man beachte hier die Bilder von dem „Königreiche"
der Natnr, von dem Schauen in ihre Brust wie „in
den Busen eines Freunds" usw. Und dann jene Stelle,
wo gar keine Bilder erscheinen: „Und wenn der Sturm
im Walde braust und knarrt" usw. Grade dort, wo
die Sprache bilderreich ist, da bezweckt sie nichl deutliche
anschauliche Bilder zu erzeugen. Und wo sie mit Macht
anschauliche Bilder vor die Seele zwingt, da ist sie nicht
bilderreich, nicht einmal bildlich. Und so kann ich nur
wieder betonen, daß diese Anschaulichkeit eben nicht sene
Anschaulichkeit ist.
Es wäre sehr im Jnteresse klarer Verständigung zu
wünschen, daß allgemein die Gegensatze „bildliche" und
„eigentliche" Sprechweise einerseits und „anschauliche" und
„nicht anschauliche" Sprache andrerseits schärfer auseinander-
gehalten würden. Und eine Sprache sollte nur dann das
Prädikat anschaulich erhalten, wenn es ihr eigentümlich ist,
die Phantasie zu gesteigerter Thätigkeit zu veranlassen, so
daß uns ein Bild in lebensvoller Frische, plastisch und
farbig entgegenspringt. Wie sie das thut, und was sie vor
unser geistiges Auge stellt, ist gleichgiltig. Dann kann
ein bildlicher Ausdruck wohl anschaulich sein, aber er braucht
es nicht zu sein, um tresflich und poetisch zu heißen. Daß
aber die anschauliche Sprache, um ihren Namen zu ver-
dienen, gar verschiedener Mittel sich bedienen kann, von
denen bald dieses bald jenes vorwiegt, oder von denen
bald ein einzelnes, bald mehrere gemeinsam zur Verwendung
gelangen, und daß sie demgemäß einer verschiedenen Be-
urteilung und Analhse unterliegt: das hoffe ich durch die
vorstehenden Betrachtungen klargelegt zu haben.
Ikarl Lrdmann.
Dicbtung. Ikundscbau.
» Scböne Llleratur. xxm.
Der Telamone. Roman aus der Artistenwelt. Von
Fedor von Zobeltitz. (Berlin, Verein der Bücherfreunde,
3 Mk.)
Der Kantorsjunge Fritz wird nach dem Tod seiner Eltern
vom alten Dorspastor ins Haus genommen und entwickelt sich
da zu einem gutmütigen und gescheiten, wenn auch nicht gerade
lernbegierigen, vor allem aber: zu einem mächtig starken Bengel.
Als er einmal ein durchgegangenes Pferd gebändigt hat, solgt
er der Einladung des benachbarten Grafen als — Pferdeknecht.
llnd aus dem Pferdeknecht wird bei allerlei Wechselfällen ein
„Herkules", aus dem „Herkules" aus knrze Zeit ein Kohlen-
handlungskommis, der seine Stimme ausbildet, aus dem
Kohlenhandlungskommis ein gefeierter Opernsänger. Der
heiratet dann seine Jugendliebe, die Pastorstochter Fanny, die
mittlerweile eine große Schauspielerin geworden ist.
Also ein Bildungsroman. llnd weil er das ist, müssen
wir es als besonders störend bezeichnen, daß der Zufall hier
keine ganz kleine Rolle spielt. Mehr als einmal fragt man sich,
wo wohl der gute Fritz geblieben wäre, wenn ihn dieser Gesell
nicht beim Schopfe genommen hätte, da zum Beispiel, wo der
abgebrannte Held plötzlich für eine alte Bibel 25000 Mark
bekommt. Anderseits ist die innere Entwicklung der Haupt-
person sehr wohl erschaut, und sie entbehrt keineswegs der
Wahrscheinlichkeit. So hat der Roman zwei Seelen in der
Brust: die einer wirklich ernsten Dichtung, deren Verfasser
sich Probleme stellt, und die eines llnterhaltungsromans für
gute Menschen, die nicht viel nachdenken wollen. Und die Ehe
dieser beiden Seelen ist nicht immer glücklich. Da stecken eine
Menge von Ansätzen zu wirklicher Charakteristik auch von Frageu
der Zeit: die Stellung des Artistentums, das Verhältnis des
Theaterwesens zu den Vorurteilen der Gesellschast, Berechtigung