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Kunstwart und Kulturwart — 28,1.1914

DOI issue:
Heft 5 (1. Dezemberheft 1914)
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"Denkt an die hungernden Schriftsteller": und dabei noch an einiges andre!
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https://doi.org/10.11588/diglit.14418#0201
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„Denkt an die hungernden Schriftsteller"

und dabei noch an einiges andre!

^^ch habe einen Freund, der ist auch Schriftsteller. In den ersten
^tTagen nach der Mobilmachung traf ich ihn in verzweifeltem Zustande.
^I„Von allem abgeschnitten!" schrie er mit seiner erschütternden Stimme.
„Eben hatte ich die und die Aufträge, es war schon alles abgemacht — und
nun alles vorbei!" In Ermanglung von Kaffee oder Tee bot mir seine
Frau eine Tasse Milch an, die der Lieferant noch leichtsinnig geborgt hatte,
und ich hatte das aristokratische Vergnügen, mit einem Taler den Mäzen
zu spielen.

Schon ein oder zwei Wochen darauf hatte sich das Bild gewendet. Ich
fand Tische, Stühle und Sofa mit Zeitungen, Karten und Manuskript-
blättern bedeckt, und wurde mit Kuchen und Zigaretten mit Goldmund-
stück bewirtet. Sogar meinen Taler kriegte ich wieder. Mein Freund
hatte einen Auftrag bekommen. Eine Zeitschrift, die man — sagen wir:
zur gemäßigten Schundliteratur rechnet, hatte sich entschlossen, mit dem
Geiste der Zeit zu gehen. Dafür ging nun auch der Geist der Zeit mit
ihr: statt an Abonnenten einzubüßen, hatte sich deren Zahl nach dem
ersten Schreck vermehrt. Denn hier hatte man die Aussicht, den Krieg
selber, und zwar im blitzschnell um die Schulter geworfenen Mantel der
Poesie, von Sonnabend zu Sonnabend im Wochenblatt zu lesen. Der
diese Dichtung schrieb, das war mein Freund, der Schriftsteller. Da saß
er, der nicht gedient hatte noch dieses plante, sann, spann und wob aus
(Lxtrablättern, Feldpostbriefen und Landkarten „das große Epos des Völker-
ringens". Wie es ausgeht, das weiß er zwar im ganzen und im einzelnen
noch nicht, aber eines weiß er: sein Held stirbt nicht, sondern er kriegt sie.

Warum dichtet mein Freund diesen „Roman"? Mußte er wie die
Nachtigall in der Maiennacht hinausschluchzen und hinausjauchzen, was
ihm an überwältigenden Gesichten die Brust sonst gesprengt hätte? (Diesen
Satz überlasse ich ihm kostenlos.) Nein. Die Ursache war nebenan: der
tzauswirt. And innerlich: der Magen. Der Mann — ein redlicher Mit-
kämpfer übrigens im Kampf gegen Schund auf einem andern Gebiete —
erwog in seiner untadligen Seele: soll ich mitsamt meiner Frau zum
Gemeindevorsteher gehen und, ein Führer des Volkes, ihm mein Geld-
täschchen und andere Intimitäten zeigen, damit er mir das Armutszeugnis
ausstellt, welches ich nötig habe, um wöchentlich einige Mark Unterstützung
zu erhalten? Oder schäme ich mich immer noch weniger, wenn ich das
Anerbieten annehme, einen gut bezahlten Schundroman zu schreiben?
Der Zweifelnde entschloß sich zu letzterem. Und er wies ein wenig trotzig
darauf hin, daß sein Werk immer noch nicht das schlimmste werden würde,
in Anbetracht seiner höheren Bildung. „Sie machen sich ja keinen Be-
 
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