Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstwart und Kulturwart — 35,2.1922

DOI Heft:
Heft 10 (Juliheft 1922)
DOI Artikel:
Erdmann, Karl Otto: Debattier-Technik und die Kunst, recht zu behalten
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14435#0252
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
ist, daj; Schopenhauer sich nicht auf eigentliche Trugschlüsse beschränkt, sondern
auch allerhand Schliche und Schikänen behandelt, die mit Logik nichts zu
schaffen haben: z. B. das Ausspielen der eigenen Autorität und die ironische
überlegene Behandlung noch junger und unangesehener Gegner; oder den
Kunstgriff: „den Gegner zum Zorn zu reizeu; denn im Zorn ist er außer--
stande, richtig zu urteilen und seinen Vorteil wahrzunehmen. Man bringt
ihn in Zorn dadurch, daß man unverhohlen ihm Unrecht tut, schikaniert und
überhaupt unverschämt ist". Offenbar hat Schopenhauer nach persönlichen
Erfahrungen ab und zu Niederschriften über diese, wie er sich ausdrückh,
„Strategemata", d. h. Kriegslisten, gemacht. Man fühlt, wie der alte Herr
sich erbost und nicht müde wird, seinen grimmigen Humor an der mit Eitel-.
keit, Eigensinn und Unredlichkeit verschwisterten Beschränktheit und Ilnfähig--
keit des Menschenpacks auszulassen.

Es ist bedauerlich, daß Schopenhauer seine „Eristik" nicht ausgeführt
hat. Der praktische Nutzen einer solchenDebattiertechnik ist unverkennbar. Wer
sich die mannigfaltigen, aber immer wiederkehrenden Trugschlüsse auch in
abstracto ins Bewußtsein gehoben hat und gewisse Fachausdrücke beherrscht,
wer auch alle die sonstigen Schikanen kennt, der ist für den Streit besser
gerüstet, als der, der sich allein auf seine guten Gründe verläßt. Er gleichß
dem Offizier, der Taktik studiert hat und in allen Kriegslisten beschlagen ist.
Ihm sind die erforderlichen Paraden zur Hand und er hat drastische Gegen^
beispiele bereit, um die gegnerischen Winkelzüge ohne große Amschweife zu
entlarven. Man mag über den Wortkram der Scholastiker noch so gering^
schätzig denken, einige Vorzüge hatte hoch ihre logische Schulung: wenn in
einer Diskussion der eine Redner dem andern zurief: das ist eine „kallaLia
non LLU8ae ut Lvubae", oder das ist eine „pekikio prinLipii", so fühlte
sich dieser durchschaut, und auch die Zuhörer waren orientiert und wußten,
wo sie den wunden Punkt der Beweisführung zu suchen hatten. Es würde
heute in politischeu Versammlungen oder in Parlamenten und Kongressen
nicht so oft aussichtslos und unfruchtbar gestritten, nicht so trostlos aneinander
vorübergeredet werden, wenn mehr dialektisch geschulte Persönlichkeiten vor--
handen wären, die ihre Aufmerksamkeit auch auf die Technik der Debatte
richteteu und alle Trugschlüsse, Finten und Schliche der Redner sofort
schonungslos klarlegten und an den Pranger stellten.

Es kann nicht meine Aufgabe sein, eine vollständige Debattiertechnik zu
geben. Aber ich will in einer kleinen Artikelreihe herausgreifen, was sich
mir in persönlichen Erfahrungen als besonders wichtig aufgedrängt hat.
Ich beschränke mich daibei nicht auf den Trug beim Streit. Aber es gibt
natürlich auch sehr berejchtigte dialektische Kunstgriffe, die jeder unbean--
standet gebrauchen darf, zumal wenn es gilt, unredliche, stön'ische oder fanw-
tische Gegner zur Preisgabe ihrer irrigen Anschauungen zu zwingen.

I. Pädagogische Dialektik

«v»er seinen Gegner mit der Äbsrlegenheit des Erziehers behandeln will,
^^tut gut, auf eigene, langatmige Ausführungen zu verzichten und den
anderen selbst die Gegengründe finden zu lassen. Das Lockmittel dafür ist
das alte Sokratische: man erkenne scheinbar die gegnerische These an, ziehe
aber aus ihr unliebsame Folgerungen. Angenommen, es werde über den
Fall eines gebrochenen promissorischen Eides gestritten, und der eine der
Debattierenden, ein gläubiger Protestant, versteige sich allzu hoch in seinen
moralischen Ansprüchen: „Man mag sagen, was man will, darin bin ich
 
Annotationen