Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunstwelt: deutsche Zeitschrift für die bildende Kunst — 3.1913-1914

DOI article:
Albrecht, ...: Maschinenbau und Kunstgewerbe: ihre Gegensätze und Berührungs-Punkte
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.22030#0592
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
MASCHINENBAU UND KUNSTGEWERBE

Da die Gegenstände des Kunstgewerbes aber
nicht nur dem Verlangen nach Schönheit, sondern
vor allem auch dem praktischen Gebrauche dienen,
so ist natürlich die erste Forderung die, daß sie
zweckentsprechend gestaltet sind. Darin sind sich
auch alle Kunstgewerbler längst einig, daß ein
Gegenstand des Kunstgewerbes nur dann schön
sein kann, wenn er auch zweckmäßig ist. Gläser,
Tassen oder Vasen müssen vor allem standsicher
sein; der Hals der Blumenvasen muß so weit sein,
daß die Stengel der Blumen hinreichend Platz haben
usw. Es sind Forderungen, die jeder, der sich mit
dem Entwerfen dieser Dinge befaßt, selbst erkennen
kann. Außerdem sind aber noch mancherlei andere
Rücksichten zu nehmen, z. B. auf die Eigenschaften
der verwendenden Materialien, auf sachgemäße Her-
stellung der Gegenstände, auf Festigkeit, Abnutzung
u. a. mehr. Die entwerfenden Künstler begnügen
sich auch jetzt nicht mehr damit, ihre Entwürfe zu
Papier zu bringen, sondern sie suchen die gewerb-
lichen Betriebe auf, um sich die Kenntnis von der
Herstellung der verschiedenen Gegenstände anzu-
eignen. Eine gründliche praktische Erfahrung ist
auch für den Kunstgewerbler notwendig, um zweck-
entsprechende und materialgerechte Arbeiten liefern
zu können. Der Ingenieur, der mit dem Entwerfen
von Maschinen und Bauwerken zu tun hat, muß
freilich noch gediegenere praktische Kenntnisse be-
sitzen, die er sich durch eigene, längere Tätigkeit
in den verschiedenen Werkstättenbetrieben anzueig-
nen hat. Handelt es sich um den Entwurf kunst-
gewerblicher Gegenstände, die Kräfte anzunehmen
oder zu übertragen haben, dann müssen auch dh
Gesetze der Mechanik und Festigkeitslehre beachtet
werden. U. a. gilt hierbei der Leitsatz, daß alle
Kräfte möglichst unmittelbar aufgefangen werden
müssen.

Beispielsweise enthält ein Beleuchtungskörper
(eine Krone), den die Bayrische Gewerbeschau 1912
als mustergültig in ihrer Denkschrift veröffentlicht
hatte, Tragketten von einer Gestalt, die der Maschi-
neningenieur niemals anwenden würde. Die langen
Kettenglieder sind nämlich bei dieser Form S-förmig
gebogen und tragen in ihren abgebogenen Enden
die Hakenglieder, welche die Verbindung der langen
Kettenglieder untereinander herzustellen haben.
Diese letzteren sind daher — in der Sprache des
Ingenieurs ausgedrückt — nicht auf Zug, sondern
auf Biegung beansprucht. Daß aber ein Stab, der ge-
bogen wird, leichter entzwei geht als einer, an dessen
Enden gezogen wird, ist auch jedem Laien bekannt.
Die Abweichungen der „Kunstform" von der „Zweck-
form" dürften daher in diesem Falle das zulässige
Maß überschreiten. Das Auge des die Krone auf-
merksam betrachtenden Ingenieurs vermag jedenfalls
ein völlig befriedigtes Gefühl nicht zu erlangen.

Die Bayrische Gewerbeschau zeigte auch, daß

STATUE. BILDHAUER SOMMER.

die Kunstgewerbler es nicht verschmäht haben, sich
der einfachsten Gegenstände des täglichen Gebrauchs
anzunehmen. Bei den dort gezeigten silbernen
Gabeln und Löffeln, die aus einem Stück gefertigt
sind, sind die überlieferten Formen im wesentlichen
beibehalten worden, und doch entsprechen diese
nicht ganz den Gesetzen der Festigkeitslehre. Gabeln
und Löffel sind da, wo der Griff den geringsten
Querschnitt hat, am leichtesten etwaigen Verlegun-
gen ausgesetzt. Nun ist aber der Widerstand gegen
Durchbiegung nicht allein abhängig von der Größe,
sondern auch von der Form des Querschnitts. Es
kann daher mit dem gleichen Aufwand an Material
ein größerer Widerstand gegen Verbiegen des Ge-
rätes hervorgerufen werden, wenn ein geeigneter
Querschnitt gewählt wird. Die gebräuchliche flache
Grifform ist aber zur Aufnahme von Kräften, die

503
 
Annotationen