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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0055
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Der Zehnte.

Das Einkommen der Pfarrei Buch am Ahorn bestand größten-
teils, wenn nicht ganz, ans dem Ertrage des Zehnten und der Gülten.
Zwar ist der Zehnte schon in den fünf Büchern Mosis angeordnet,
und die Römer hießen das eroberte Land rechts am Oberrhein die
NAiü äseimiatsL, das Zehntland, aber trotz Mosis und der Cäfaren
Gebot wollte den Bauern die Einrichtung wenig einleuchten. Es war
der Zehnte eine unerschöpfliche Quelle von Aerger und Verdruß für
Geistlichkeit und Bauernschaft. Beide empfanden fast allenthalben seine
Ablösung, die auf den Antrag der zweiten Kammer in den dreißiger
Jahren ins Werk gefetzt wurde, als eine Wohlthat. — Das Gedächt-
nis des Zehnten ist nahezu erloschen, darum fei ihm ein Wort der
Erinnerung geweiht; er hat mir als Knaben frohe Stunden bereitet.

War die Ernte- oder die Herbstzeit gekommen, fo meldete sich
der Zehnter, dem das Eintreiben des Zehnten oblag, beim Pfarrherrn.
Er kam mit einem mehr als mannshohen spitzen Stabe, dem Zehnt-
stabe, und zeigte dem Geistlichen an, daß er aufs Feld gehe, um feines
Amtes zu warten. Jch durfte ihn mitunter auf feinen Gängen be-
gleiten. Die Bauern waren gehalten, die Getreide-Garben in Reihen,
Flachs und Hanf in Büscheln, Heu und Oehmd, Kartoffeln, Rüben,
Bohnen u. dgl. in Haufen und Häufchen bereit zu legen und liegen
zu lassen, bis der Zehnter mit seinem Stab erschien, nachfah, und jede
zehnte Garbe, jeden zehnten Büfchel oder Haufen wegnahm, auf den
Wagen lud und wegführte.

Der Zehnter, ein ehemaliger Soldat, ein Vierziger, war ein
 
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