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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0081
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Heidelberg.

61

Juni mischt es sich mit dem blassen Gelb der Kastanienblüte, anf
der grünen Wand treten die gelben Kuppen der Baumkronen in
schärferen Umrissen hervor. Nach der Blüte kehrt ein satteres Grün
zurück, bis der Herbst das Laub mehr und mehr in ein bräunliches
Gelb und Rot taucht.

Mein erster Spaziergang galt der Schloßruine und dem Schloß-
garten, einem Park von mäßigem Umfang; aber kein Park der Welt
gewährt auf so beschränktem Raum eine gleiche Fülle der mannig?
faltigsten, herrlichsten Bilder.

Von da stieg ich auf die Hohe, die das alte Schloß hieß,
weil hier oben die letzten Mauertrümmer der ältesten Bergfeste Heidel-
bergs standen; sie haben in den fünfziger Jahren einer Wirtschaft,
wo Molken geschenkt wurden, Platz gemacht und seitdem wird der Ort
die Molkenkur genannt. Er bietet eine Aussicht auf die Schloßruine
unter ihm, auf die Stadt, auf die Mündung des Neckarthals, und
ein prächtiges Panorama des Rheinthals. Durch die fruchtbare Ebene
windet sich anmutig in silbernen Schlangenlinien der Neckar dem Rhein
entgegen, der aus der Mitte des Thals in leuchtenden Streifen auf-
blitzt. Der Blick reicht südwürts hinauf zu den Bergen des Schwarz-
walds und über den Rheinstrom westwärts zu der rebengesegneten
Hügelkette des Haardtgebirgs und dem Donnersberg, der sie mit ernstem
Haupte geheimnisvoll überragt. — Am lohnendsten ist die Aussicht,
wenn der glühende Sonnenball hinter den Bergen versinkt.

Oft ist nur ein Schritt vom Erhabnen zum Lächerlichen. —
Auf der Molkenkur genoß ich an einem schönen Sommerabend das
Schauspiel des Sonnenuntergangs. Viele Gäste waren heraufgestiegen
und richteten den Blick zur scheidenden Königin des Tages mit tiefer
Andacht. Da ließ plötzlich eine Dame ihre Stimme hell erschallen:
„O! wie schön ist es doch hier oben, anch wenn man eben aus Paris
zurückkehrt!"

Ein zweiter Spaziergang führte mich über den Neckar auf dem
Philosophenweg, von dessen Höhe die Lage Heidelbergs am schönsten
hervortritt. Hier mag die berühmte Ode an Heidelberg in Hölder-
lins Seele aufgegangen sein. Wie ein Sohn begrüßt er innig und
warm die geliebte Stadt:
 
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