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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0317
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Vomierkuren.

^s ist ein heikles Thema, woran ich mich wage, aber ich darf
es nicht umgehen, wenn ich schildern will, wie die ärztliche Praxis
in meiner Jugend ausgeübt wurde. Wem davor graut, mag das
Kapitel überschlagen.

Neben Purganzen und Aderlüssen verordneten die Aerzte mit
Vorliebe Vomitive, besonders häusig jungen Personen bis in das
Säuglingsalter herab, selten nur älteren Leuten. Heute gilt das Ver-
fahren für fast barbarisch und es wird nur ausnahmsweise benützt,
obwohl es ein echtes und vielbewährtes Natnrheilverfahren ist, er-
lernt von der Lehrmeisterin Natur, zugleich ein klassisches, das bekanntlich
schon in den Vomitorien des kaiserlichen Roms sleißig geübt wurde.

Unser Magen ist mit einer Einrichtung ausgerüstet, durch die
er sich automatisch von schädlichem Jnhalt befreit. Der übersüllte
Magen des Sänglings stößt ohne äußeres Zuthun das Uebermaß der
genossenen Milch aus nnd erlüchtert sich dadurch seine Aufgabe. „Spei-
kinder, Gedeihkinder!" lantet ein alter Ammensprnch. Das Erbrechen
ist ein reslektorischer Vorgang zwischen Nerven und Muskeln. Er
schafft unverdanliche Speisen und Gifte aus dem Magen und sichert
dadurch Gesundheit und Leben. Wie der Mensch, sind auch zahlreiche
Tiere mit dieser nützlichen Mechanik ausgestattet; sein treuer Begleiter,
der Hund, besitzt sie in großer Vollkommenheit, ohne besondere Vor-
kehrungen gelingt es kaum, ihn mit vielen Giften, die dem Menschen
äußerst gesührlich sind, durch Einbringen in den Magen zu töten, er
weist sie sofort znrück.
 
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